Der Raum im Feng Shui
„Wenn wir unseren Ort, unseren Teil der Welt als uns umgebend ansehen, haben wir bereits eine grundlegende Trennung zwischen ihr und uns gemacht. Wir haben das Verständnis aufgegeben – aus unserer Sprache und somit aus unserem Denken fallenlassen –, dass unser Land in unserem Körper aus und ein geht, genauso wie unser Körper in unserem Land aus und ein geht.“ (Wendell Berry, 1977)
Immer wieder begegne ich der Vorstellung, Feng Shui sei eine asiatische Einrichtungsmethode oder ein Einrichtungsstil. Besonders eindrücklich sind Kunden, deren Wohnung man auf den ersten Blick die landläufigen Feng Shui Bücher und Tipps ansieht.Aber das ist lediglich die Art, wie Feng Shui bei uns „gesellschaftsfähig“ wurde und auch die Seite, die zu recht heftig kritisiert wird.
Als ich anfing Chinesisch zu lernen, fragte ich meine Lehrerin, eine sehr gebildete Chinesin, was denn Feng Shui bedeute. „Das heißt eigentlich Harmonie oder Harmonielehre ...“ war die Essenz ihrer Antwort. Ich habe diese Antwort lange nicht so recht verstanden, dachte z.B. an unsere klassische griechische Harmonielehre in Verbindung mit dem Bauen. Es war offensichtlich, dass hier etwas anderes gemeint war und diese Antwort blieb mir im Gedächtnis. Der Raum und seine Bedeutung für den Menschen ist das Grundthema des Feng Shui, doch was heißt in diesem Zusammenhang dann Feng Shui als Harmonie? Eine Antwort finden wir, wenn wir uns dem Raum selbst zuwenden.
Das Wort Raum kommt von roden, sich einen Platz in der Wildnis einräumen, frei räumen. Wesentliches Kennzeichen von Raum ist die Grenze, das Eingegrenzte, Eingefriedete.
Raum entsteht durch Abgrenzung. Diese Grenze hat zwei Seiten, Innen und Außen, Yin und Yang. Nach innen bietet sie Schutz, Geborgenheit und Frieden, nach Außen ist es Abwehr und Verteidigung. Sie ermöglicht den geschützten Freiraum zur Entwicklung, kann aber auch eingrenzen, beengen, wenn dem Wachsen nicht genügend Raum gegeben ist. Die Grenze ist auch der Kontakt nach Außen, sie ist der Ort der Kommunikation und der gegenseitigen Wahrnehmung. Dazu ist die Grenze durchlässig, um in Kontakt zu treten oder um Einlass zu gewähren, um sich zu zeigen oder um wahrzunehmen.
Jeder Mensch braucht notwendig seinen Platz. Diesen erkennen wir äußerlich über drei wesentliche Aspekte:
• Der Platz zum Wohnen, zum Sein auf der Erde, der ein Ort der Entspannung und Ruhe sein soll.
• Der Platz in der sozialen Gemeinschaft, z.B. in der Familie, wo wir Liebe, Rückhalt und
Unterstützung finden.
• Der Platz um unsere je einmaligen Fähigkeiten und Kompetenzen in einen wertschätzenden
Kontext einbringen zu können. Dies ist heutzutage idealerweise der Beruf und die Arbeitsstelle.
Wir dürfen nicht davon ausgehen, dass dieser Platz, einmal gefunden, uns dauerhaft Herberge gibt. Dieser dreifältige Platz ist für mich das, was Heimat ausmacht und nicht die verkürzte Vorstellung einer geografischen Gegend, wo ich geboren oder aufgewachsen bin. Das Leben wandelt sich und auch wir sind auf dem Weg, die Orte ändern sich, heute schneller als in den Zeiten davor. Wenn die bisherigen Bedingungen und Muster nicht mehr passen, müssen wir neue schaffen und finden. Für Laozi ist der Weg von größter Bedeutung und ein wichtiger Satz im DaoDeJing heißt: „Ein Weg von tausend Meilen beginnt mit einem Schritt.“ Es ist die Entscheidung, die Unterscheidung, das ziehen einer Grenze, die uns den Weg gehen und uns immer aufs Neue die Schwelle überschreiten lässt.
Das ist sozusagen die Sicht von außen auf den gerodeten und eingegrenzten Raum, die „Yang-Sicht“. Betrachten wir den Raum von innen – in der Yin-Sicht – finden wir den Ort in uns, die eigene Mitte.
Diese Mitte ist ein Freiraum, der ebenso von drei wesentlichen Aspekten geprägt ist:
• Der Bezug zur eigenen Mitte als stete Kraftquelle und innerer Ruhepol.
• Das Gewahrsein der eigenen Mitte im komplexen Beziehungsgefüge zu uns selbst, zu unseren
Mitmenschen – speziell jenen die uns nahe stehen – und zu der Welt.
• Das „Ent-wickeln“ und „Ent-decken“ unserer eigenen Mitte als „Aufgabe“ im Leben, als „Sinn“
des Lebens.
In den verschiedenen Formen der Meditation geht es um den Kontakt mit und den Bezug zu unserer Mitte. Auch in allen asiatischen Kampfsportarten geht es darum, aus der eigenen Mitte heraus zu handeln. Verliere ich diese Basis unterliege ich im Kampf, oder anders ausgedrückt, verliere ich den Bezug zu meiner Mitte, dann verirre ich mich auf meinem Weg, werde im doppeldeutigen Sinne obdachlos.
Wenn ich hier von Yin und Yang Aspekten des Raumes spreche – Yin und Yang ist das Thema meines nächsten Beitrages – dann ist damit auch gemeint, dass diese beiden „Seiten“ erst zusammen eine Einheit und einen Sinn machen. Das eine ist ohne das andere nicht denkbar. Das spricht auch das anfangs genannte Zitat von Wendell Berry an.
Es geht letztlich immer um unsere Beziehungen zu uns selbst und zu unserer Umwelt, zu unserem Lebensraum. Und hier erkennen wir auch, was es heißt, wenn wir von Feng Shui als Harmonie sprechen. Das geht weit über die Gestaltung von Räumen hinaus und hat andererseits über die Raumgestaltung im positiven Fall therapeutische Wirkung auf den dort lebenden Menschen.