Die Tertiäre Selbstregulation – Die beginnende Zerstörung des Körpers
von Oliver Unger
„Kann es einen absolut gesunden Organismus geben, der jeden Stress, jede Belastung gut verkraften kann, ohne dass die Person davon beeinträchtigt wird?“
Funktioniert die so genannte Sekundärregulation des Körpers, etabliert sich bei geeigneter Begleitung und Achtsamkeit auch wieder die Primärregulation. Ein „Belastungs-Reset“ wird möglich. Aus der Sekundärregulation kann also Gesundheit entstehen. Jedoch solange der Körper nicht genügend primäre Regulationskraft zur Verfügung hat, sammelt sich weiterhin Stress in unserem System an. Die „Abfluss-Rohre“ des Körper werden verstopft. Daraus entstehende Symptome sind der Versuch, den ganzheitlichen Organismus bestmöglich von Stress zu befreien.
Was geschieht also? Zurück zu unserem Beispiel mit der Prüfungsangst: Unterdrückst du den Stress, den Prüfungsangst hervorruft, gibst du deinem Körper nicht die Möglichkeit, eine Regulation dafür zu finden. Es kann sein, dass es deinem Körper helfen würde zu zittern und das lässt du nicht zu, weil es dir unangenehm ist. Oder du redest so viel, dass du deine Angst nicht mehr spürst. Auch dann bekommt sie keinen Platz in deinem Körper.
Der Körper kann daraufhin kein Regulationsmuster entwickeln. Manche lassen sogar ihre Schweißdrüsen entfernen oder hemmen ihre Funktion durch Anti-Transpirantien. Damit werden „Stress-Abfluss-Rohre“ des Körpers verschlossen. So wird der Stress in deinem Körper kumuliert. Die Spannung baut sich nicht oder nicht vollständig ab. Da der Körper dies aber anstrebt, sucht er sich einen alternativen Weg. Der Ausgang, den er sonst nehmen würde, ist versperrt, also wartet er, bis sich genügend Druck aufgebaut hat, um eine andere Tür aufstoßen zu können.
Diese Tür nenne ich „Tertiärregulation.“ Unterdrückst du nur lange genug deinen Stress, bilden sich zunächst psychische Symptome und leichte körperliche Symptome. Die tertiäre Regulationskraft äußert sich z.B. durch Wutanfälle, Nervenzusammenbrüche, Schlaflosigkeit, stärkere Angstzustände, Erstarrungssymptome, Depressionen, Neurosen, vielleicht Rückenschmerzen oder hartnäckige bzw. wiederkehrende Erkältungen.
Die Symptome machen uns meist noch nicht so viel Sorge. Wir sind sie gewohnt, ebenso wie ein ständiges Pensum an Stress, das wir zu verarbeiten haben. Wir nehmen die verstopften Abfluss-Rohre des Körpers meist hin. Schließlich hat ja jeder das eine oder andere Wehwehchen.
Nicht selten werden zur erneuten Unterdrückung dieser Symptome Medikamente eingesetzt. Doch vergiss nicht, dass hinter jedem Symptom, sei es ein Zittern, Niesen, Gähnen, das aus der sekundären Regulationskraft entsteht, oder ein Wutanfall als Tertiäre Regulation, bereits eine hohe kumulierte Stress-Ladung liegt. Diese gilt es zu regulieren und nicht weiter zu unterdrücken. Dafür hilft es, anzuerkennen, dass der Körper einfach einen Weg sucht, diese angestaute Energie loszuwerden, er also nicht krank ist, sondern gesund! Es ist also gefragt, jedes „Krankheitszeichen“ zuzulassen, statt „wegzumachen“, damit geschehen kann, was geschehen möchte, damit die „Rohre“ wieder frei werden.
Startet der Körper einen Versuch der Tertiären Regulation, betrachten wir ihn bereits als krank und achten nicht seine gesunde Fähigkeit, neue Wege zur Regulation auszuprobieren. Das lädt den Körper nicht ein, in eine höhere Regulationshierarchie zu kommen, sondern bewirkt eher das Gegenteil, nämlich steigende Anspannung.
Die andere Falle liegt in der Tatsache begründet, dass der Organismus nur so lange von seinem Regulationsmechanismus Gebrauch macht, bis der Druck nachlässt. Ohne deine bewusste Entscheidung, begibt sich der Körper von einem heftigen Wutanfall (Tertiäre Regulation) nicht freiwillig ins „Zittern“ oder „Gähnen“ (Sekundäre Regulation), wenn dieser Zugang nicht schon gelegt und trainiert wurde.
Der Körper ist sozusagen ein Regulations-Ökonom. Er wird nur so viel Energie aufbringen wie unbedingt nötig. Durch ein Symptom löst sich also nicht die gesamte Spannung, sondern nur der Spannungspegel in der gleichen Regulationshierarchie. Der Körper ist also auf eine bestimmte Art und Weise „bequem“ oder „träge“. Deswegen ist es manchmal nicht so leicht, seine alten Muster und Gewohnheiten aufzugeben, selbst wenn man weiß, dass es nicht gut ist, was geschieht.
Die bewusste Beschäftigung mit der nächst höheren Regulationsstufe (in diesem Fall die Sekundäre Regulation), öffnet dir Tür, mehr Spannung zu entladen, als der Körper es für „unbedingt nötig“ erachtet.
Würde man in Bezug auf die Prüfungsangst aus dem Beispiel den Verlauf einer Gesundung konstruieren, würde das folgendermaßen aussehen: Du liegst nach deiner Prüfung, vor und während der du viel Stress hattest, Ängste, Befürchtungen und Hilflosigkeit überstehen musstest, vielleicht erst einmal für eine Woche mit einer Grippe flach.
Nach der körperlichen Gesundung müsstest du dir eingestehen, dass du in puncto Prüfungsangst Klärungsbedarf hast. Du suchst einen Therapeuten auf, der dir vielleicht Bachblüten verschreibt. Der Körper würde noch einmal Entschlacken, vielleicht würde dir verstärkt die Nase laufen oder du bekommst leichten Durchfall. Gleichzeitig würde sich das Thema aus der Versenkung deines Unbewussten in dein Halb-Bewusstsein erheben. Mit Hilfe von Personen und Ereignissen, die dir begegnen kämst du noch mal in Kontakt mit der Angst.
Vielleicht bekommst du in dieser Zeit Stress mit deinem Chef und es fühlt sich ähnlich an wie die Prüfungsangst. Dann würdest du nochmal über das Thema nachdenken und jemand würde dir einen Impuls geben, wie es sich lösen ließe. Mit einem Therapeuten könntest du das Thema vom Halb-Bewussten in eine bewusste Erfahrung bringen.
Du erzählst über deine Angst in der Sitzung und der Therapeut würde es dir einen Erfahrungs-Raum anbieten, in dem dein Körper ein neues Regulationsmuster als eine Grippe ausprobieren kann. Du zitterst vielleicht dabei und lässt deinen physiologischen Reaktionen insgesamt freieren Lauf. Nichts wird unterdrückt – anders als zuvor. Und bei der nächsten Prüfung stellst du fest, dass es schon ein bisschen besser als beim letzten mal geht.
Teil 10 „Der Sog in die „Tiefe“ – Quartäre Selbstregulation“.
Ihr Oliver Unger