Warum Spiele uns Menschen so faszinieren –
ein psychologischer Einblick
Ein Blick in die Geschichte offenbart, dass der Mensch seit je her eine Leidenschaft für alle Arten von Spielen besitzt. Fast scheint es so, als wäre der Wunsch nach Unterhaltung und fordernden Aufgaben vom Kind bis zum Greis tief in der menschlichen Psyche verankert.
Aber welche Hintergründe bestimmen das spielerische Bedürfnis unserer Spezies?
Die Geschichte der Spiele
Schon steinzeitliche Höhlenmalereien in Frankreich zeugen vom spielerischen Umgang mit der Materie; Wandbilder aus dem minoischen Griechenland bilden dagegen sportliche Wettkämpfe ab. Insgesamt kann man davon ausgehen, dass Spiele den Menschen während seiner gesamten Entwicklungsgeschichte begleiteten. Für folgende heute noch bekannte Spiele sind jeweils historische Vorbilder bekannt:
1. Brettspiele
Als Urversion des Schachspiels gilt das um das 5. Jahrhundert nach Christus in Nordindien entstandene Chaturanga. Als Vorläufer von Backgammon und Mensch-ärgere-dich-nicht betrachtet die Forschung hingegen das altägyptische Schlengenspiel Senet, das seit mindestens 3000 v. Chr. große Beliebtheit genoss. Hierbei bewegten die Spieler ihre Figuren über das Spielfeld, nachdem sie durch den Wurf von sogenannten Zählknochen, den antiken Würfen, die Anzahl der Schritte bestimmten. Speziell markierte Felder verhießen dabei Glück oder Unglück – hier musste der Spieler seine Figur entweder an den Startpunkt zurücksetzen oder durfte Felder überspringen. Gewonnen hatte schon damals, wer alle seine Figuren als erster ins Ziel namens Per-nefer (das „Haus des Guten“) gebracht hatte.
Spiele begleiten die Menschheit schon seit mehreren tausend Jahren. Schach gehört zu den frühren Vertretern.
2. Ballspiele
Wie Königstöchter und Mägde mit dem Ball spielen und dabei den griechischen Helden Odysseus wecken, beschreibt bereits der Dichter Homer in seiner Odyssee. Reliefs an den Ruinen in Mittelamerika demonstrieren darüber hinaus, dass Ballspiele auch bei Azteken und Mayas eine kultische Bedeutung besaßen. Interessanterweise galten in Mittelalter und Rokoko bestimmte Formen des Ballspiels als prädestinierte Beschäftigungen für die weibliche Jugend, während Fußball, American Football und Baseball heutzutage vor allem zur Bildung des männlichen Selbstverständnisses dienen.
3. Sportliche Wettkämpfe
Als Inbegriff der sportlichen Wettkämpfe wurden die olympischen Spiele im antiken Griechenland bereits seit 776 v. Chr. im Turnus von vier Jahren durchgeführt. Viele Disziplinen wie Diskuswurf, Ringen, Speerwurf und Laufsport haben sich dabei bis in die Neuzeit als olympische Disziplin erhalten. Andere, wie etwa das Fechten oder Bogenschießen, basieren auf ritterlichen Kampfspielen des Mittelalters.
4. Glücksspiele
Gemäß der Überlieferung soll die Urform des chinesischen Keno-Spiels vor 2200 Jahren für die Finanzierung der chinesischen Mauer erfunden worden sein. Lotterien, wie wir sie heute kennen, entwickelten sich ab dem 14. Jahrhundert in Holland und Italien. Damals bestimmte man per Los 5 Ratsherren aus 90 Kandidaten, was die Grundlage für einen regen Wettbetrieb in der Bevölkerung bot.
5. Geschicklichkeitsspiele
Als eines der ältesten Geschicklichkeitsspiele gilt Mikado, das in leicht abgewandelter Form bereits im Rom des 1. Jahrhunderts gespielt wurde. Ähnlich dem chinesischen Stäbchenorakel versah man die Anordnung der Stäbchen auf dem Feld mit einer schicksalhaften Bedeutung. Die Fähigkeit eines Spielers, bestimmte Hölzchen zu bewegen, ohne andere dabei zu tangieren, zeichnete ihn als aktiven Gestalter seiner Zukunft aus.
Worin liegt unser Spieltrieb begründet?
Als Spiel ist eine Tätigkeit definiert, die der Spieler allein aus Freude an ihrer Ausübung vollführt. Diese Tatsache lässt Soziologen, Psychologen und Gehirnforscher seit Jahrzehnten nach Gründen suchen, wie der auf den ersten Blick sinnlos anmutende Spieltrieb mit unserer Psyche und der menschlichen Biologie in Einklang zu bringen ist.
- Lernen durch Spielen: Spielerisches Verhalten findet man nicht nur bei Menschen, sondern auch bei diversen tierischen Spezies, insbesondere im Kindesalter. Der Theorie zufolge erproben wir im Spiel Verhaltensweisen, die uns im späteren Leben dienlich sein können. Ganz grundsätzlich tragen komplexe Spiele bei Kindern zur Förderung der motorischen und der kognitiven Fähigkeiten bei.
- Parallelwelten erkunden: Viel weniger Bezug zur Realität besitzt das Spielen laut Vorstellung des Psychoanalytikers Sigmund Freud. Er vertrat die Ansicht, dass gerade Aspekte, die im wahren Leben unmöglich bleiben, das Spiel für den Menschen so faszinierend macht. In Spielwelten werden Wünsche verwirklicht, Tabus gebrochen, Aggressionen ausgelebt und Persönlichkeitszüge angenommen, die der Spieler in Wirklichkeit kaum aufweist. Gerade im Hinblick auf die heutige Möglichkeit, in digitale Welten abzutauchen, scheint Freuds Modell durchaus sinnhaft.
- Go with the Flow: Der Zustand des sogenannten „Flow“ wurde in den 1980er Jahren vom Spielwissenschaftler Mihály Csíkszentmihályi definiert und bezeichnet eine Art Trance, die jemand erlebt, der voll und ganz im Moment seiner Tätigkeit aufgeht. Dieses Erleben schildern sowohl Extremsportler als auch Durchschnittsmenschen, die einer Aufgabe nachgehen, bei der die Anforderung mit ihren Fähigkeiten im absoluten Einklang steht. Das Zeitgefühl fokussiert sich im Flow ins Hier und Jetzt, während der Erfolg der Tätigkeit synchron zum Handeln sichtbar wird. Viele moderne Computerspiele sind darauf ausgerichtet, dem Spieler ein schnelles Flow-Erlebnis zu ermöglichen.
- Wettbewerb und Eigenvorteil: In diesem Punkt sind nicht alle Menschen gleich angelegt. Ein einfacher Versuch, bei dem eine Geldsumme ungleich unter zwei Spielern aufgeteilt wird, offenbart die Charaktere: Nur wenn beide Spieler dem Deal zustimmen, erhalten sie das Geld – andernfalls gehen beide leer aus. Während eine Gruppe von Menschen sich bereitwillig mit dem kleineren Teil begnügt und dem Gegenüber den Gewinn gönnt, blockieren andere jedes Arrangement, das ihnen nicht das Maximum bietet.
- Belohnung durch Dopamin: Während unser Gehirn einen Zustand der ruhigen Zufriedenheit mit einem erhöhten Serotoninspiegel begleitet, schüttet es bei unverhofften Glücksreizen hohe Dosen des Neurotransmitters Dopamin aus. Mit diesem Mechanismus „markiert“ die menschliche Hirnchemie Augenblicke sexueller Lust, den Genuss zuckerreicher Nahrung aber auch plötzliche Geldgewinne, wie sie beim Glücksspiel eintreten. Evolutionäres Ziel der Dopaminausschüttung ist, dass wir uns gut an die gewinnbringende Situation erinnern und den starken Wunsch hegen, sie zu wiederholen. Was in archaischen Zeiten das Überleben sicherte, kann durch dopaminstimulierende Drogen wie Kokain heutzutage ins Verderben führen.
Das Belohnungssystem in unserem Gehirn spielt eine wichtige Rolle bei Gewinnen von Spielen –
es schüttet vermehrt Dopamin aus.
Gefahren und Möglichkeiten des Spielens
Sinnlos oder kreativ? – Nie zuvor waren die Auffassungen gegenüber Spielen so geteilt wie in der Ära der Computerspiele. Bei der Frage, ob das Spielen uns nützt oder schadet, sollten verschiedene Aspekte Berücksichtigung finden.
- Kreativität: Spielen fördert kreative Denkprozesse immer dann, wenn die Tätigkeit anspruchsvoll und schöpferisch ist, jedoch der jeweiligen Altersstufe angemessen. Werden Kinder früh mit digitalen Medien in Kontakt gebracht, kann die Reizüberflutung ihr sich entwickelndes Gehirn durchaus überfordern und eher zur Passivität erziehen. Erwachsene Entwickler moderner Computerspiele handeln dagegen höchst kreativ und verschreiben ihr berufliches Engagement ganz dem menschlichen Spieltrieb.
- Sozialkontakt: „Geh mal nach draußen und spiel mit deinen Freunden!“ – mahnten früher Eltern ihre eigenbrötlerischen Stubenhocker. Wer sich heutzutage in seinen eigenen vier Wänden in digitalen Welten herumtreibt, ist dabei jedoch alles andere als einsam. Die Online-Versionen komplexer Computerspielwelten ermöglichen den Teilnehmern sowohl das Agieren in Teamwork als auch das Ausleben strategischer Wettkämpfe, wie sie traditionell anspruchsvolle Brettspiele bieten.
- Spielsucht: Vom „Moorhuhnschießen“ bis hin zu „Candy Crush“ – Spiele, die ein schnell verfügbares Flow-Erlebnis garantieren, werden häufig genutzt, um alltägliche Pausen zu überbrücken. Problematisch wird es immer dann, wenn das Abtauchen in Spielwelten ein Symptom dessen ist, dass das Leben drumherum emotionale Mangelzustände aufweist. Wer sich ausschließlich in digitalen Welten aufhält, bereichert sein Leben dadurch nicht mehr, sondern lässt es verarmen. Schließlich können die Dopaminkicks, wie sie das Spielen um Geld mit sich bringt, auf dieselbe Weise eine Sucht erzeugen, wie es Drogen tun. In diesem Fall birgt das Spiel sogar das Risiko, die reale Existenz eines Menschen ernsthaft zu gefährden.
Fazit
Ob Strategiespiel, Geschicklichkeitsspiel oder Glücksspiel – sämtliche Formen der Freizeitgestaltung begleiten den Menschen bereits seit Jahrtausenden. Selbst die modernen Formen stellen lediglich neue Versionen althergebrachter Spielprinzipien dar. Durch die Präsenz digitaler Medien und die immerwährende Verfügbarkeit bergen einige Spiele heutzutage allerdings ein höheres Risiko für Suchtentwicklung und für soziale Isolation. Spiele scheinen jedoch grundsätzliche Bedrüfnisse ins uns zu befriedigen und werden somit vermutlich auch in der Zukunft eine wichtige Rolle für den Menschen einnehmen.
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