Die Schriftzeichen aus dem Chinesischen.
Der Zusammenhang zwischen Sprache und Denken ist hinlänglich bekannt und wurde immer wieder thematisiert. Ludwig Wittgenstein schrieb in seinem Tractatus Logico Philosophicus: „Die Grenzen meiner Sprache bedeuten die Grenzen meiner Welt.“ Dies wurde auch im alten YìJing (I Ging) schon ausgedrückt, wenn es dort heißt:
„Der Meister sagt: Gänzlich erfasst die Schrift nicht die Worte. Gänzlich erfassen die Worte nicht die Gedanken, den Sinn.“ Denken wir dies weiter, wird deutlich, dass für ein Verstehen gerade der philosophischen Texte ein ebensolches Denken erforderlich ist, ansonsten bleibt dem Leser der Sinn des Geschriebenen verschlossen. Hier hat die Vielschichtigkeit des Chinesischen den großen Vorteil, dass man nicht umhin kommt, dem Geschriebenen nach-zudenken, um dem Sinn in seinen mannigfaltigen Bezügen auf die Spur zu kommen.
Vor dem Hintergrund der Unterschiede zwischen den alphabetischen Schriften und der chinesischen „Bilderschrift“ lässt fragen, ob der Zusammenhang von Schrift und Denken womöglich auch noch anders zu sehen ist.
Alphabetische Schriften sind eine lineare Reihung von Lauten. Im Lesen hören wir die Worte und verstehen sie über das Gehörte. Das entspricht dem linearen, kausal-logischen Denken, was für unseren Kulturkreis kennzeichnend ist. Chinesische Schriftzeichen sind Bildkompositionen archetypischer Grundbilder. Im Lesen sehen wir das Zusammenspiel dieser Bilder und der Sinn entsteht aus unserer Wahrnehmung. In einem Satz aus mehreren Zeichen wird das gezeichnete Bild noch komplexer, sodass die Bedeutung eines einzelnen Zeichens sich sogar ins Gegenteil wandeln kann. So gibt es z.B. chinesische Wörterbücher, die speziell die entgegengesetzten Bedeutungen von Schriftzeichen behandeln. Diese Schrift entspricht dem systemischen Denken, in dem das größere Ganze über die Beziehungen seiner Teile verstanden wird.
Wenn ich hier von archetypischen Bildern spreche, hat dies den Grund darin, dass es sich um Bilder handelt, die in allen Kulturen mit gleicher oder ähnlicher Bedeutung zu finden sind, wie Sonne, Mond, Berg, See, Mensch, Baum, usw.
Ein schönes Beispiel ist das Zeichen Míng . Es ist eine Kombination von Xi , der Abend, der Sonnenuntergang und Kóu , dem Mund. Míng bedeutet „Name, Ruhm, Ruf, Schein oder Vorwand“ und ist auch eine schöne Darstellung unserer Redewendung: „Man soll den Tag nicht vor dem Abend loben“ oder dass sich jemand einen Namen gemacht hat. Interessant ist auch das Zeichen Rì , die Sonne, dessen ursprüngliches Piktogramm ein Kreis mit einem Punkt in der Mitte war und damit unserem astrologischen Symbol für die Sonne entspricht.
Im Zuge der Kulturrevolution wurde 1956 und den folgenden Jahren die Schrift erneut reformiert, um sie leichter schreiben zu können. Doch die Nachteile dieser Vereinfachung überwiegen und der bildhafte Charakter ging verloren und das Verständnis wurde erschwert.
Gerade im Feng Shui sind die Bilder eine wesentliche Grundlage, die eben immer auch im übertragenen Sinn gemeint sind. Hinzu kommen durch den offenen Charakter von Bildern noch die vielfältigen Bedeutungsinhalte. So steht die Schildkröte mit ihrem starken Rückenpanzer für den Schutz im Rücken und sie wird mit dem Norden assoziiert. Das Zeichen für den Norden Běi ist ursprünglich das Bild von zwei Menschen, die ihre Rücken gegeneinander lehnen. Dies einfache Beispiel zeigt die vielschichtigen Bezüge eines Schriftzeichens.
Denken wir nochmals an das anfangs genannte Zitat von Wittgenstein, dann können wir sagen, dass gerade die chinesische Schrift ein anderes Denken anregt, als unser übliches kausal-logisches, lineare. Lassen wir die Bildkompositionen vor unseren Augen aufscheinen, dann erschließen sich uns Bedeutungen als Zusammenspiel unterschiedlicher Beziehungen und auch intuitiv können wir den Sinn erkennen, wenn er sich vielleicht auch nicht so leicht in Worte fassen lässt. „Gänzlich erfassen die Worte nicht den Sinn.“
Teil 1 | Teil 2