Prinzipien einer Transpersonal-spirituellen Lebensweise - Teil 4 -
von Dr. Sylvester Walch -
Die Ernüchterung im Alltag.
Unter dem direkten Einfluss dieser Gotteserfahrung entschloss sich die obengenannte Seminarteilnehmerin aus dem letzten Artikel, nur noch radikal ihrem Herzen zu folgen, Mitgefühl zu üben und spirituellen Übungen einen wichtigen Platz in ihrem Leben einzuräumen. Konsequent wollte sie auch egoistische Einstellungen hinterfragen, Schädigungen, die sie anderen zugefügt hat, wiedergutmachen und das Leben entsprechend den Lehren gestalten. Gemessen an dem Elan dieses Vorhabens war es für sie unvorstellbar zu ihrem alten Lebensstil zurückzukehren.
Doch ich bin mir sicher, dass jeder von uns schon einmal darüber enttäuscht war, wie rasch solche Impulse ihre Kraft im Alltag verlieren. Man kann beobachten, wie von Tag zu Tag der Wille schwächer wird und ein allmählicher Prozess des Verdrängens einsetzt.
Als wäre nichts gewesen, scheint einige Wochen später das Leben im gleichen Trott weiterzugehen. Manche zweifeln dann an der Echtheit der Erfahrung oder beginnen sogar, sie abzuwerten. Das habe ich mir ja doch nur eingebildet, das waren frühkindliche Wunschbilder, die unverarbeiteten Resten neurotischer Konflikte entspringen. Die Aufbruchsstimmung verwandelt sich in Resignation und aus der Glückseligkeit wird Unruhe. Diese innere Bedrückung verstärkt sich, weil der Alltag in einem unerträglichen Kontrast zu dem Erlebnis steht. Wer einmal die Gegenwart des All-Einen verspürt hat, erlebt die Gottesferne als echte Seelenqual und tiefe Zerrissenheit.
An dieser Stelle sei schon angemerkt, dass wir uns von solchen Hindernissen nicht beunruhigen lassen dürfen, denn sie gehören zu jeder spirituellen Praxis.
Genau in jener Stunde, als ich an diesem Teil meines Vortrages saß, erreichte mich ein Mail folgenden Inhalts:
„Sehr geehrter Herr Walch,
Ich hatte vor nicht langer Zeit eine 2wöchige "magische Phase". Ich fühlte mich mit allem verbunden, ich war eins mit allem. Ich hatte plötzlich eine Antwort auf die mein Leben lang nagende Frage, wer ich bin. Ich brauchte nichts und niemanden.
Einmal stand ich am Fenster und dachte: Mit diesem inneren Frieden ist es gar nicht notwendig etwas zu tun und ich trage dennoch zum Heil-werden der Welt bei.“
Danach bin ich "aus dem Paradies gefallen" und wenige Tage später in die Depression. … Ich durchlebe Schmerz, Trauer, Angst und fühle mich wieder getrennt.
Warum hilft mir diese Erfahrung des Einsseins jetzt nicht? Haben Sie darauf eine Antwort?
Eine kurze Zusammenfassung meiner Antwort: Einheitserlebnisse wirken im Moment sehr befreiend, können jedoch kurz danach ihre Kraft wieder verlieren. Das ist häufig so und es bedeutet nichts anderes, als dass der Weg der Transformation beharrlich weiterzugehen ist.
Für Theresa von Avila setzt genau an dieser Stelle die Erziehungsarbeit Gottes ein und der Suchende kommt nur weiter, wenn er der Ernüchterung mit Gelassenheit und Demut begegnet. „Denn, so sagt sie, „… wie der Mensch nun einmal ist, könnte er sich schnell überheben und sein kleines Ego aufblähen, wenn er sich oft in der Nähe fühlte, ohne jedoch wirklich mit ihm vereinigt zu sein.“
Darüber hinaus müssen die inneren Strukturen geweitet und umgebaut werden, um die freiwerdenden Kräfte tragen zu können. Durch eine regelmäßige spirituelle Übungspraxis lernt der Suchende, seine öffnenden Erfahrungen in konkretes Handeln umzusetzen. Erst wenn die Wirkungen meiner spirituellen Aktivitäten sichtbar werden, kann auch mein Umfeld daran teilhaben.
Nur wer bereit ist, diese innere Arbeit zu leisten, kann die erforderlichen Transformationsprozesse durchstehen, in denen das eigene persönliche Glück relativiert wird und das Wohlergehen aller mehr in den Vordergrund rückt.
Herzlichst
Dr. Sylvester Walch