Kann es einen absolut gesunden Organismus geben?
von Oliver Unger
Die Frage, die zur Diskussion steht, lautet ausformuliert: „Kann es einen absolut gesunden Organismus geben, der jeden Stress, jede Belastung gut verkraften kann, ohne dass die Person davon beeinträchtigt wird?“ Unterschiedliche persönliche Sichtweisen zum Thema „gesund bleiben“, wie z.B. der Einsatz positiver Gedankenmuster verhelfen uns, uns selbst zu erkennen und unsere Heilung zu unterstützen. Doch jedes Konzept stößt irgendwann an Grenzen. Was kann also dazu dienlich sein, für seinen Organismus einen Raum zu schaffen, in dem er gesunden kann?
Wer schon länger auf einem spirituellen Weg ist, hat gelernt, anzuerkennen was ist. So ein Mensch nimmt die Gegebenheiten gelassen an, integriert sie in sein Gedankengut und in seine spirituelle Praxis. Jeder Gedanke, jedes Konzept ist erlaubt, sowohl ein „positiv“ bewertetes als auch ein „negativ“ bewertetes. Das scheint das moderne Ziel zu sein, das ein spirituell lebender Mensch anstrebt.
Auf dem Buch-Markt finden sich zunehmend Ratgeber zu dem Thema, welches so mancher spirituelle Lehrer schon lange verinnerlicht hat: Anerkenne was ist und du bist frei von Sorge. Enthält diese Art zu denken auch den Schlüssel zur Selbstregulation des Körpers?
Offenbar nicht, denn selbst die Großmeister erwischt es manchmal - auch wenn nicht immer bekannt wird, was mit ihnen geschieht. Meine persönliche Meinung: Hut ab vor den Meistern, die sich trauen, in einer breiten Öffentlichkeit zuzugeben, dass sie z.B. Krebs haben – obwohl sie eine lange Zeit zuvor spirituell gereift sind! Solche Eingeständnisse erschüttern das Konzept von Gesundheit und Krankheit, das in ihren Schülern (und auch in uns) herangereift und mit uns verwachsen ist. Es macht deutlich: „Krankheit“ ist Teil des Lebens, wie „Gesundheit“. Es kann dich „erwischen“, egal, wie sehr du dich anstrengst, „gesund“ (oder „krank“) zu bleiben.
Unsere Suche nach Selbsterkenntnis und daraus resultierender Gesundheit kann unendlich lang und intensiv sein und sie wird nie ein Ende finden, so lange wir nicht begreifen, dass jedes Wehwehchen, jedes Symptom, jede akute wie chronische Krankheit ein Versuch des Körpers ist, einen absolut gesunden Zustand wiederherzustellen.
Und hiermit sind wir an der Kern-Aussage meines Textes angelangt. Diese These scheint zunächst paradox. „Wie kann es sein, dass eine Krebs-Erkrankung einen wieder gesund machen soll? Wenn man Krebs hat, ist man doch krank!“, denkst du vielleicht jetzt.
Ich möchte Krankheit an dieser Stelle neu definieren. Ich sehe sie nicht nur als Chance. So hat sie z.B. Dr. Rüdiger Dahlke glücklicherweise schon vor vielen Jahren beschrieben (Danke dafür, Ihre Texte waren und sind eine großartige Inspiration!). Des Weiteren kommt hinzu, dass viele Therapeuten Krankheit für eine Art Dysbalance halten - Ausdruck einer seelischen/inneren Verstimmung im Organismus.
Auf physiologischer Ebene mag das zutreffen. Man findet dann ja tatsächlich Zellen, z.B. Immunzellen, die in einem „gesunden“ Zustand nicht in der gleichen Zahl vorhanden gewesen wären. Die Wahrheit sieht anders aus: Krankheit ist die Möglichkeit des Körpers, endlich Ausgewogenheit herzustellen. Sie ist die eigentliche Balance, die andere Seite der Waage. Sie bildet das Gegengewicht zu dem, was wir durch unsere Begrenzung (im Verhalten, Fühlen, Denken) nicht zu erreichen vermögen. Sie ist nicht bloß Ausdruck eines inneren „Defizits“, sondern, so wie wir sie definieren, ist sie eher als eine Art Zwischenstation auf dem Weg zur Heilung zu betrachten. Vielleicht auch als „Selbstreinigung“.
Auf diese Weise betrachten können wir sie nur, wenn wir demütig sind – loslassen, was wir glauben zu wissen. Das wirft uns aus unseren gewohnten Bahnen, bringt uns vom geplanten Weg ab, um uns wieder auf unseren eigentlichen (meist verborgenen) Weg zu führen. Dazu erschüttert „Krankheit“ unsere alten, verkrusteten Denkweisen, öffnet Tür und Tor, um Neues hineinzulassen, das unsere Begrenzung aufhebt.
Teil 4 „Wie kann der Tod Bestandteil von Heilung sein?“ folgt kommende Woche.
Herzlichst Oliver Unger