Seelische und spirituelle Prozesse - Psychotherapie und Spiritualität der Wunsch nach Sinnfindung.
von Dr. Sylvester Walch -
Durchbruch zum Menschsein - Wie sich seelische und spirituelle Prozesse auf dem Wege zur Ganzheit ergänzen.
1 Einleitung
Das Thema Psychotherapie und Spiritualität hat gerade in den letzten Jahren große Beachtung gefunden, nicht zuletzt deswegen, weil bei vielen PsychotherapeutInnen selbst der Wunsch nach Sinnfindung, Tiefe und Transzendenz verstärkt auftritt. Es ist aber auch zu beobachten, dass insbesondere bei schwer traumatisierten KlientInnen die Suche nach einem inneren unbelasteten sicheren Ort durchaus in die Nähe spiritueller Erfahrungen führt.
So ist es nicht verwunderlich, dass heutzutage viele Kliniken die Psychotherapie mit meditativen Verfahren ergänzen. Auch die zunehmende Anzahl von Kongressen, empirischen Forschungsansätzen und Fortbildungsangeboten, die diesem Thema gewidmet sind, sind in diesem Zusammenhang zu erwähnen.
Darin geht es aber in erster Linie darum, gesundheitsunterstützende Faktoren kontemplativer Übungen in Coping Strategien einzubauen. Das konzeptionelle Verständnis sowie der höhere Bezugsrahmen werden dabei meistens außer Acht gelassen. Dabei dürften zwei Gründe eine Rolle spielen: Erstens ist das tiefere Verständnis spiritueller Praxis nur durch persönliche Erfahrung möglich.
Viele scheuen dabei die Mühen, die damit verbunden sind. Zweitens gibt es unter PsychotherapeutInnen immer noch einen Widerstand gegen religiös anmutende Grundsätze, die dem ursprünglichen emanzipativen Anliegen der Psychotherapie zu widerstreben scheinen.
Das ist bedauerlich, denn durch eine nur oberflächliche und pragmatisch-eklektische Verarbeitung lange entwickelter spiritueller Einsichten werden sich entscheidende Synergien dieses sinnvollen Integrationsweges nicht entfalten können.
Wenn es uns gelingt, bewährte Einsichten von Weisheitsschulen mit den neueren Erkenntnissen von Psychodynamik und Bewusstseinspsychologie stringent zu verknüpfen, wird zusammenkommen, was zusammengehört.
Deshalb soll in dieser Arbeit der Weg, mögliche konzeptionelle Verknüpfungslinien freizulegen, eingeschlagen werden. Zunächst werde ich, in Form von persönlichen Erfahrungen, auf den veränderten Stellenwert, die der Bedeutung der Spiritualität in der Psychotherapie in den letzten dreißig Jahren zugekommen ist, eingehen.
Dabei soll auch klar werden, wie hier der Begriff Spiritualität, gerade in seiner Unterscheidung zur institutionalisierten Religion, verwendet wird. Notwendige kritische Einwände, die auf der allgemeinen Sehnsucht des Menschen nach ganzheitlichen und allesumfassenden Welterklärungen beruhen, sollen einer Ideologisierung von vorneherein entgegenwirken.
Danach werden die anthropologischen Grundlinien zu den Themenkomplexen Selbst, Ich und Ego erörtert, da sie für beide Seiten relevant sind und deren undifferenzierte Betrachtungsweise häufig zu Missverständnissen geführt hat.
Gleichzeitig kann durch diese Konzeptualisierung eine übergreifende und integrierte Sichtweise entwickelt werden, der später eine hohe praxeologische Bedeutung zukommt. Damit wird auch klar werden, weshalb die psychodynamische Perspektive weiterhin in Heilungsprozessen wichtig ist und nicht durch eine spirituelle ersetzt werden kann.
Der Versuch der transpersonalen Psychologie beide Bereiche sinnvoll miteinander zu verknüpfen, wird am Beispiel einer Gotteserfahrung im holotropen Atmen erläutert.
Das Thema des kommenden Artikels heißt "Wie sich der Stellenwert der Spiritualität in Psychotherapiekreisen veränderte".
Herzlichst
Sylvester Walch
Legende:
Sylvester Walch, Dr. phil., geb. 1950. Studium der Psychologie, Psychiatrie und Philosophie. Ausbilder für Psychotherapie und Lehrsupervisor für Integrative Therapie, Integrative Gestalttherapie, Transpersonale Psychotherapie und Holotropes Atmen.
Lehraufträge an verschiedenen Universitäten im deutschsprachigen Raum. Er leitete über viele Jahre eine stationäre psychotherapeutische Einrichtung und verfasste zahlreiche wissenschaftliche Arbeiten und Bücher: u.a. „Dimensionen der menschlichen Seele“, „Vom Ego zum Selbst„ und „Subjekt und Realität“.
Sylvester Walch verfügt über eine langjährige Meditationspraxis und entwickelte einen kulturübergreifenden spirituellen Weg, in dem seelische Heilung und geistige Praxis verbunden werden. Er ist Gesamtleiter des Weiterbildungscurriculums „Transpersonale Psychotherapie und Holotropes Atmen“..