Wir selbst machen uns also krank, weil wir so viel Müll angesammelt haben.
Ein spiritueller Reisebericht über ehrenamtliche Arbeit mit Straßenkindern in Nicaragua.
von Oliver Unger -
21. Woche
Tagebucheintrag 9. Juli - Satsang
Yahaira hat heute die Bibelreflexion gehalten. Und zum Schluss haben alle noch mal gebetet. An der Art und Weise, wie die Chavalos beten, muss ich noch ein wenig herumschrauben. Das ist mir zu runtergeleiert, zu abgedroschen.
Ich habe schon mit Yahaira darüber gesprochen, dass wir ihnen das richtige Beten beibringen, das Beten mit dem Herzen, das nicht nur aus dem Rezitieren von irgendwelchen Sprüchen besteht, die man mal gelernt hat. Ich bemerkte an der Art, wie Yahaira die Bibelreflexion gestaltete, dass sie wirklich ernst meint, was sie über Gott, Jesus und den Glauben sagt. Sie scheint tatsächlich „Kontakt” zu haben. Das gefällt mir.
Am Ende der Stunde meldete ich mich zu Wort. Ich wollte die Gruppe eigentlich nicht aufmischen, aber ich konnte mich nicht zurückhalten. Mein eigener „Kontakt” war derart stark, dass ich einfach fragen musste: „Wie klopft Gott an unsere Tür und spricht zu uns?”
„Mit dem Herzen.”
„Mit den Händen.”
„Durch seine Taten.”
„Durch Wunder.”
Ich fügte hinzu: „Er spricht manchmal auch durch unsere Krankheiten zu uns.”
Das erstaunte die Chavalos. Sie waren aber nicht überzeugt. Ich fuhr trotzdem fort, begleitet durch die Kraft Jesu Christi, die mich in diesem Moment erfüllte und trug.
„Wir Menschen sind voll von Müll, schlechten Gedanken und ‚Sünde’. Und wenn wir Gott begegnen, dann holt er den ganzen Müll hoch und befreit uns davon. Und manchmal, wenn er besonders viel davon löst und durcheinanderwirbelt, dann werden wir davon krank. Früher hat die Kirche gesagt, die Krankheit sei des Teufels Werk. (Anmerkung des Autors: Das ist ja nicht ganz falsch, es kommt darauf an, was man als „Teufel” bezeichnet.) Aber wer ist der eigentliche Teufel? Unsere schlechten Gedanken, unsere Sünden. Wir selbst machen uns also krank, weil wir so viel Müll angesammelt haben. Und Gott will uns davon befreien.”
Rodolfo und Yahaira hörten sehr genau zu.
Karla hat mich nicht verstanden und abgeschaltet. Das ist nicht schlimm. Ich habe sie hinterher mit etwas anderem infiziert. Sie behauptet immer ganz stolz von sich, sie sei sehr katholisch. Daraufhin sagte ich nach der Bibelreflexion zu ihr: „Karla, mir ist aufgefallen, dass die Chavalos hier nicht mit Herz beten. Sie glauben nicht, was sie sagen. Und sie führen es auch nicht durch. Du bist doch so sehr katholisch, bitte hilf ihnen, dass sie es besser machen.” (Ich bin fies, was?) Herz hat die Gute nämlich - mehr als wir alle zusammen!
Kanal für die Liebe
Ich glaube, ich lerne nicht nur, mit der Harke Gartenarbeit zu machen oder Chavalos zu erziehen, sondern auch mehr und mehr, mir selbst wirklich zu vertrauen. Ich drehe die Lautstärke meiner inneren Stimme hoch. Ich verabschiede mich nach und nach von meinen „Werkzeugen” und folge dem, was meine Anbindung mir rät.
Ich sehe mit meinen eigenen Augen, spüre mit meinem eigenen Körper, dass das am kraftvollsten ist. Was da gerade aus mir heraussprudelt, stammt von mir, kommt aus meinem Leben, ist mein Geschenk, meine Liebe und gleichzeitig der Kanal für die Liebe. Das ist Tief berührt®, das Ergebnis meines Prozesses und meiner Erfahrung. Ich fühle mich vielleicht ein bisschen wie damals Bert Hellinger, als er die ersten bahnbrechenden Erfolge mit seinem Familienstellen zu verzeichnen hatte. Das macht mich unglaublich stolz. „Ich” (mein Kanal, meine Intuition) funktioniere auch in anderen Situationen, außerhalb meiner privaten Therapieräume im Ridaya.
Running Gag
Ich liebe Running Gags. Gestern entwickelte sich einer beim Mittagessen. Es gab Reis und frittierten Käse. Fast alle von uns lieben diesen Käse. Jonathán wollte mehr davon. Keiner wollte ihm etwas abgeben. Da reichte Zenia ihm ein winzig kleines Stück, und Karla verkündete sofort: „Gloria unserem Herrn!!!”
Ich bin fast hintenübergekippt vor Lachen.
Dann gab ich Jonathán ebenfalls ein winziges Stückchen ab und wiederholte: „Gloria dem Herrn!”
Karla stand auf und schmiss sich lachend auf den Boden.
Das war ein kleiner Ausschnitt aus meinem spirituellen Reisbericht. Ich freue mich über jede Rückmeldung und jede Frage.
Herzlichst Ihr Oliver Unger
Unterstütze das Buchprojekt „Rohdiamanten“ mit einer Spende (für Lektorat etc.). Der Erlös aus dem Verkauf des fertigen Buches schafft eine regelmäßige Spendengrundlage für die Straßenkinder in der Stadt Granada, Nicaragua. Mehr Information findest Du auf tiefberuehrt.de/page/hilfe-fuer-nicaragua
Es danken Dir im Voraus Oliver Unger, Projekt-Förderer Bernd V., Lektorin Michélle P., Jonathán, Karla, Ana María, Francisco und Freunde aus Granada, Nicaragua