Können wir dem Leben vertrauen? - Umgang mit widrigen Erfahrungen.
von Dr. Sylvester Walch -
Dem Leben vertrauen und wie soll ich mit widrigen Erfahrungen umgehen?
Nachdem wir uns zuletzt mit der segensreichen Wirkung des Mitgefühls und der Dynamik des Leidens auseinandergesetzt haben, werde ich mich diesmal mit einem Thema befassen, das uns direkt in die Tiefe spiritueller Einsichten führt. Keshab sagt: „Ich bin ein geborener Schüler. Ich lerne von allem.“
Dieser scheinbar einfache Satz kann eine enorme Wandlungskraft entfalten, wenn wir uns davon leiten lassen. Damit wird gesagt, dass alles, was geschieht, für unsere Entwicklung von großer Bedeutung sein kann.
Jede Situation, mit der wir konfrontiert sind und jeder Mensch, der uns begegnet, tragen das Potenzial in sich, mehr über uns selbst zu erfahren und unseren Weg zu unterstützen. Beispielsweise geschieht es nicht selten, dass wir uns in einem Verkehrsmittel zufällig neben jemanden setzen, der uns wichtige Informationen über eine Stadt geben kann, die wir das erste Mal besuchen.
Noch folgenreichere Umstände haben etwa das Zustandekommen meines Buches „Dimensionen der menschlichen Seele“ außerordentlich begünstigt. Ein Seminarteilnehmer, dessen Schwester damals bei einem großen Verlag als Cheflektorin tätig war, sprach mich an, ob ich denn etwas über meine interessante Arbeit schreiben wolle.
Er erzählte seiner Schwester von mir und so nahm das Schicksal seinen Lauf. Ich bin mir sicher, dass auch Sie von ähnlichen Begebenheiten erzählen können, in denen zufällige Begegnungen oder unerwartete Ereignisse Ihrem Leben eine neue Richtung gaben.
Von solchen außergewöhnlichen und positiven Erfahrungen, die leicht erkennbar zu neuen Lebensentwürfen führen, können wir natürlich gut und gerne erzählen. Kann man aber auch von widrigen Ereignissen, tiefen Sinnkrisen oder schwierigen Konflikten behaupten, dass sie uns am Ende einen wertvollen Dienst erweisen?
Ich denke dabei an einen Unfall, bei dem ich mir drei Wirbel brach, oder eine KlientIn, die wie aus heiterem Himmel von ihrem Partner verlassen wurde oder an einen Freund, dem ohne ersichtlichen Grund gekündigt wurde. Wie wir alle wissen, ist es gar nicht so leicht, mit derartigen Erfahrungen, in denen uns die Wirklichkeit ins Wort fällt, konstruktiv umzugehen. Meistens reagieren wir auf solche Erlebnisse mit heftigem Schmerz, tiefer Trauer oder ohnmächtiger Wut.
Die Seele antwortet spontan, direkt und emotional. Das ist zunächst gut so und es ist wichtig, diese Gefühle nicht zu verdrängen oder runterzuschlucken. Auch wenn wir beginnen, uns über unser Schicksal zu beklagen oder mit Gott und der Welt zu hadern, ist das selbstverständlich in Ordnung. Lasse einfach zu, was sich zeigen möchte und sage Ja zu Deinen Gefühlen. Besser ist es, Blitz und Donner
oder ein Tränenmeer zuzulassen, als diese Impulse zu unterdrücken.
Die Folge wären psychosomatische Erkrankungen, wie Magengeschwüre, Hautausschläge, Rückenbeschwerden oder depressive Verstimmungen. Diese Erkrankungen haben in der Regel mit unterdrückten Gefühlen zu tun, denn die nicht ausgedrückten Impulse wenden sich gegen uns selbst.
Wenn es uns aber gelingt, den aufkommenden Emotionen Raum zu geben, wie einem Fluss, der über die Ufer tritt, werden wir uns allmählich beruhigen und fruchtbare Seelenlandschaften vorfinden. Genau an diesem Punkt beginnt die spirituelle Transformationsarbeit.
Der erste und oft äußerst schwer zu gehende Schritt ist, dem zuzustimmen, was geschehen ist. Das heißt nicht, dass wir alles schnell vergessen oder wir anderen Menschen, die uns Leid zugefügt haben, vorschnell verzeihen sollen. Zuzustimmen oder „Ja“ zu sagen, bedeutet zunächst nur, dass wir anerkennen, dass uns das passiert ist.
Dabei müssen wir auch bereit sein, von quälenden Gedanken, die nach meinem vorher erwähnten Unfall aufkamen, wie etwa „wäre ich doch nicht ins Schwimmbad gesprungen“, Abschied zu nehmen. Es ist sehr wichtig, dass wir das, was nicht mehr zu ändern ist, annehmen. Dieser Prozess des Akzeptierens kann nur dann erfolgsversprechend sein, wenn wir gleichzeitig Mitgefühl mit uns selbst üben.
Sie erinnern sich vielleicht noch an das schöne Zitat von Buddha in meiner ersten Kolumne. Gerade wenn uns etwas Schmerzvolles widerfahren ist, kann die Selbstliebe und Selbstfürsorge die Härte aus dieser Situation nehmen. Dann bringen wir es auch leichter fertig, sich nicht mehr über die Umstände zu beklagen oder sich nur als Opfer zu fühlen.
Wenn wir also anerkennen, was ist, und dabei noch achtsam mit uns selbst umgehen, schaffen wir ein Klima, in dem sich Blei in Gold verwandeln kann. Nach unserer ersten unmittelbaren Reaktion können wir nun einen zweiten Blick auf die Situation werfen, indem wir beginnen, zu fragen: Was will sie mir sagen? Wohin möchte sie mich führen? Was bedeutet sie für mein Leben?
Dabei ist es ratsam, eine meditative Haltung einzunehmen und sich innerlich leer zu machen. Vielleicht an einem Ort, sei es in der Wohnung oder der Natur, der es uns erleichtert, in die Stille zu gehen.
In diesem kontemplativen Erkenntnisprozess ist darauf zu achten, dass wir nichts verwerfen, sondern bewertungsfrei alles registrieren, was innerlich auftaucht. Das können Sätze, Bilder, Symbole, Körperzustände, etc. sein. Dabei ist es zunächst nicht wichtig, ob wir glauben, dass die inneren Antworten auch zu unseren Fragen passen.
Also, einfach nur wahrnehmen, was spontan aus der Mitte Ihres Wesens kommt. Sie werden davon überrascht sein, wie weise Ihr Inneres ist. So erfuhr jemand nach einem schweren Autounfall, dass es an der Zeit ist, seinen oberflächlichen Lebensstil zu ändern.
Jemand anderer, dem gekündigt wurde, wurde klar, dass er an seiner alten Arbeitsstelle seine Fähigkeiten und Talente nicht wirklich einbringen konnte. Mir selbst wurde in eindrucksvoller Weise klar, dass ich meine Stelle als Krankenhausleiter aufzugeben habe, um mich ganz der Verbreitung der transpersonalen Psychologie zu widmen.
Solche Erkenntnisse helfen uns, dem Leben, so wie es sich vollzieht, zu vertrauen, denn die universale Weisheit kreiert immer wieder Situationen, in denen wir wachsen können. Lassen wir uns darauf ein, werden wir furchtloser, gelassener und liebevoller unseren Alltag bewältigen.
Dr. Sylvester Walch
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