Krankheit als Möglichkeit gesund zu werden –
Wie der Organismus sich selbst gesund erhalten kann
von Oliver Unger
„Selbstregulationsfähigkeit“ contra „übermäßige Belastung“
Mit diesem Text beginne ich eine kleine Serie, in der ich dir einen neuen Ansatz nahelegen möchte, über das Thema Krankheit und Gesundheit nachzudenken. Ich stelle dir einige Theorien vor, die ich im Laufe meiner Arbeit mit Klienten entwickelt habe. Deren Wahrheit konnte ich am Verlauf ihrer Heilungsprozesse und auch an dem meines Systems beobachten.
Es gibt unterschiedliche Arten und Weisen, wie du an diesen Artikel herangehen kannst. Du kannst dich fragen: Wo sind die Beweise? Oder du kannst auch völlig beleidigt sein, weil es für dich so aussehen mag, als würde ich scheinbar nicht ganz anerkennen, was du erlebt hast, wo du stehst oder was du durchleidest.
Oder du kannst einfach eintauchen, für dich prüfen, beobachten, was der Text mit dir macht. Wundere dich nicht, wenn die Worte „heil“ und „krank“ in Anführungszeichen gesetzt sind. Das liegt daran, dass ich diese Worte zum besseren Verständnis des Textes für eine breitere Allgemeinheit zwar benutze, diese Unterscheidung aber gleichzeitig mit diesem Text und mit meiner gesamten Arbeit aufzuheben suche.
Ebenso halte ich es mit den Worten „Störung“, „Krankheit“, „Gesundheit“ und so weiter. Sie stellen im Text lediglich den Bezug zu unserem gewohnten Bild von „Krankheit“ und „Gesundheit“ dar, geben aber weder wieder, was ich darüber glaube noch was es wirklich ist. Darüber soll dir letztlich dieser Artikel Aufschluss geben.
Die Frage, die mich bewegt hat, diese Serie zu verfassen stammt aus meiner eigenen psychotherapeutischen Arbeit mit Menschen, die als psychisch und/oder physisch „krank“ bezeichnet werden. Im Zusammensein mit jenen Klienten interessiert mich zweierlei. Zum einen finde ich aufschlussreich, welche Ereignisse dazu geführt haben, dass diese oder jene „Störung“ beim Klienten entstanden ist. Jeder Mensch hat eine Geschichte, die in Zusammenhang mit einem bestimmten Umfeld steht. Ich habe festgestellt, dass diese Kombination sich sowohl „störend“ als auch heilend auswirken kann. Deswegen interessiert mich zum Anderen wie jene „Ursachen“ einer „Krankheit“ gleichzeitig einen Weg zur „Heilung“ darstellen können.
Sozusagen fordere ich den Klienten heraus, mit der Geschichte und dem Umfeld so umzugehen, dass es „heilend“ ist. Ich nenne diesen Vorgang manchmal „Anerkennen, was ist bzw. war“. Eine solche Haltung schließt ein, dass wir endlich lernen, abzulassen von der Vorstellung, irgend etwas hätte so oder so sein müssen, damit es uns heute besser ginge. Was vorher also als „Ursache für eine Krankheit“ betrachtet wurde, vielleicht sogar als Sackgasse, verwandelt sich auf diese Weise zur „Lösung“. Ein ähnliches Prinzip findet man in der Homöopathie.
Wenn also „Problem-Ursache“ und „-Lösung“ die gleiche Herkunft haben, liegt für mich folgende wesentliche Frage nahe: „Kann es überhaupt einen absolut gesunden Organismus geben? Einen Organismus, der jeden Stress, jede Belastung gut verkraften kann, ohne dass die Person davon beeinträchtigt wird?“
Dabei frage ich sowohl danach, ob man absolut gesund und voll regulationsfähig geboren wird, als auch danach, ob man durch seine „Beeinträchtigung“ jemals zu einem absolut gesunden Zustand zurückkehren kann, falls man so auf die Welt gekommen ist. Oder kann man seinen Regulationszustand, der bei der Geburt vorlag vielleicht sogar übertreffen?
Ich lade dich ein, mit mir auf diese Reise zu gehen. Finde heraus, wie es dich/deinen Organismus/dein Denken beeinflusst, dich auf diese Weise, wie ich es beschreibe, mit dem Thema zu beschäftigen.
Sicherlich ist es nicht leicht eine Antwort zu finden – sofern es eine gibt, wohlgemerkt. Zumindest die rein biologische bzw. medizinische Betrachtungsweise würde den Schluss zulassen, dass es einen Organismus gibt, der sich von äußerem Stress und anderen „krankmachenden“ Gegebenheiten nicht unterkriegen lässt. Denn jeder Organismus hat grundsätzlich die Fähigkeit sich selbst perfekt „gesund“ zu regulieren.
Die Anlagen hierzu sind da. Unsere Zellen haben genügend Jahre der Evolution hinter sich. Damit haben sie also auch genügend „Erfahrung“ und Aufgaben-Differenzierung. Hieraus abgeleitet lautet die Antwort: Ja, jeder Organismus könnte aus sich heraus ohne äußeres Zutun sich selbst gesund erhalten. Man braucht nur an unser ausgeklügeltes Immunsystem mit seinem fantastischen Erinnerungsvermögen zu denken, das Eindringlinge, die uns in der Vergangenheit schon einmal befallen haben schnellstens wiedererkennt und die entsprechende Abwehr zur Verfügung stellt. Oder an seine immense Geschwindigkeit, auch große Populationen von Bakterien alsbald auf ein Minimum zu reduzieren - sogar ganz loszuwerden.
Auf der anderen Seite der Waagschale befindet sich jedoch eine Tatsache, aus der man schließen könnte, dass mit der biologisch/medizinischen Antwort etwas nicht stimmt. Wirft man einen Blick in unsere Gesellschaft, würde man schnell entdecken, wie viele Krankheitsfälle es gibt. Es scheint eine Art neuzeitliches Phänomen zu sein, dass fast jeder ein Wehwehchen mit sich herumträgt.
Und sollte dies nicht der Fall sein, wie viele Menschen fühlen sich ausgebrannt oder überfordert? Diese Tatsachen sprechen augenscheinlich gegen die Annahme, dass jeder Organismus sich regulieren und zur absoluten Gesundheit finden kann. Wo bleibt an dieser Stelle die ausgeklügelte Fähigkeit unseres Immunsystems? Wie nutzt da die Jahrmillionen alte Erfahrung unserer Zellen? Zunehmende Umweltbelastung und wachsendes alltägliches Arbeitspensum sowie emotionaler Stress überfordern den Organismus scheinbar.
Kein Wunder, denn es gibt dazu auch noch einen Mangel an Ressourcen, mit denen wir uns wieder auftanken und unseren Stress entladen könnten. Der Kontakt zur Natur, Kontakt zu sich selbst und vielleicht auch authentischer Kontakt zu anderen Menschen fehlen.
Die wichtige „nährende Seite“ der Waage bleibt demnach ungefüllt. Manche sprechen in diesem Zusammenhang von einer Anpassungsstörung unserer Regulationsfähigkeit. Das bedeutet, so schnell, wie die Belastungen zunehmen, kann sich unser Körper offenbar nicht darauf einstellen.
Soweit zu den Tatsachen. Doch wie kommt es tatsächlich zu der Diskrepanz zwischen der angenommenen Weisheit unserer Gesunderhaltungsmechanismen und ihrem scheinbaren Versagen?
Wie kann es sein, dass alle Fähigkeiten in unseren Zellen, unserem Nervensystem, unserem Blut, unserer Lymphe angelegt sind, sie aber ihre Wirkung nicht entfalten? Was geschieht da mit uns?
Unsere Reise führt uns zunächst durch eine neue Art, über Krankheit und Gesundheit zu denken. Ich präsentiere dir hier einen Ansatz, der vielleicht ganz neu für dich ist. Vergiss solange du liest, was du bisher darüber zu wissen glaubtest. Gib dich der neuen Sichtweise hin. Spüre, was sie mit dir macht. Später im Text, indem ich die fünf Stufen der Selbstregulation beschreibe, lenke ich deine Aufmerksamkeit von meinem Denkansatz zurück auf die sichtbare, fassbare Ebene der körperlichen Heilkräfte.
Es ist, als würdest du aus dem neuen Verständnis von Krankheit und Gesundheit noch einmal auf das schauen, was du vielleicht aus deinem Alltag oder von anderen Menschen kennst. Wie empfindest du die konkret beschreibbaren Phänomene und Symptome dann? Lass dich überraschen. Beobachte auch an dir selbst und auch an anderen Menschen anhand ihrer Verhaltensweisen bzw. Körperreaktionen, was du gelernt hast.
Im Teil 2 “Wie Selbsterkenntnis den Weg bahnen kann“ folgt kommende Woche.
Dein Oliver Unger