Welchen Platz hat das Sterben im Kontext der Regulationshierarchien? - Die Quintäre Selbstregulation.
von Oliver Unger
In den vergangenen Wochen haben wir uns mit der Frage beschäftigt, ob es einen absolut gesunden Organismus geben kann, der jeden Stress, jede Belastung gut verkraften kann, ohne dass die Person dauerhaft davon beeinträchtigt wird.
Die Antwort ist unbekannt- sie wird es immer bleiben. Doch es gibt ein übergeordnetes System, in das wir eingebettet sind, das sich immer reguliert. Entsteht eine Dysbalance, vielleicht durch einen Schock, ein Trauma, eine Verdrängung, einen Schicksalsschlag, sucht das System Wege, sich zu harmonisieren. Es bedient sich eines Materialisierungsprozesses, den wir als „Krankheit“ bezeichnen.
Unbewusste Informationen über die vorherrschende Dysbalance suchen sich so ihren Platz in unserem Bewusstsein. Man kann fünf Dichtigkeits-Grade der Dysbalance-Materialisierung erkennen, die ich als Regulationshierarchie bezeichne. Folglich gibt es keine Krankheit, sondern nur Regulationsversuche eines oder mehrerer Systeme.
In aller Regel begegnen wir dem Tod einzelner Menschen aus unserem Umfeld mit Schrecken. Dabei ist er Bestandteil der Kette der Regulationsmechanismen und sollte als solches gesehen und geachtet werden. Jetzt könnte man denken, er bilde das Ende. Doch das ist nur scheinbar so. Nach dem Tod reguliert sich zwar der Körper nicht mehr, aber umso mehr das Gruppensystem, in das die Person eingebunden war. Die entsprechenden Auswirkungen lassen darauf schließen, dass der Tod einer Person zur Gesundung seines Umfelds beitragen kann, sofern die Beteiligten die frei werdende Energie integrieren / regulieren können.
Man denke an das Beispiel sterbender Eltern. Der Trauerprozess, der durch den Tod der Eltern in einem selbst angeregt wird, bringt uns dazu, uns in dieser Phase stärker mit unserem Verhältnis zu den Eltern auseinanderzusetzen. Wir stellen uns Fragen wie: „Was haben wir versäumt? Was hätte anders sein können?“
Diese Fragen sind Teil eines Gesundungsprozesses, der uns vollständiger macht. Natürlich wäre es vielleicht besser gewesen, diese Fragen zu Lebzeiten zu beantworten. Doch da wir es nicht getan haben, musste der Tod der Person zuerst eintreten, um den nötigen Druck, die nötige Bereitschaft in uns zu erzeugen. Man sagt, wir trauern nur um das, was nicht zwischen uns und den Eltern gelebt wurde. Gerade deswegen ist es wichtig, diesem Prozess so viel Raum einzuräumen, wie es braucht. So kann der Tod etwas zurückbringen, was zu Lebzeiten gefehlt hat. „Quintäre Regulation“ nenne ich dieses Phänomen: Der Tod als letzten Ausweg, den Organismus, die Umgebung, die Gruppe, die einen umgeben hat, zu regulieren.
Die Quintäre Regulation ist nicht mehr rückgängig zu machen, in dem Sinne, dass der Körper dann zur Quartären, Tertiären Regulation etc. zurückkehren kann. Doch wie beschrieben entsteht Regulation innerhalb einer Gruppe. Auch das Beispiel mit dem Mann und den Ohrenschmerzen, das ich vor einigen Wochen angeführt hatte, zeigt, wie der Tod der Geliebten die Regulation des Großvaters in das System bringt. Nur indem die Dame, die es im Krieg so böse erwischt hat, als Symptom in Erinnerung bleibt, bekommt der Symptomträger eine Anregung, sich mit sich selbst (und der Familiengeschichte) in auseinanderzusetzen.
Aus dieser Ansicht heraus sind Symptome in jedem Fall zu achten.
Der Ansatz, ein Symptom in einer einzelnen Person beseitigen zu wollen, würde die Regulationsversuche des Gruppensystems (Körper, Seele, Geist) unterdrücken. Nur das Anerkennen eines Symptoms als Regulationsversuch des individuellen als auch des Gruppensystems (Familie) ermöglicht dem Körper, stärkere Regulationskräfte zu mobilisieren. Demzufolge kann ein Symptom sich erst auflösen, sobald es die Erlaubnis hat, da sein zu dürfen. Es braucht sogar Anerkennung, vielleicht sogar Liebe und Bewusstheit.
Meinen wir, durch die Beseitigung von Symptomen, Lösung zu erreichen, bewirken wir das Gegenteil: Personen und Ereignisse, auf die es vielleicht hinweist, werden ausgeschlossen. Heilung im Sinne von Ganzwerdung wird verhindert. Ein Ziel bei einer Heilung zu verfolgen ist identisch mit der Entstehung von Krankheit, dessen Ziel es ebenso war, etwas ins Lot zu bringen. Heilungs-Ziele bewirken, dass wir von etwas wegsehen, das eine eigene Unfähigkeit repräsentiert. Es entsteht ein neues Loch, das wiederum mit einem Symptom gefüllt werden muss.
Geistiges und seelisches Wachstum sind also nur möglich, indem die Selbstregulationshierarchien und deren individuellen Möglichkeiten zur Reifung absichtslos bedacht und anerkannt werden.
Ihr Oliver Unger