Durchbruch zum Menschsein - Egotransformation und Ichstärkung - Teil 2 -
von Dr. Sylvester Walch -
Durchbruch zum Menschsein - Egotransformation und Ichstärkung.
Eine von Achtsamkeit und Mitgefühl geprägte Lebenseinstellung ist gerade in der heutigen Zeit wichtiger denn je. In einer historischen Situation, die von einer eigenartigen Ambivalenz geprägt ist: Auf der einen Seite Desorientierung, Gewaltzunahme, religiöser Fanatismus und Beziehungslosigkeit, und auf der anderen Seite Sehnsucht nach Solidarität, Liebe und spiritueller Erfahrung.
Die Kluft scheint sich in einer immer mehr beschleunigten Lebenswelt noch zu vertiefen. Kimura (vgl. 2003) kommt im Hinblick auf die rasend schnelle Entwicklung der Informationsgesellschaft zu dem Schluss, dass an der heutigen Geschwindigkeit des Wandels gemessen, das zwanzigste Jahrhundert nur 25 Jahren entspräche.
Wir müssen aufpassen, dass wir uns in dieser Tempospirale nicht selbst abhandenkommen in einer Welt, die ihrer destruktiven Tendenzen nicht mehr Herr wird. Sie droht zu einer Hölle zu werden, in der, im Sinne Schopenhauers (vgl. 1960) die Menschen einerseits die gequälten Seelen und andererseits die Teufel sind.
Es ist überlebensnotwendig, innezuhalten und der aufkommenden Resignation angesichts des Ausmaßes an Elend, Umweltzerstörung, Ungerechtigkeit und Gewalt entgegenzutreten sowie sich darauf zu besinnen, welche Aufgaben zu bewältigen sind und welchen kleinen Beitrag jeder von uns leisten kann. Auch wenn die Herausforderung gewaltig erscheint, ermutigt uns Sri Aurobindo, nicht aufzugeben, sondern aktiv zu werden:
„Wenn Dein Ziel groß ist und Deine Mittel klein, handle trotzdem. Durch Dein Handeln allein werden auch Deine Mittel wachsen.“
Je mehr Menschen eine spirituelle Einstellung zum Leben aufbauen, desto eher kann sich alles zum Guten wenden. Wenn wir parallel zu unserem Engagement für eine bessere Welt die spirituelle Praxis vertiefen, werden unsere gesellschaftlichen Aktionen wahrhaftiger, einfühlsamer und authentischer im Dienste des Ganzen stehen, da die egozentrischen Bedürfnisse in den Hintergrund treten.
Ähnlich der Arbeit an Widerständen in der Psychotherapie ist aber zu berücksichtigen, dass das Ego nur dann abgebaut werden kann, wenn man in diesem Prozess mit sich mitfühlend und wertschätzend umgeht.
Dabei wird uns auch klar, dass wir dem Leben, so wie es sich vollzieht, auch mit seinen widrigen Umständen, vertrauen können. Ich brauche nicht mehr abzuwehren oder kontrollierend einzugreifen, sondern kann mich mutig dem Leben stellen und zwanglos lebendig werden lassen, was sich verkörpern möchte.
Anregungen und Impulse können angstfreier aufgegriffen und wieder losgelassen werden. Das Leben kreiert immer wieder Situationen, in denen wir wachsen können.
Auch Krisen können, wie wir wissen, Entwicklungsschübe auslösen und ruckartig klar machen, was zu tun ist. Dabei werden oft vertraute Bezüge aufgebrochen und Prioritäten neu geordnet.
Jede Situation wird so zum helfenden Freund, jedes Hindernis zum ermutigenden Lehrer. Keshab (1958) sagt: „Ich bin ein vollkommener Schüler. Ich lerne von allem.“
Es ist eine ungewohnte Sprache, die wir lernen müssen, wenn wir uns auf diese Einsichten einlassen. Wir dürfen aber darauf vertrauen, dass sich mit der Bereitschaft zur inneren Verwandlung auch die äußeren Lebensumstände zum Besseren ändern werden.
Wenn wir diese Einstellung, die mit dem Satz “Alles kann sich zum Besten entwickeln” ausgedrückt werden kann, inmitten des Alltags verwirklichen, werden Furchtlosigkeit, Gelassenheit und tiefer Frieden eine neue atmosphärische Qualität in unser Leben bringen.
Das Leben mit seinen Krisen und Übergängen wird dann zu einem täglichen Abenteuer, getragen von einem universalen, zeitlosen und beständigen Wesensgrund, von dem her sich Polaritäten und Bewertungen in ein sinnvolles Ganzes einordnen.
Psychotherapie, Arbeit mit veränderten Bewusstseinszuständen und spirituelle Übungspraxis können sich auf dem Weg zur Ganzheit in wunderbarer Weise ergänzen. Dabei ist es allerdings wichtig, dass wir uns selber gegenüber stets geduldig und achtsam bleiben.
In diesem Sinne möchte ich meinen Artikel mit den Worten von Gurumayi Chidvilasananda (1994, S. 37), einer geistigen Lehrmeisterin unserer Tage, beschließen:
„Viele Leute möchten in ihrer Entwicklung immer große Sprünge machen. Das ist schon recht, doch bedenke, dass du dabei die Schönheit jedes einzelnen Schrittes übersiehst. Jeder kleine Schritt hat seinen eigenen inneren Plan.
Möchtest du ihn nicht kennen lernen?
Wenn du achtsam Schritt für Schritt in deiner inneren Entwicklung weitergehst, machst du die Erfahrung, dass du innerlich stärker wirst, und dir wird auch bewusst, was du für das große Ziel getan hast.“
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Sylvester Walch verfügt über eine langjährige Meditationspraxis und entwickelte einen kulturübergreifenden spirituellen Weg, in dem seelische Heilung und geistige Praxis verbunden werden.
Er ist Gesamtleiter des Weiterbildungscurriculums „Transpersonale Psychotherapie und Holotropes Atmen“.
Ihr
Sylvester Walch