Anders zu sein ist das Normale!
Legasthenie, ADS und ADHS als Talent erkennen.
Ein persönlicher Erfahrungsbericht von Peter Classen
Es ist wie mit einer Medaille: Es liegt an uns, von welcher Seite wir Menschen, die anders sind, anschauen. Bedauerlicherweise wird in unserer Gesellschaft Legasthenie, ADS/ADHS und Hochbegabung überwiegend als Behinderung angesehen.
So schreibt der Duden: „Legasthenie, Leseschwäche (psychologisch-medizinisch): mangelhafte Fähigkeit, Wörter zusammenhängender Texte zu lesen oder zu schreiben.“ Damit ist Legastheniker jemand, der an Legasthenie leidet.
Hier wird dem Legastheniker und dessen Angehörigen suggeriert, dass der Legastheniker mangelhafte Fähigkeiten hat und leidet. Das ist nur ein Beispiel. Es gibt viele davon.
Ich selber habe mich als Legastheniker und ADS’ler mit einer solchen Definition nicht abfinden wollen, wusste ich doch tief in meinem Inneren, dass ich nicht behindert bin.
Als Kind gingen meine Eltern mit mir zu einem Psychologen, der dann feststellte, dass ich überdurchschnittlich intelligent bin. Das war die eine Seite der Bewertung meiner Person. Die andere Seite der Bewertung kam aus der Schule von den Lehrern. Meine Noten in Deutsch und Englisch lagen immer zwischen mangelhaft und ungenügend. Auf die anderen Fächer wirkte sich die Legasthenie auch nicht sehr positiv aus. In diesem Widerspruch der verschiedenen Urteile der Fachleute fand nun also meine Kindheit statt.
Woher aber kamen meine Englischkenntnisse, die ich Jahre später als Manager bei einem japanischen Fahrzeughersteller benötigte? Und ich arbeitete überwiegend auf Englisch.
Zu keiner Zeit meines Lebens habe ich diesen Widerspruch akzeptiert. Heute weiß ich, dass ich Bilderdenker bin (aber darüber schreibe ich in einem meiner nächsten Texte).
Mit achtzehn Jahren habe ich dann die Schule mit Hauptschulabschluss verlassen und eine Lehre begonnen. In der Berufsschule musste ich nun Normschrift (Druckbuchstaben) lernen. Das war wie eine Erlösung für mich: Seit der Zeit kann ich gut lesen und schreiben. Was war geschehen? Der Druck war weg, denn ich ging ja freiwillig in diese Schule, und ich hatte verstanden, warum ich Normschrift lernen sollte.
Das Verstehen, warum etwas gelernt werden soll, ist für Indigos, Legastheniker und AD(H)Sler von entscheidender Bedeutung. Wenn ein solches Kind nicht verstanden hat, welche Vorteile es durch Lesen und Schreiben gewinnt, kann es das auch nicht lernen. Eine „Erklärung“, die ich leider immer wieder höre, ist: Alle Kinder müssen zur Schule gehen und lesen lernen. Das ist aber keine Erklärung, sondern lediglich ein Druckmittel. Unter Druck können diese Kinder, die ja oft Bilderdenker sind, gar nichts lernen.
Die inneren Bilder verschwimmen, und wir geraten somit in Hochstress.
Wenn bei uns Bilderdenkern Druck aufgebaut wird, ist das ungefähr so, als wenn sie uns den Internetstecker herausziehen und dann verlangen, sofort online zu sein. Es geht nicht. Diese Kinder und Menschen sind oft auch voll von offenen und unbeantworteten Fragen, die permanent im Unterbewusstsein mitschwingen.
Ein wirkliches Lernen ist unmöglich, denn das Fundament zum erfolgreichen Lernen wurde nicht gelegt. Wir bauen auch kein Haus ohne Fundament. Die Kinder müssen wissen, dass die Buchstaben und Worte von Menschen wahllos und ohne Grund festgelegt wurden, nur damit wir uns gut verständigen können.
Sagen wir ihnen jedoch, „weil das so im Duden steht“, wissen die Kinder nicht mehr weiter. Wie sind die Buchstaben in den Duden gekommen? Wer hat sie da reingetan? Warum hat das jemand gemacht? Wo waren die Buchstaben in der Steinzeit? Kinder brauchen wahrhaftige Erklärungen, die keine offenen Fragen im Fundament zurücklassen.
Wirkliches Lernen ist Erfahren und Verinnerlichen und nicht Auswendiglernen. Erfahren, was eine heiße Herdplatte ist, können Kinder auch nur durch Anfassen – so weh das auch tut. Hier wird deutlich, dass wirkliches Lernen nur durch Fehler möglich ist. Warum aber werden bei uns begangene Fehler negativ bewertet? Was noch nicht richtig gemacht worden ist, ist lediglich noch nicht ausreichend erfahren und verinnerlicht.
Die Lese- und Rechtschreibeschwäche ist wie die Spitze eines Eisberges. Darunter liegen ungeahnte Talente verborgen, die genauso klar und rein sind wie das gefrorene Wasser der Eisberge. Jeder Mensch hat legasthenische Talente, lassen Sie uns diese suchen.
Ihr Peter Classen
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