Prinzipien einer Transpersonal-spirituellen Lebensweise - Teil 7 -
von Dr. Sylvester Walch -
Wahrnehmung des All-Einen - Übung Tamboura.
Kurze Übung (Tamboura): Ich bitte Sie auf dem Stuhl wieder eine aufrechte und entspannte Haltung einzunehmen, die Augen zufallen zu lassen und die Hände auf den Bauch zu legen. Jetzt richten Sie Ihre Aufmerksamkeit nur auf Ihren Atmen. Ich atme ein und ich atme aus. Jedem Einatmen folgt ein Ausatmen und jedem Ausatmen ein Einatmen.
Dann spüren Sie ganz bewusst den Übergang oder vielleicht diesen winzigen Raum, der zwischen dem Einatmen und dem Ausatmen liegt. Dann können Sie die Hände wieder locker auf die Knie legen. In einem zweiten Schritt beobachten wir die Gedanken. Zunächst einfach nur registrieren, wie jeder Gedanke aufsteigt und wieder absteigt, kommt und geht. Und vielleicht können Sie auch wieder feststellen, wie zwischen Aufsteigen und Absteigen der Gedanken sich ein Übergang bildet, vielleicht sogar eine kleine Lücke oder ein Zwischenraum entsteht. Erlauben Sie sich, ein wenig in diesem Zwischenraum niederzulassen.
Jetzt bitte ich Sie, wieder mit Ihrer Aufmerksamkeit zurückzukommen.
Das Entscheidende für die spirituelle Praxis ist, dass diese Zwischenräume größer werden können. Das ist aber nur möglich, wenn wir das, was sich in uns zeigt, nicht ergreifen oder dem weiter nachgehen, sondern einfach nur geschehen lassen.
Diese Übung können wir für jede Art innerer Aktivität, ob das nun Empfindungen, Bilder oder Gedanken sind, durchführen.
Durch das Zurücktreten des identifizierenden Bewusstseins von der Position des Mitspielers auf die Position des Beobachters glätten sich die Wogen. In der Zentrierung auf den gegenwärtigen Augenblick bemerken wir vielleicht auch, dass etwaige Sorgen, Pläne oder Frustrationen, mit denen wir uns sonst intensiv beschäftigen würden, ein wenig in den Hintergrund treten.
Da unser Fokus dann nicht mehr auf etwas Bestimmtes gerichtet ist, kann unser Bewusstsein beweglicher, weiter und offener werden. Dadurch können wir auch besser das Umgreifende und das Dahinterliegende erspüren. Die endlichen Dinge können dann im Raum der Unendlichkeit in ihrer Transparenz und Verbundenheit wahrgenommen werden.
Vielleicht erleben wir auch, dass dort alles fließt und pulsiert, sich zu einem Rhythmus, zu einer Schwingung und zu einem Gleichklang fügt.
Rumi sagt: Hinter den Gedanken liegt ein Feld. Möchtest Du mich dort treffen?
Er verweist auf das vom Vorstellen und Denken unberührte Sein, das sich durch gewähren lassen entbirgt. Alles darf so sein, wie es ist und wir fühlen uns vollkommen in der Ordnung, eingebettet in das Ganze, tief verbunden mit dem Leben und der Mitwelt.
Wenn im unmittelbaren Gewahrsein alles so erscheinen kann, wie es ist, wird sich das Sein seiner Wesensnatur bewusst. Deshalb ist es so wichtig, die Gedankenwelt zu beruhigen, das eigene Wünschen zurückstellen und loslassen zu lernen. Es ist das größere Ganze, dem man zwischen den Gedanken, Empfindungen, Atemzügen und Herzschlägen begegnen kann. Es ist immer da, immer nah, jederzeit zugänglich, aber nie aufdringlich, nur durch einen dünnen Saum von uns getrennt.
Für Muktananda „…haben wir bereits alles, alles was uns fehlt, ist diese Einsicht.“
Der Mensch ist also mehr als nur Persönlichkeit, Lebensgeschichte oder ein Ensemble von Rollen. Er ist getragen und durchdrungen von dem grenzenlosen Einen. Diese universale Dimension des Seins kann sich jedoch nur öffnen, wenn man innehält, etwas tiefer atmet und alles in die Stille hinein loslässt. Sie offenbart sich wie ein klares, die Tiefen der Existenz durchdringendes Licht.
Für Gurumayi liegt „…hinter den Schwankungen Deines Lebens .. etwas sehr Beständiges und Konkretes, es ist immer gegenwärtig. Es ist das göttliche Licht, das ununterbrochen … existiert.“
Es ist eine Quelle von Heilung, Inspiration und Kraft.
David Steindl-Rast sieht darin „… einen unerschöpflichen Wesensgrund, der in jedem von uns und in allem existiert.“
Es ist in jeder Form und jenseits aller Formen, individuell und universell. Nur so ist es denkbar, dass es sich einerseits im individuellen Erleben als spezifische Gotteserfahrung zeigen kann, andererseits aber ebenso als universales Gefühl der Verbundenheit oder Transparenz, als Erfahrung der Fülle oder der Leere.
Wir können es überall finden, ob in der Natur, in Tätigkeiten oder in anderen Menschen. Auch wenn es leichter fallen mag, das Göttliche in sich zu entdecken, so ist es eine ganz spezielle spirituelle Übung, dieses Licht stets auch im anderen zu sehen: „Gott in Dir als Du“.
Dieses Etwas, das in jedem und allem wirkt, kann auch direkt angesprochen werden.
Wer beispielsweise eine schwierige Aufgabe vor sich hat, in einer Krise steckt oder eine existenzielle Frage zu beantworten hat, kann mit diesem Feld in Verbindung treten, um Hilfe zu erlangen. Es weiß mehr, als wir wissen können und es greift tiefer als wir begreifen können.
Um mit dieser Inneren Weisheit direkt zu kommunizieren, kann auch ein Gebet gesprochen oder ein Mantra wiederholt werden.
In jeder Situation, ganz gleich an welchem Ort der Welt, können wir das praktizieren. Und wir werden davon überrascht sein, wie diese kleine Übung unsere Handlungen im Alltag zu bereichern vermag.
Diese wegleitende und hilfsmächtige Instanz kann uns natürlich umso wirkungsvoller unterstützen, je öfter und regelmäßiger wir mit ihr Kontakt aufnehmen.
Deshalb lassen Sie mich noch einige Gedanken zur Meditation, die Königsdisziplin jeder spirituellen Praxis, die genau dies bewirken möchte, anfügen. Da es viele unterschiedliche Wege und Techniken gibt, will ich hier nicht auf Details eingehen. Die stille Meditation ist eine einfache und segensreiche Übung, die Millionen von Menschen praktizieren. Wer sich ihr widmet, befindet sich in einer weltweiten Gemeinschaft, mit der man sich bewusst verbinden kann.
Wenn jemand zu meditieren beginnt, wird er in der Anfangszeit auf größere Schwierigkeiten stoßen. Das freischwebende Hineinhören in die Stille kann durch die Unstrukturiertheit zu erhöhten körperlichen Spannungen wie zu einem verstärkten Gedankenfluss führen. Gerade dann, wenn wir ruhig werden wollen, wird es zunächst lauter.
Das ist normal, denn wenn wir innehalten, beginnen wir erst zu hören, wie viele Geräusche in uns sind. Es ist ein gutes Zeichen, denn es bedeutet, dass die Sinne wach werden. Meditation führt generell zu mehr Wahrnehmungssensibilität, Klarheit und Verbundenheit
Wenn man nun die inneren Abläufe weder kommentiert noch bewertet, sie also einfach nur sein lässt, kann sich der Geist sammeln und tief in das Innerste seines Wesens versenken.
Es ist wichtig, nicht zu viel zu wollen, denn das führt meistens zu Frustrationen.
Wenn ich die Jahre zurückblicke und alle Ausreden, weshalb jemand keine Zeit zum Meditieren findet, vortragen würde, bräuchte ich dafür sicher eine weitere Stunde. Was steckt eigentlich hinter diesen Schwierigkeiten? Es kann doch nicht sein, dass 20-40min. der Stille am Tag solche innere Konflikte mit sich bringen. Und doch birgt diese unscheinbar wirkende Übung einigen Sprengstoff in sich.
Wenn ich beginne, alles, was mich 23 Stunden am Tage in seinen Bann zieht, wie etwa unerledigte Aufgaben, Konflikte am Arbeitsplatz, Bewertungen, Pläne usw., zur Seite zu legen, was ist dann eigentlich von mir noch übrig?
Wir gehen ein hohes Risiko ein, wenn wir meditieren, weil uns dabei bewusst wird, dass vieles loszulassen ist, dem wir bisher Bedeutung beigemessen haben. Das fühlt sich wie ein vorgezogenes Sterben an. Die Frage lautet also nicht „will ich heute meditieren, sondern, bin ich bereit, heute wieder ein klein wenig zu sterben?“
David Loy deutet die Hemmung, zu meditieren, als eine Angst vor der Nondualität, weil auf einer tieferen Ebene des Bewusstseins die Grenzen zwischen Ich und Du, Mein und Dein, Das und Jenes, Gut und Böse, usw., fallen.
Herzlichst
Dr. Sylvester Walch