Trau dich von deinem Berg hinab in das Tal
Ein spiritueller Reisebericht über ehrenamtliche Arbeit mit Straßenkindern in Nicaragua
von Oliver Unger
2. Woche
Ich bin kein Mensch, der eine einmal getroffene Entscheidung zurücknimmt. Ich bin kein Mensch, der dann noch Fakten braucht oder weitere Informationen. Politische Unsicherheit? Armut? Kriminalität? Dem kann ich trotzen, wenn mein Herz einmal „JA“ gesagt hat. Und das hat es. Ich wollte nah am alltäglichen Leben der dort ansässigen Armen sein und beschloss, mit dem sogenannten „Abfall der Gesellschaft“ in Kontakt zu treten, und zwar durch ehrenamtliche Arbeit mit Straßenkindern in Nicaragua und deren Familien.
Ich bewarb mich über die Organisation Promosaico für eine Stelle, bekam mehrere Angebote und entschied mich für ein von der Katholischen Kirche geführtes soziales Zentrum in der Stadt Granada.
„Die Kinder, die hierherkommen, haben Gewalt erfahren, schnüffeln Klebstoff und sind misstrauisch und aggressiv”, hieß es in der Stellenausschreibung. Ich musste schlucken, aber mein Herz gab keine Ruhe. Was wollte es von mir? Was wusste es, das ich noch nicht wusste?
Trotz aller Widerstände von Familie, Freunden, Kunden und sogar ab und zu von meinem Lebenspartner und trotz angespannter finanzieller Lage, setzte ich mich am 30. Mai 2010 in den Flieger und begann eine Reise, die vielleicht nie ein Ende haben wird.
Ich bezeichne mich als spirituell, nicht als religiös. Ich glaube an Gott, aber nicht an das Bild von Gott, das die Christen sich gemacht haben, sondern an das, was manche als Das Eine bezeichnen. Ja, mehr noch: Ich stehe auf dieses Eine, diesen Gott, diese unermessliche Intelligenz.
Einen Gott, der kein Mann mit weißem Bart ist, sondern die Lebenskraft, die wir alle in uns haben. Sie war es, die mein Herz erfüllte und mich letztlich dazu brachte, jene neuen Erfahrungen zu machen und damit meine inneren Beschränkungen, Ängste und Grenzen zu überwinden.
Hiervon handelt diese Geschichte. Sie erzählt von den Jungen und Mädchen, den Chavalos, wie sie auch genannt werden (nic. Ausdruck für „Jugendliche“), von ihren Schicksalen und davon, wie ihre aus der materiellen Armut entstandenen Prägungen und ihr daraus resultierendes Verhalten nach und nach Fesseln in mir sprengten und mich zu einem anderen Menschen formten.
Ich machte auf der Reise tiefe Erfahrungen mit Gott, stürzte in Abgründe von Zweifel und empfundener persönlicher Schwäche und bemerkte dabei gar nicht, wie ich währenddessen Wurzeln schlug. Jetzt darf sich meine Krone (endlich) entfalten und blühen. Das gelingt nur mit guten Wurzeln, den Füßen auf dem Boden.
Die Botschaft, die ich mit den Leserinnen und Lesern teilen möchte, ist folgende:
Trau dich von deinem Berg hinab in das Tal. Das Eine, Gott, wird dein Wegbegleiter sein. Es wird dir den Spiegel vorhalten und dich auf diese Weise wachsen lassen. Und im Tal angekommen stellst du fest: Vielleicht hast du nicht mehr den Überblick. Deine Mauern, deren Steine und Mörtel deine Vorstellungen und Konzepte sind, sind eingestürzt – aber hier ist das Leben. Und du bist mittendrin.
Weitere Erfahrungen zu meinem spirituellen Reisbericht gebe ich Ihnen gerne in der nächsten Woche. Ich freue mich über jede Rückmeldung und jede Frage.
Herzlichst Ihr Oliver Unger
Unterstütze das Buchprojekt „Rohdiamanten“ mit einer Spende (für Lektorat etc.). Der Erlös aus dem Verkauf des fertigen Buches schafft eine regelmäßige Spendengrundlage für die Straßenkinder in der Stadt Granada, Nicaragua. Mehr Information findest Du auf tiefberuehrt.de/page/hilfe-fuer-nicaragua
Es danken Dir im Voraus Oliver Unger, Projekt-Förderer Bernd V., Lektorin Michélle P., Jonathán, Karla, Ana María, Francisco und Freunde aus Granada, Nicaragua