Aktuelle Situation - Stress, Erschöpfung, Burn-out.
von Dr. med. Roger Eisen -
Burn-out und Stress als Normalzustand?
Schaut man heutzutage in die Tageszeitungen und Magazine, findet man einen Begriff geradezu inflationär verbreitet – Burn-out. Während früher in Medizinerkreisen von psychovegetativen oder psychophysischen Erschöpfungszuständen die Rede war, wenn man einen Patienten vor sich hatte, der müde und schlapp in die Sprechstunde kam, wird heute oft leichtfertig sofort von Burn-out gesprochen.
Der Begriff "Burn-out" bezeichnet aber einen ganz bestimmten Endzustand einer chronischen Stressreaktion, ausgelöst durch immer wiederkehrende Stresszustände, die nicht durch angemessene Entspannungsphasen ausgeglichen werden.
Burn-out stellt also quasi ein Endstadium einer chronischen beruflichen oder privaten Belastungssituation dar – vereinfacht einen Zustand des „Ausgebranntseins“, der totalen Erschöpfung.
Im Leben eines Menschen, der in sich in seiner Mitte befindet, also psychisch, seelisch und emotional ausgeglichen ist, wechseln sich idealerweise Phasen von Anspannung und Entspannung in harmonischer Weise ab.
Lassen Sie mich zur Verdeutlichung noch einmal kurz auf unseren Sportwagen zurückkommen. Kein fürsorglicher Besitzer käme auf die Idee, seinen geliebten Wagen tage- oder wochenlang mit Vollgas zu quälen! Der Motor des Flitzers darf nach einigen Runden auf der Rennstrecke oder Autobahn mit mäßigem Tempo abkühlen und dann wird das Auto in die Garage gefahren.
Genau die gleiche Person ist aber vielleicht ein gestresster Manager, der sich selbst monatelang keine Ruhe gönnt und seinen Körper damit an den Rand eines Zusammenbruchs bringt, ohne es selbst zu realisieren.
Burn-out ist ein schleichender, langandauernder Prozess und deshalb so gefährlich. Betroffene merken erst nach Jahren, dass mit ihnen etwas nicht stimmt. Die körperliche, emotionale und geistige Zerschlagenheit ist, anders als beim Stress, nicht alleine durch Sport, Entspannungsübungen oder einen Kurzurlaub zu bewältigen.
Der Symptomenkomplex Burn-out ist krankhaft und weist deutliche, medizinisch behandelbare Eigenschaften auf. Zwar sind meist Menschen betroffen, die unter immensem Druck und starker Überbelastung leiden und dafür kaum Anerkennung bekommen, jedoch kann es im Grunde jeden treffen, der sich chronisch überlastet oder übermotiviert seiner Arbeit oder seinen sozialen Verpflichtungen hingibt.
Auch bekannte Persönlichkeiten wie Nationaltorwart Robert Enke, Skispringer Sven Hannawald, Starkoch Tim Mälzer oder Weltstars wie Mariah Carey und Robbie Williams wurden von dieser Krankheit nicht verschont.
Ich habe aber immer mehr Menschen in meiner Behandlung, deren Berufe nicht zu den klassischen Stressberufen wie Manager oder Lehrer zu zählen sind, sondern die ein durchaus „normales“ Alltagsleben führen. So kann die berufstätige Hausfrau und Mutter, die ihr kleines Familienunternehmen leitet, schnell in die Burn-out-Falle tappen, wenn sie sich einer dauerhaften und übermäßigen Mehrfachbelastung durch Familie, Haushalt und Beruf aussetzt.
Wir werden durch Stress immer kränker
10 % aller Erwerbstätigen gehen vorzeitig in den Ruhestand
40 % aller Menschen fühlen sich überfordert und gestresst
60 % aller Arbeitsfehltage in der EU basieren auf Stress
80 % Zunahme von subjektiv empfundenem Stress seit 1995
Man spricht mittlerweile in Managerkreisen von der Vernichtung humanen (menschlichen) Kapitals, mit der Folge, dass das Vorhandensein menschlicher Arbeitskraft zukünftig wie das von Maschinen bilanziert wird.
Große Firmen machen für den Burn-out ihrer Top-Führungskräfte steuerliche Rückstellungen in Höhe von bis zu 600.000 Euro pro Jahr und Person! Fällt nämlich ein Mitarbeiter deswegen aus, kann die Genesung Monate dauern, falls er überhaupt an den Arbeitsplatz zurückkehrt. Krankschreibungen erfolgen häufig neben Burn-out gerade auch wegen depressiver Episoden und akuter Belastungsreaktionen.
Eine aktuelle Studie aus dem Jahr 2012 (Prävalenz von Burn-out in Deutschland nach Geschlecht, Alter und sozialem Status im Jahr 2012 – www statista.com), bei der 7807 Personen befragt wurden, zeigt deutlich, dass mehr Menschen unter dem Burn-out-Syndrom leiden, als man annimmt.
So sind 3,3 % der befragten Männer und 5,2 % der Frauen von Burn-out betroffen.
Sehr auffällig ist zudem, dass 6,6 % der an der Umfrage teilnehmenden 50- bis 59-Jährigen, jedoch nur 1,4 % der 18- bis 29- und 1,9 % der 70- bis 79-Jährigen an diesem Syndrom erkrankt sind.
Eindeutig zeigt sich somit der Zusammenhang mit der Dauer der chronischen Stressbelastung. Burn-out äußert sich meist erst nach längerer beruflicher und sozialer Belastung, also wie bereits beschrieben nach einem langwierigen Prozess.
Im nächsten Abschnitt erkläre ich Ihnen, was bei einer akuten Stressreaktion in unserem Körper passiert und wie daraus ein chronischer Erschöpfungszustand oder ein Burnout entstehen kann.
Wir sind nämlich immer noch „Opfer“ unserer Evolution! Auch wenn wir nicht mehr auf den Bäumen leben oder in primitiven Unterschlupfen hausen, keine wilden Tiere mehr bekämpfen oder unsere tägliche Nahrung jagen müssen – wir funktionieren immer noch nach den Bauplänen unserer Vorfahren aus grauer Urzeit. Diese unwillkürlich ablaufenden Reaktionen haben einst unser Überleben gesichert, heute schaden sie aber leider oft eher, als sie nützen.
Bleiben Sie gesund -
herzlichst Ihr Dr. med. Roger Eisen