Schamanismus: Gedanken eines Kriegers.
von Norbert Paul -
Gedanken eines Kriegers
zu einem der in die Schlacht ziehen will, um ein Krieger zu werden:
Du denkst,
ein Krieger zu sein ist großartig.
Ich sehe,
Du bist noch nicht so weit.
Du denkst,
ein Krieger muss nicht töten, um zu siegen.
Ich sehe,
Du hast nie wirklich gekämpft.
Du denkst,
zu kämpfen ist die höchste Erfüllung für einen Krieger.
Ich sehe,
Du hast nie das Blut eines Gegners geschmeckt.
Du denkst,
töten ist ein ehrenwertes Handwerk.
Ich sehe,
Du hast nie die brechenden Augen eines Gegners gesehen,
nie seinen letzte Atemhauch erlebt.
Wärst Du ein Krieger,
würdest Du in die Augen eines Gegners sehen und erkennen:
er ist ein Vater, ein Bruder, ein Sohn, ein Ehemann, ebenso wie Du,
daß er Hoffnungen, Wünsche und Sehnsüchte hat, ebenso wie Du,
daß er das Leben und seine Götter liebt, ebenso wie Du.
Doch Du bist noch nicht so weit.
Würdest Du jetzt in einer Schlacht vor einem Gegner stehen,
Du würdest Dein eigenes Entsetzen in seinen Augen sehen
und die gleiche Leere spüren wie er,
Du würdest Deine eigene Verzweiflung in ihm sehen,
Dich fragen weshalb und wofür das alles hier,
ebenso wie er.
Wärst Du ein Krieger,
hättest Du erkannt,
daß im Töten keine Ehre liegt
und ein Leben zu beenden nicht glorreich ist,
daß die Gefallenen, Dich noch lange begleiten
und der Tod in der Schlacht keine Würde kennt.
Doch Du bist noch nicht so weit.
Würden Dich die letzten Worte eines sterbenden Gegners bitten,
die Botschaft seines Todes zu seiner Familie zu tragen,
Du würdest erkennen, daß Töten viel einfacher ist, als mit dieser Tat zu leben,
Du würdest erkennen, welch großes Loch Du geschlagen,
wie viel Leid und Trauer, in seine Familie Du brachtest.
Du würdest Dir wünschen Du hättest Deine Waffen nie so leichtfertig gegen ihn gezogen.
Wärst Du ein Krieger,
hättest Du erkannt,
daß weder Gold noch Ehre ein Leben aufwiegen können,
daß Ruhm Deine gefallenen Freunde nicht ersetzen,
und Glorie keines Menschen Herz erwärmen kann,
daß keine Erfüllung darin liegt zu töten
und nur die Leere Du vergrößert hast.
Doch Du bist noch nicht soweit!
Würdest Du das Grauen nach einer Schlacht erleben,
könntest Du den Aufschrei Deiner Seele ertragen?
Könntest Du Dein Leben weiterführen wie bisher?
Könntest Du wirklich von stolzen und großen Taten berichten?
Oder würdest Du alles Menschliche ablegen,
um den Schmerz nicht mehr zu spüren?
Wärst Du ein Krieger,
würdest Du Dir nicht wünschen in eine Schlacht zu ziehen.
Würdest Du nicht für Andere,
für Ruhm und Glorie, in Waffen stehn,
dann würdest Du selbst entscheiden,
wofür es sich zu kämpfen lohnt,
würdest Du Deine Kunst stets ernsthaft pflegen,
um sie niemals leichtfertig zu vergeben.
Doch Du bist noch nicht so weit!
Denk darüber nach,
befrag Dein Innerstes,
und geh zurück zu Deinen Lieben.
Denn würdest Du jetzt vor einem Krieger stehen,
wüsstest Du, es ist Zeit, zu Deinen Ahnen zu gehen.
Und glaube mir,
auch wenn Du vile Schlachten schlägst,
der Kampf mit Deinem größten Gegner steht Dir noch bevor,
Du selbst mit Dir selbst.
Dieser Kampf ist der Einzige von Wert,
der Wichtigste in Deinem Erdensein.
Kämpfe ihn gut und aufrecht
und Du wirst erkennen,
dass Du keine anderen Schlachten brauchst,
Du am Ende dieses Kampfes,
ein wahrer Krieger bist!
Im Bewusstsein all dessen,
Wirst Du das Leben genießen,
in Ruhe und Gelassenheit dem entgegensehen,
was Dir bestimmt und unvermeidlich ist.
Lebe Dein Leben wild und frei,
in Liebe und Achtsamkeit.
© Norbert Paul
Aus: Gedanken eines Kriegers