Fernsehen ist die Vorübung zum Meditieren lernen
von Oliver Unger
Menschen, die alternativ denken haben wie alle anderen Menschen auch bestimmte Vorstellungen davon, wie das Leben besser funktionieren kann.
Während die einen glauben. man müsse sich ausschließlich von Rohkost ernähren, damit man gesund bleibe, denken die anderen, man müsse alles ganz lange kochen, damit der Darm weniger zu tun habe. Wieder andere glauben, es sei gut, fleißig jeden Tag zur Arbeit zu gehen - je härter man sich quäle, umso mehr Geld könne man verdienen. Auch hierzu gibt es gegensätzliche Meinungen.
Ich selbst habe lange gedacht, Fernsehen sei zu nichts weiter nützlich, als sich zu betäuben, damit man das Elend seines Daseins besser ertragen könne.
Daraufhin habe ich meinen Fernseher einer Freundin geschenkt, die ihn dringender brauchte als ich. "Zur Betäubung brauche ich keine Hilfsmittel, die von außen kommen", dachte ich bei mir. Der Körper hat seine eigenen Mechanismen um mit Schmerz umzugehen.
Grad gestern bin ich eines Besseren belehrt worden. Ich dachte immer, ich sei mit meiner Meinung im Recht. Schließlich müsse man ja bewusst leben, seine Themen angehen und möglichst seinem Inneren auf die Spur kommen. "Karmapflege" nenne ich das.
Alle Fernseher sollten daher aus den Wohnzimmern und Küchen dieser Welt verbannt werden und es sollte einen Erlass geben, maximal eine Fernseher pro Familie zu besitzen. Mit dieser Vorstellung hatte ich die Idee, man könne die Familienmitglieder wieder enger zusammenführen, indem sie auf dem Sofa vor dem Fernseher zusammenkuscheln, wenn sie schon sonst keinen körperlichen Kontakt mehr haben.
Und ich dachte, wenn man dann die tägliche Fernsehzeit auf die Dauer von maximal zwei Spielfilmen reduziere, könne man hinterher noch zusammen sitzen und über das Gesehene in pädagogisch und intellektuell wertvoller Weise sprechen.
Interessante Träumereien, die ich da hatte. In meiner Wunsch-Welt würden dann nach dem Spielfilm die Fernseher ausgeschaltet, zu Abendbrot gespeist und danach die Abendmeditation angetreten um seinen Geist vor dem Schlafengehen zu beruhigen. Hervorragende Idee, oder? Macht nur keiner! Nicht mal ich, wenn ich ganz ehrlich bin.
Ich habe mich immer gefragt, wieso das Wunderschöne-Heile-Welt-Konzept nicht funktioniert. Einige Erklärungsmodelle habe ich gefunden.
Manche sagen, der Mensch liebe sein Elend.
Andere sagen, sie lieben es eben nicht und gerade deswegen würden sie nicht davon erlöst.
Dritte sagen, das Nervensystem der Menschen sei überlastet. Es sei langsamer "gewachsen" als der Stress und daher nicht in der Lage, die tägliche "Ladung" voll abzubauen.
Alle Theorien klingen plausibel und hilfreich - erreichen aber unglücklicherweise nur die Menschen, die es INTERESSIERT.
Alle anderen, denen es vielleicht viel mehr nützen würde, all dieses Wissen für sich umzusetzen, essen weiter Pommes, trinken ihre Cola dazu und werden immer fetter. Wieso soll ich einem Ayurveden ayurvedische Küche beibringen? Und wieso soll ich einem erleuchteten Menschen etwas von Licht und Liebe erzählen? Das ist lächerlich.
Und genau so lächerlich ist mein Wunsch, Menschen mit Hilfe von spiritueller Lebensart bekehren zu wollen, die sie nicht sehen und schon gar nicht gut finden können.
Es gibt einen guten Witz dazu: Fährt ein Mann mit seinem Fahrrad durchs Feld. Sein Schutzblech klappert. Fährt hinter ihm ein anderen Mann mit seinem Fahrrad und ruft: " He! Dein Schutzblech klappert." Sagt der erste: "Ich versteh dich nicht. Es ist so laut hier, mein Schutzblech klappert".
Also machen wir uns mal nichts vor: Du, lieber Leser, wirst diesen Artikel nicht zu deinem Glück brauchen. Aber du wirst bestimmt an jemanden Denken, dem Du diesen Text zuschicken kannst. Nur Mut. Mach das einfach mal und schau was geschieht.
Ich glaube nämlich, dass all die Menschen, deren Schutzblech klappert (und die uns nicht hören), auch das Meditieren lernen können. Und das Krasseste daran ist: Sie sitzen mitten in der härtesten Meditationsschule, die man sich vorstellen kann.
Im Zen Kloster sitzt du geschützt vor äußeren Einflüssen in deiner Zen-Pose, starrst auf die tote Fliege (= einen gewählten Punkt) an der Wand und wenn du dabei einschläfst haut dir der Zen-Meister mit seinem Stock einen drauf. Das ist nicht die Schule, die ich meine. Ich meine Folgende: Auf dem Sofa sitzen und Bildern zusehen, die auf einem (heute flachen) Bildschirm erscheinen.
Ja, richtig! Wir reden über FERNSEHEN! Da werden Menschen abgeknallt, Öl-Teppiche zerstören Lebensräume von Meeres-Tieren und du siehst Bildern von Panzern, die über Leichen rollen. Und du tust nichts. Du siehst nur zu. Das ist das Gleiche wie in Meditation: Dich von dem Geplapper deines Verstandes hypnotisieren lassen und genau das bewusst wahrnehmen. Nur dass du auf einen inneren Bildschirm dabei schaust. Das ist stromsparender.
In der Meditationspraxis nennt man dieses Zusehen und Nichts-Tun "Impuls-Kontrolle". Impuls-Kontrolle erhöht die Energie in deinem Körper. Das wiederum bringt deinen alten Müll, der tief im Sumpf deines Unbewussten verborgen liegt hoch.
Meditation trainiert die Fähigkeit, nicht sofort handeln zu MÜSSEN, nur weil dich etwas an piekst. Was nützt das? Es gibt uns Zeit, "vernünftiger" zu sein, statt direkt aus dem Affekt immer wieder alte Kacke zu wiederholen. Außerdem verschafft Meditation uns einen Zugang zu unserem Bauchgefühl, weil wir uns vom Geplapper unseres inneren Fernsehers nicht mehr ablenken und täuschen lassen. Dadurch werden wir insgesamt gelassener.
Doch was machen wir meist stattdessen? Wenn unser innerer Film abläuft, agieren wir aus. Entweder fangen wir an, uns zu streiten oder zu resignieren oder wir diskutieren, setzen ins Unrecht usw. Stattdessen könntest du einfach nur da sitzen und nichts tun - beim Fernsehen geht das doch auch!
Wieso animiert das äußere, echte Fernsehen nicht zum Handeln aber das innere Kopfkino hingegen schon? Weil das innere Kopfkino uns selbst betrifft. Und weil wir es stärker in unserem Körper wahrnehmen.
Da ist der emotionale Sturm, der dich wegzureißen droht. Das hängt aber nur mit fehlender Übung zusammen. Du kannst üben, deinem inneren Sturm stand zu halten. Indem du deinen inneren Bildern zuschaust, als würdest du vor dem Fernseher sitzen.
Diese Impulskontrolle vor dem Fernseher ist eine Vorübung für Meditation. Die meisten Fernsehkonsumenten werden diese Vorübung vielleicht niemals einsetzen, um in "klassische" Meditation damit zu gehen. Aber man weiß ja nie, wohin der liebe Gott uns führt. Immerhin hat er ja auch den Fernseher erschaffen ...
Meditation ist also, in deinen inneren Fernseher zu schauen. Welche Bilder können schon so tragisch sein, wie die Bilder, die du auf der Mattscheibe siehst?
Es gibt einen Unterschied zwischen dem Abhängen vor dem äußeren Bildschirm und dem inneren. Dieser ist ausschlaggebend, wieso die meisten Menschen lieber auf der Couch bleiben, statt sich auf ihr Dinkelkissen oder Mediationsbänkchen zu setzen.
Der Fernseher macht träge. Er hypnotisiert dich, animiert dich, von dir selbst weg zu gehen. Das ist zwar kein Muss, denn auch bei einem Film hast du durchaus eigene Assoziationen und Emotionen - bist also bei dir. Doch so lange es nur um Handyklingeltöne und Supermodels geht, bist du wahrscheinlich weg vom Fenster.
Spielt also die Auswahl der Sendungen eine Rolle?
Deine inneren Bilder, entstehen sie bei Fernsehen oder in der Meditation bringen dich zu dir selbst. Schaust du ihnen nur einmal am Tag für zehn Minuten zu (vor allem dann, wenn sie unangenehm sind), wirst du merken, wie sehr du mit dir selbst in Kontakt kommst. Ganz schnell wirst du für andere ein bisschen unbequemer, weil du dich nicht mehr hypnotisieren lässt. Das will natürlich niemand. Gegen den Wind zu stehen ist einfach nicht bequem.
Aber wer fliegen will, muss sich gegen den Wind stellen (Zitat "Luxuslaerm", wwwluxuslaerm.de).
Ihr Oliver Unger