Selbstverwirklichung und Holotropes Atmen
- Teil 9 -
von Dr. Sylvester Walch -
Erfahrungsebenen der Selbstverwirklichung im Holotropen Atmen.
4.1.2 Transpersonale Transformation – Durchbruch zum Wesen
Durch das Eintauchen in transpersonale Erfahrungsräume wird ein Prozess in Gang gesetzt, der das Leben nach innen und nach außen vollkommen umgestalten kann. Die empirisch fassbare Welt wird um eine Erfahrungsdimension erweitert, von der enorme Impulse ausgehen. Der Erfahrende erlebt auf diese Weise, dass er mehr ist als nur Persönlichkeit, Lebensgeschichte oder ein Ensemble von Rollen. Das Sein wird in seiner Transparenz erfahren und Begrenzungen als willkürliche Konstruktionen des Bewusstseins erkannt.
Die Vielfältigkeit der Erfahrungen kann nur angedeutet werden, da diese Welt von einer schier unendlichen Reichweite ist.
Da die Zeit- und Raumgrenzen transzendiert werden, kann es vorkommen, dass jemand sich plötzlich außerhalb seines Körpers erlebt, verstorbenen Angehörigen begegnet oder in fremde Kulturen eintaucht.
Sogar parapsychologische Phänomene wie Hellsehen oder Präkognitionen können auftreten.
Einmal hat ein Atmender seinen Vater in der Computertomografieröhre liegend gesehen und als er heimkam, stellte sich heraus, dass der Vater genau zu diesem Zeitpunkt einen Hirnschlag erlitten hat.
Eine befreiende Wirkung können auch Todeserlebnisse vermitteln. Eine Seminarteilnehmerin berichtete Folgendes:
„Ich werde auf einem Brett von tibetischen Mönchen getragen. Mein Körper ist ganz leicht. Die Mönche singen. Es ist eine Verabschiedung. Ich sehe eine Frau, die sehr weint und mich selbst als toter tibetischer Mönch auf dem Brett liegen. Dann werde ich verbrannt. Ich spüre das Feuer in meinen Rücken, es ist nicht unangenehm. Ich spüre auch, wie meine Knochen sich während des Verbrennens biegen. Alles weitet sich, mein Körper fühlt sich noch leichter an. Ich komme ins Licht. Es ist ein ganz tolles und behagliches Gefühl…“
Das repräsentative Erleben des Todes kann unbewusste Ängste lösen helfen und zu mehr Frieden und Gelassenheit führen.
Durch Erfahrungen, die oft als mögliche Erinnerungsspuren früheren Lebens gedeutet werden, können tief verwurzelte Schuldgefühle gelöst werden:
„Ich spüre, dass ich wieder atmen muss, atme sehr heftig. Plötzlich halte ich einen vom Körper abgetrennten Kopf in der Hand. Blut fließt heraus. Ich habe getötet, ich habe Macht! Während dieser Episode habe ich das Gefühl in einem anderen Leben zu sein. Das abgetrennte Haupt sehe ich ganz deutlich vor mir. Schwarzes Haar, bärtig, blutüberströmt. Triumphierend halte ich es, von anderen bejubelt.
Es ist, als wäre all dem ein Kampf auf Pferden vorangegangen. Das abgetrennte Haupt ist so deutlich neben mir, dass ein starkes Empfinden des Grauens aufsteigt. Ich schreie: „Nein!" Ein Gefühl von Schuld und tiefer Reue bringt mich zum hemmungslosen Weinen. Ich empfinde Erlösung.“
Große Bedeutung haben auch kollektive Erfahrungen, in denen man etwa das Leid der Hungernden in Afrika oder die schrecklichen Qualen der Juden im dritten Reich nachempfindet. Daraus entsteht tiefes Mitgefühl, das über die Grenzen des persönlichen Nahbereiches hinausgeht.
Aber auch Identifikationen mit Naturerscheinungen, wie etwa mit Bergen oder mit Tieren, können zu Kraftquellen werden, die Schwächephasen im Leben überwinden helfen. Eine besondere Rolle spielen auch Erfahrungen mit kollektiven Archetypen, durch die bislang vernachlässigte Persönlichkeitsaspekte bekräftigt und integriert werden.
Dazu wiederum eine kurze Erfahrungssequenz, in der es für eine Seminarteilnehmerin um die Befreiung des Anima Aspektes ging:
„Ich befinde mich im Bauch der Erde, tiefe Erdtöne klingen in mir. Ich habe den Wunsch, mich von meinen Fesseln zu befreien, meine Anima zu befreien und zu erlösen. Es ist schwer, die Hindernisse und Ketten, Verbote und Schranken abzuwerfen. Ich tanze einen Befreiungstanz – es ist ein ekstatischer Tanz, der sehr viel Kraft kostet. Neben der starken Anstrengung verspüre ich viel Wut, Trauer, aber auch manchmal Lust. Nach langer Anstrengung ist es soweit – ich fühle mich befreit – zur Frau erwacht... Ich fühle mich verbunden mit allen Frauen – mit dem Weiblichen. Es ist ein großes Glücksgefühl – ein ozeanisches Gefühl…“
Auch Rituale, wie sie in Übergangszeremonien, Trauerprozessen, schamanischen Reisen und Einweihungsfesten verschiedener Kulturen vorkommen, können im holotropen Atmen szenisch miterlebt werden. Dadurch wird die von ihnen ausgehende Reinigungs- und Wandlungskraft direkt auf den Erfahrenden übertragen.
Nächste Woche geht es weiter mit dem Thema "holotropes Atmen - spirituelle Dimensionen".
Herzlichst
Dr. Sylvester Walch