Die fünfte Himmelsrichtung - Wandlungsphase Erde
von Johannes Trüstedt
Schon im letzten Beitrag erwähnte ich, dass die Wandlungsphase Erde mit der Mitte assoziiert wird. Sie ist die fünfte Himmelsrichtung, nämlich unser eigener Standpunkt, unsere Basis. Zur Mitte, zum eigenen Ort gehört auch immer die Orientierung, der Blick in die Umgebung, sich in Beziehung setzen zur Um-Welt.
Es gibt eine alte chinesische Darstellung, deren Name mit „Bild der drei Kräfte“ übersetzt werden kann. Sie stellt den Menschen in der Mitte zwischen Himmel und Erde dar. Mit den Füßen stehen wir auf der Erde und mit dem Kopf ragen wir in den Himmel. Und so tragen wir – wie in der Darstellung gezeigt – auch beide Aspekte in uns: Yin und Yang, Erde und Himmel, das Materielle und das Geistige, die dunklen und lichten Anteile unserer Persönlichkeit. Sehen wir den Menschen als Vereinigung von Himmel und Erde, dann wird hier auch deutlich, dass damit etwas Neues entsteht und so wird der Mensch mit seinem Sein auf der Erde zur dritten Kraft.
Die Erde steht für das Materielle, sie ist unsere Lebensbasis, sie nährt uns und ist Mutter allen Lebens. In allen Kulturen wird das Weibliche mit der Erde assoziiert, wohl weil es für den frühen Menschen ein vergleichbares Wunder war, wie aus der Erde immer neue Pflanzen (und Tiere) hervorkommen und wie von der Frau neues Leben geboren wird. Dies hervor bringen, geboren werden bedeutet erscheinen, wahrnehmbar zu werden. Auch das Geistige, der Himmel braucht den Körper, um in Erscheinung zu treten.
Der Name des Bildes der drei Kräfte lautet im Original: 三 才 之 圖. Sān caí zhī tú. Das zweite Zeichen 才 caí übersetzte ich hier mit Kraft, doch es bedeutet ebenso „Fähigkeit, Talent, Gabe, Macht“. Das ursprüngliche Bild ist ein Keimling, der durch die Erdscholle bricht. Hier finden wir wieder das Bild des Geborenwerdens und man kann es auch verstehen als die Kraft des Lebens oder das innewohnende Potential. Leben entsteht aus dem Zusammenwirken dieser drei Kräfte. Die Erde für sich wäre wüst und leer, um Leben zu gebären braucht sie das Licht, das Klima mit dem Wetter, den Rhythmus der Tages- und Jahreszeiten – die Kräfte des Himmels. Doch alles geborene Leben ist etwas Neues, auch im gewissen Sinn unabhängig und abhängig zugleich.
Stellt sich der Mensch in die Mitte seines Daseins, steht er in seiner Perspektive zwischen Himmel und Erde. Und ich denke, dass der ursprüngliche Sinn des Feng Shui das förderliche Zusammenwirken von Himmel, Erde und Mensch war und das ausgeglichene Miteinander leben können. Jedes Ungleichgewicht führte schon immer zu kleineren oder größeren Katastrophen.
Die Erde hat die Bedeutung der Verwirklichung, hier konzentrieren sich die Kräfte, um neues Leben hervor zu bringen. Sie wirkt verbindend, zentrierend, langsam, sammelnd und auch sinnlich.Sie hat eine horizontale Ausdehnung mit der Wirkung alles Leben auf der Erde zu vereinen.
In der Lehre der fünf Wandlungsphasen tritt sie in symbolischer Form in vielen Aspekten zutage. So steht sie für Mund, Magen, Milz und Verdauung und zeigt sich hier von ihrer nährenden Seite. Sie zeigt sich als Form in den liegenden Kuben, d.h. solche Formen sind stabil, können nicht umfallen, können Basis sein, um darauf zu bauen. Sie sind nicht rund und können sich nicht fortbewegen und sie sind vielfältig nutzbar: als Altar, als Tisch, als Bank, als Bett usw. Auch hier finden wir wieder die verbindende Kraft und die Bedeutung als Basis. Es ist die Kraft der Stabilität, Dauer und Festigkeit. In der Farbe Gelb (und der hellen Brauntöne) erkennen wir sowohl den Wüstensand als auch den gelben Löss, die Grundlage für fruchtbaren Boden.
Im „nährenden Zyklus“ der fünf Wandlungsphasen ist die Erde zwischen dem Feuer und dem Metall eingereiht, Das Feuer nährt die Erde und in der Erde ist das Gold verborgen. Auch dies ist ein wichtiges Merkmal der Erde: sie steht in Verbindung mit allem anderen Wandlungsphasen und braucht sie, reiht sich bescheiden ein, und ist gleichzeitig die Mutter der „zehntausend Dinge“, die Grundlage von allem was ist.
Herzlichst Johannes Trüstedt