Prinzipien einer Transpersonal-spirituellen Lebensweise - Teil 6 -
von Dr. Sylvester Walch -
Wahrnehmung des All-Einen.
Wer sich von einer höheren Ordnung leiten lässt, dem wird ein beachtliches Ausmaß an Hingabe, Vertrauen und Durchhaltevermögen abverlangt. Desgleichen werden bisherige dualistische Denkweisen und Vorstellungen vom Leben auf eine harte Probe gestellt. Wir können nur dann die Präsenz des All-Einen erfahren, wenn wir es in unserem Inneren suchen.
Dabei ist es ratsam, sich vorurteilsfrei auf den Weg zu machen. Dazu bedarf es der Überwindung althergebrachter Vorstellungen von sich und der Welt. Erst dann kann sich die wahre Natur des Seins offenbaren. Die wichtigste Botschaft der Mystiker, die wir dabei unserem Verstand zumuten müssen, lässt sich in einem einfachen, aber paradoxen Satz ausdrücken:
Der Mensch ist unvollkommen in gleichem Maß wie er vollkommen ist. Der erste Teil dieser Aussage ist erfahrungsgemäß ziemlich leicht zu akzeptieren. Schon Immanuel Kant verhieß das Ende aller Träume, wenn er feststellt:
„Aus so krummem Holze, als woraus der Mensch gemacht ist, kann nichts ganz Gerades gezimmert werden.“
Unabhängig davon, ob jemand wohlhabend ist oder arm lebt, erfolgreich ist oder ohne Auszeichnung seine Aufgaben verrichtet, alleine lebt oder Familie hat, sich krank oder gesund fühlt, immer gibt es neben glücklichen Momenten auch schwierige Zeiten, in denen man sich beengt, unangenehm oder nicht in Ordnung fühlt.
Sicher braucht niemand von uns lange nachzudenken, um einen Konflikt oder Mangel in seinem Leben zu entdecken. Natürlich sollen mit dieser Aussage nicht unterschiedliche Schweregrad von Schicksalen bagatellisiert werden, aber man wird keinen Lebenslauf ohne Hindernisse finden.
Würden wir, etwas überzeichnet, den Tagesverlauf in einer psychotherapeutischen Praxis schildern, dann behandelt man um 8.00 jemand, der sich scheiden lassen möchte, um 9.00 vielleicht einen einsamen Mann, der seit Jahren erfolglos Singlepartys besucht, um 10.00 eine Frau, die an ihrem unerfüllten Kinderwunsch verzweifelt, um 11.00 ein Elternpaar, dessen Sohn die Schule abbrechen möchte, um 14.00 einen jungen 1,65m großen Mann, der sich zu schmächtig findet und um 15.00 einen Modellathleten, der depressiv ist.
Wenngleich eine psychotherapeutische Behandlung in solchen Fällen oft sehr hilfreich ist, so scheint doch der Anspruch auf ein leidfreies oder unverletzliches Dasein prinzipiell nicht einlösbar.
Betrachtet man aber jede Krise für sich, so fällt auf, dass es immer eine Zeit davor und eine Zeit danach gibt. Kein Problem währt unendlich und nichts ist von Dauer, keine Erscheinung existiert unabhängig oder alleine aus sich heraus. Ständig gibt es Bewegung, Veränderung, einen Anfang und ein Ende.
Erlauben wir uns für einen kurzen Moment, diesen Umstand durch die bewusste Betrachtung des Atems und der Gedanken, in unserem Gewahrsein zu vergegenwärtigen.
Im kommenden Artikel erkläre ich gerne eine kurze Übung (Tamboura).
Herzlichst
Dr. Sylvester Walch