Seelische und spirituelle Prozesse -
Seelische Integration und Psychodynamik.
von Dr. Sylvester Walch -
Durchbruch zum Menschsein - Seelische Integration und Psychodynamik.
Da sich viele Menschen gerade aus inneren Nöten heraus, spirituellen Richtungen anvertrauen, lassen Sie mich genau an dieser Stelle eines ganz klar zum Ausdruck bringen. Eine spirituelle Praxis macht Psychotherapie nicht überflüssig.
Trotz der Hochkonjunktur esoterischer, schamanischer und spiritueller Angebote landete man allmählich wieder auf dem harten Boden der Realität, nachdem überzogene Heilserwartungen enttäuscht worden sind.
Man muss leider feststellen, dass die dauerhafte Veränderung von chronifizierten behindernden Lebensmustern nur sehr schwer gelingt. Es ist auch klar geworden, dass umfassende Bewusstseinsexperimente und langjährige Meditationspraxis alleine keine psychischen Probleme lösen können. Freimütig bestätigt das Ram Dass (vgl. 1989), wenn er einräumt, dass er in der gesamten Zeit seines spirituellen Weges nicht eine einzige seiner Neurosen losgeworden sei.
Es ist der Gefahr entgegenzutreten, dass sich hinter einer spirituellen Fassade eine einsame, an sich selbst leidende, Persönlichkeit verbirgt, die sich überdies dafür schämt und verachtet.
Aus diesem Grunde bleibt die psychodynamische Perspektive immer aktuell und ist nicht mit dem Eintreten in eine spirituelle Praxis erledigt.
Psychische Probleme können, falls sie unbearbeitet bleiben, sogar spirituelle Prozesse nachhaltig behindern. Zum Beispiel berichtete ein Klient, der seit Jahren in einem Ashram lebt und sich regelmäßig den Übungen unterzieht, eines Nachts von Selbstbefriedigung geträumt zu haben. Anschließend litt er unter Verfolgungs- und Bestrafungsphantasien, sobald er sexuelle Gelüste bekam.
Das spirituelle Gebot, ein gutes Leben zu führen, wurde durch ein bestrafendes Über-Ich ersetzt. Anerkennung von spiritueller Autorität hat aber nichts mit Unterwerfung und Strafe zu tun.
Gesunde Spiritualität ist auch eng mit der Bewusstmachung von Schattenaspekten verknüpft.
Die mangelnde Integration des je eigenen Schattens kann folgende Auswirkungen haben: Rigidität, unbarmherzige Strenge, subtile Aggressivität, Fassadenhaftigkeit, Falschheit, Härte gegen sich und andere. Selbstdestruktive Askese, Kasteiung oder Selbstverletzungen, wie sie zum Beispiel in ekstatischen Selbstgeißelungsritualen vorkommen, sind extreme Formen eines Krieges gegen die Natur.
Ein offener Umgang mit Konflikten, Aggressionen und Sexualität ist unumgänglich, denn sonst entstehen Tabus, verdeckte Normen, ein Hang zur Harmonisierung von Widersprüchen und ein rigider Umgang mit Zweifeln. Das Eingeständnis von Zweifeln ist indes kein Zeichen von Schwäche, sondern eine Folge ehrlichen Interesses um innere Wahrhaftigkeit und für den spirituellen Weg von hoher Bedeutung.
Wer das nicht beachtet gerät in die Sackgasse der Abhängigkeit.
Einer reifen Persönlichkeit, die in der Lage ist, autonom zu handeln und Verantwortung für sich zu übernehmen, gelingt es besser, spirituelle Erfahrungen zu integrieren und nicht abzuheben.
Psychotherapie ist eine Hilfe auf Zeit, um seelische Bruchstellen zu heilen, psychische Blockierungen zu überwinden, zur Liebe zu befähigen und Lebensfreude zu empfinden.
Spiritualität hingegen ist ein lebenslanger Entwicklungsweg, um dem Geheimnis des Lebens auf die Spur zu kommen und bedingungslose Liebe im Alltag zu verwirklichen.
Gerade am Beispiel der Liebe lassen sich auch die je verschiedenen Wirkungsbereiche von Psychotherapie und spiritueller Praxis differenzieren. Während Psychotherapie sozusagen auf den Nahbereich der personalen Liebe gerichtet ist, sollen die spirituellen Übungen dazu befähigen, diesen auf die transpersonale Erfahrungsdimension hin zu erweitern.
Wir öffnen unser Herz und sind bereit zu helfen, ohne dafür eine Gegenleistung zu erwarten. Die segensreiche Wirkung des Mitgefühls strahlt dann auf uns selbst zurück, da wir im Nächsten auch jenen spirituellen Grund würdigen, aus dem heraus wir selber existieren.
Darin eben besteht die spirituelle Qualität der Liebe, dass sie sich nicht ausschließend, sondern jeden Menschen, jedes Lebewesen, ja den Kosmos im Ganzen einbeziehend versteht.
Eine weitere Gefahr besteht auch darin, Spiritualität als Ersatztherapie anzusehen. Eine brüchige Persönlichkeit mit einem schwachen Ich wird darin in der Regel zuallererst Er-Lösung von außen suchen wie ein Süchtiger in einem Suchtmittel.
Deshalb werden erfahrene spirituelle Lehrer einem Schüler mit emotionalen Störungen zwischenzeitlich eine Psychotherapie anempfehlen, denn nur in einer authentischen Persönlichkeit kann sich eine authentische und lebensfördernde Spiritualität entfalten.
Authentizität setzt Wahrhaftigkeit im Verhältnis zu sich selbst voraus. Wird das pathologische Material hinreichend bearbeitet, kann indes eine spirituelle Praxis zur Auflösung von alten Mustern und verfestigten Gewohnheiten sehr hilfreich sein.
Durch regelmäßige Einübung der Entidentifikation und Achtsamkeit, können gerade hartnäckige Fixierungen leichter durchbrochen und die bisherige Opferrolle kraftvoller überwunden werden.
Gar nicht hoch genug einzuschätzen ist auch das heilungsfördernde Potenzial spiritueller Erfahrungen. Sie erwecken die Liebe zum Leben, das menschliche Mitgefühl und die Erfahrung der Geborgenheit im Größeren.
Für Utsch (vgl. 2008), der relevante empirische Studien zur Spiritualität analysiert hat, ist mittlerweile eindeutig belegt, dass positive Spiritualität zur Krankheitsbewältigung und Gesundheitsvorsorge dient.
Das Bedürfnis nach tiefer gehenden Erfahrungen tritt meistens dann ins Leben von Menschen, wenn sie merken, dass sie das, was sie haben und was sie sind, nicht wirklich glücklich und zufrieden macht.
Ein Kernanliegen der transpersonalen Psychologie ist es nun, auf die große Frage nach dem Sinn von Sein und Werden wieder einzugehen, ohne dabei moderne psychologische Erkenntnisse zu vernachlässigen.
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Sylvester Walch verfügt über eine langjährige Meditationspraxis und entwickelte einen kulturübergreifenden spirituellen Weg, in dem seelische Heilung und geistige Praxis verbunden werden.
Er ist Gesamtleiter des Weiterbildungscurriculums „Transpersonale Psychotherapie und Holotropes Atmen“.
Ihr
Sylvester Walch