Der Sog in die „Tiefe“ – Quartäre Selbstregulation
von Oliver Unger
Auf die Frage hin „Kann es einen absolut gesunden Organismus geben, der jeden Stress, jede Belastung gut verkraften kann, ohne dass die Person davon beeinträchtigt wird?“ stießen wir auf Hierarchien in den Kräften der Selbstregulation des Körpers. Der „ideal regulierte Organismus“ könnte jeder Belastung standhalten ohne Spuren davon zu tragen.
Doch meist spüren wir die Folgen unserer alltäglichen Belastungen. Der Stress, der sich durch das normale Leben, das wir führen, aufbaut, kann in den allermeisten Fällen nicht ganz abgebaut werden. Doch da der Körper immer wieder neue Wege sucht, einen „Stress-Reset“ hinzubekommen, nimmt er verschiedene Tore. Viele von diesen nehmen wir als „Krankheits“-Symptome wahr.
Erst wenn wir begreifen, dass jedes Symptom ein gesunder Reflex ist, weil es den Stress zu regulieren sucht, können Beschwerden weichen und „Heilung“, wie wir sie landläufig verstehen, geschehen.
Unterdrückt man hingehen ein Symptom, wie z.B. eine Prüfungsangst, zeichnet sich ein entgegen gesetzter Verlauf ab: Zunächst ist es so, als bliebest du „nur“ bei deinem Muster. Du unterdrückst deine Angst weiterhin, weil du es so gewohnt bist und dir niemand gesagt hat, wie es anders geht. Nach einiger Zeit wunderst du dich über wiederkehrende grippale Infekte. Vielleicht beginnst du, andere Ängste zu entwickeln, weil dein Körper keine Regulationsmuster für Angst zur Verfügung hat.
Du nimmst Medikamente gegen deine Angst. Im Laufe deines Lebens kommen durch die fehlende Regulation weitere Erkrankungen hinzu. Vielleicht entwickelst du eine Sucht, z.B. Arbeitssucht, durch die du den Ängsten nicht mehr ausgesetzt bist. Auf diese Weise verändert sich die Tertiäre Regulation in die so genannte „Quartäre Regulation“. Die Grenzen zwischen diesen beiden Hierarchien sind fließend.
Fest steht, dass sowohl die Tertiäre als auch die Quartäre Regulation eine Tendenz zur Zerstörung des Körpers haben. Außerdem strahlen sie einen gewissen Magnetismus aus, der es schwer macht, sich auf die nächst höhere Regulations-Ebene zu begeben. Menschen mit hauptsächlich Tertiärer und Quartärer Regulation (viele starke Körpersymptome) besitzen weniger bewusste Körperpräsenz und der Körper hat weniger Kraft zur Verfügung, sich zu balancieren. Insgesamt ist sein Energiefluss träger als ein Körper, der sich hauptsächlich mit sekundären oder primären Kräften reguliert.
Vor allem die Quartäre Regulation, die meist massive körperliche Veränderungen (Alterung, Verbrauch, Degeneration, Wucherung etc.) mit sich bringt, wirkt aufgrund dieser Schwächung wie ein unbewusster Sog nach „unten“. Menschen, die sich hauptsächlich auf der Quartären Ebene regulieren, ziehen Folge-Stress an. Sie reden meist über Stress oder über Unglück, weil sie das Leben so erleben. Sie meckern mehr, leiden mehr, sehen die Welt pessimistischer.
Es besteht noch Klärungsbedarf, was zuerst da war: Die pessimistische Lebenshaltung (auch unbewusst) oder die Disposition zur Quartären Regulation.
Quartäre Selbstregulation kann man als Außenstehender kaum noch als „Gesundungsversuch“ des Systems (Körper, Seele, Geist) erkennen. Die erschreckenden Züge der Quartärregulation haben Menschen dazu gebracht, sich Gedanken zu machen, wie man jenen Menschen helfen kann. Leider ist hierbei herausgekommen, dass man gegen das Symptom – sprich gegen den Regulationsversuch! - etwas tun muss. Meines Erachtens muss dieser Irrtum schnellstens enttarnt werden.
Dies wäre möglich, wenn an diesem Irrtum nicht so viel wirtschaftliche Aspekte (z.B. Pharmaindustrie) gekoppelt wären. Dafür müssten wir aber lernen, damit umzugehen, was geschieht, wenn jemand seinen Körper verlässt.
Letztlich ist es gesellschaftlich akzeptiert, die Quartären Regulationsversuche des individuellen Systems (Körper, Seele, Geist) und des Gruppesystems (Familie) zu unterdrücken. Sie werden einfach missverstanden. Das macht es für uns schwerer zu verstehen, dass Krankheiten wie Demenz, Krebs und die Symptomkomplexe, z.B. Morbus Parkinson, Morbus Crohn etc. für das System eine Lösung darstellen. Das „Übel“ wird nur vom Ego der betroffenen Person als solches empfunden. Darüber hatte ich am Anfang der Artikel-Reihe geschrieben.
Es ist letztlich die Angst der Umgebung vor der eigenen Regulation, die manche Mitmenschen solcher Patienten dazu bringt, die Betroffenen in ihren Symptomen zu halten. Denn was wäre, wenn wir uns raushielten und keine Medikamente geben würden? Was wäre, wenn wir einfach loslassen und annehmen würden, was mit dem Parkinson-Patienten ist? Was geschieht mit uns, wenn wir Anfälle der Multiplen Sklerose einfach geschehen lassen? Wie schaut man auf jemanden, dessen Krebsgeschwür einfach wachsen darf?
Das Erschreckendste scheint der Tod des Betroffenen und das damit verbundene Leid, der Schmerz, zu sein. Aber das ist es nicht. Das Schlimmste sind die Hilflosigkeit und die Angst, die wir nicht ertragen wollen. Statt dass wir zulassen, was sowieso geschieht, unterdrücken wir jeden Versuch, uns zu regulieren. Das gibt uns ein Gefühl der Macht und verhindert die Hilflosigkeit.
Um hier eine Anhebung in kräftigere Regulationsmuster zu erreichen, braucht es eine stärkere Erschütterung des Systems. Deswegen ist der Einsatz der Schulmedizin zu Beginn nicht immer die schlechteste Alternative. Manche Menschen regen sich über die Unsensibilität der Ärzte und deren Verfahren auf. Doch mobilisieren für Menschen, die sich in einem solchen Zustand der Quartären Selbstregulation befinden, harte Botschaften mehr Energie, als sanfte und einfühlsame.
Dies schließt natürlich nicht aus, dass diese Menschen über alle Maßen bedürftig sind für Einfühlsamkeit und Liebe. Doch meiner Erfahrung nach ist es zuvor nötig, in ihnen Türen zu öffnen, die es ihnen möglich machen, die Liebe überhaupt anzunehmen, die man ihnen entgegen bringt. Schockierende Botschaften wie „Sie werden nur noch ein halbes Jahr leben“ klingen sehr hart und unmenschlich, sind jedoch manchmal solche Türöffner.
Im Angesicht des Todes scheint es dem menschlichen Geist leichter, wahrzunehmen, dass es sich lohnt, ihre alten Ideen, Vorstellungen über den Haufen zu werfen, ihr Verhalten zu ändern und auch mal den Worten zuzuhören, die man vorher für „Gesäusel“, „esoterische Theorie“ oder „nutzlos“ gehalten hat.
Die Quartäre Regulation des Körpers ist also insgesamt schwerer in Bewegung zu bringen. Man muss mit einem Stemmeisen nachhelfen, um den Körper dazu zu bewegen, sich wieder mit tertiären Kräften zu regulieren. Dem liegt einfach eine Gegenspannung von unglaublicher Höhe zugrunde: Der Verdrängungsprozess, der Jahre gebraucht und einen unglaublichen Aufwand gekostet hat. Die alten Konzepte, Vorstellungen und Weltsichten wollen gar nicht als „umsonst“ enttarnt werden. Außerdem war es immer einigermaßen sicher, wenn auf allem der „Deckel“ drauf war.
Deswegen sind Spontanheilungen eher selten. Und der Einsatz von alternativen Methoden führt eher auf beschwerlichem Weg zum Erfolg.
Gelingt hingegen die nötige Erschütterung des Systems (wie auch immer), wird dem Körper ermöglicht, in die Tertiäre Regulation überzugehen. Aus ihr kann er viel leichter wieder in die Sekundäre und Primäre Regulation eintreten. Beobachtbar ist dies z.B. nach einer Heilung von Krebs. Da bleiben manchmal Symptome wie z.B. eingeschränkter Geruchs- und Geschmackssinn, Überempfindlichkeiten, Veränderungen der Haare und der Haut und natürlich die Veränderungen in der Persönlichkeit aufgrund der lebensbedrohlichen Situation.
Diese sind Teil dieser höheren Regulationsstufen. Sie sind als solche wahrzunehmen und zu achten. „Der Sprung“ ist geschafft. Der Anlauf geschieht zunächst durch eine erschreckende Todesbotschaft, dann der Tortur der Chemotherapie und der andauernden psychischen Belastung durch die Krankheit. Der Patient ist sozusagen gezwungen, neue Gedankenmuster zuzulassen. Der Sprung geschieht durch diesen „Klick“ im Kopf, durch den der Körper eingeladen wird, höher in die Regulationshierarchie zu steigen.
Daraus resultierende Resignation deutet nicht auf geistige Gesundung hin. Ebenso wenig wenn der Patient glaubt, er hätte einen „Preis für seine Gesundung“ bezahlt. Teil des neuen Verständnisses eines Gesundungsprozess ist hingegen, Überbleibsel einer schweren Erkrankung nicht mehr als „Folgeerscheinung“ negativ zu bewerten, sondern anzuerkennen, dass ein Sprung geschafft wurde, der sehr schwer war und der weitere Sprünge hin zu einem vollständigen, gesunden, bewussten Organismus zur Folge haben kann. Was vorher vielleicht als traumatisch erlebt wurde, kann das Potenzial darstellen, weiter zu gehen und sich weiter zu entwickeln.
Teil 11 „Welchen Platz hat das Sterben im Kontext der Regulationshierarchien?“ folgt.
Ihr Oliver Unger