Die Raunächte: Die Zeit zwischen der Zeit
von Annemarie Herzog -
Die Raunächte
Was kommt im kommenden Jahr auf mich zu? Viele stellen sich diese Frage wohl jedes Mal in der Zeit kurz vor dem Jahreswechsel. Viele machen sich Gedanken über ihre Zukunft, mehr noch über ihre guten Vorsätze. Dieses Grübeln über das herannahende Jahr kommt nicht von ungefähr, es hat seine Wurzeln bei unseren Vorfahren. Wenn wir uns das Brauchtum der Raunächte unserer Vorfahren und was dahinter steckt genau anschauen, wissen wir auch, warum.
Bildstock und Filialkirche Heiliger Andreas bei Altendorf in der Südkärnter Gemeinde Sittersdorf. (Foto: Rolf Bickelhaupt)
Dieser Artikel stützt sich auf mein im FREYA Verlag erschienene Buch „Gelebte Rau(ch)nächte – Mit Räucherrezepturen für jede Raunacht“. Ich habe dieses Buch geschrieben, um den Leserinnen und Lesern sowohl die Zeit der Raunächte als auch die einfache Anwendung des Räucherns näher zu bringen.
Kaum ist die Christmette zu Ende, der Glockenturm schlägt 24-mal hintereinander, beginnt am 25. Dezember eines jeden Jahres die Phase der Raunächte. Bis zum 5. Januar, 24 Uhr, dauert sodann diese „5. Jahreszeit“, wie sie auch gerne genannt wird.
Angenommen wird, dass sie bereits vor über 5.000 Jahren in den Kulten und Bräuchen der indogermanischen Stämme ihren Ursprung hat. Auch von den antiken Germanen und den Kelten wissen wir, dass sie diese Zeit feierlich begangen und nicht nur dabei die Heilkraft des Räucherns genutzt haben.
Dieses Wissen wurde über die Jahrtausende hinweg von Generation zu Generation übertragen. Bis heute haben sich die Raunächte und die in dieser Zeit gepflegten Bräuche, die mündlich über Jahrtausende hinweg überliefert worden sind, nicht nur im deutschsprachigen Gebiet, sondern auch im skandinavischen Raum sowie in Irland und Schottland erhalten. Diese Tage und Nächte sind mithin ein fester, traditioneller Bestandteil der mittel- und nordeuropäischen Spiritualität.
Die Zeit der Raunächte
Dass die Raunächte vom 25. Dezember bis zum 5. Jänner gefeiert werden, hat mit der jeweiligen unterschiedlichen Dauer des Mond- und des Sonnenjahres zu tun. So besteht das Mondjahr aus 354 Tagen, das Sonnenjahr aus 365 Tagen. Die Differenz beträgt also 12 Tage und wird auch gerne als „Ausgleich“ zwischen dem Mond- und dem Sonnenjahr bezeichnet. Kein Wunder also, dass diese Zeit, weil zwischen Heiligabend und den Heiligen Drei Königen gelegen, auch mit dem christlichen Verständnis von den „zwölf heiligen Nächten“ übereinstimmt, wobei der ebenfalls bekannte Begriff der „Zwölften“ darauf Bezug nimmt.
Spannend ist auch der Wortteil „Nächte“ im Namen „Raunächte“. Zurück geht dies auf den keltischen Jahreskreis. So wurden die „Tage“ ab dem 21. März bis zum 20. September generell als „Tage“ bezeichnet, auch die Zeitspanne des Tages, in der es dunkel ist. Es war länger hell als dunkel, und daher die Jahrestage.
Die Tage ab dem 21. September bis zum 20. März jedoch wurden immer als „Nächte“ bezeichnet, auch jene Zeitspanne des Tages, in der es hell ist. Es war länger dunkel als hell, und daher die Jahresnächte.
Nach unserem heutigen Verständnis schließt eine Raunacht immer den „ganzen Tag“ mit ein, beginnend jeweils um 0.00 Uhr und endend immer um 24.00 Uhr. Die Periode der Raunächte wiederum beginnt somit am 25. Dezember um 0.00 Uhr und endet immer am 5. Jänner um 24.00 Uhr.
Der Name Raunächte
Wahrscheinlich ist, dass der Name „Raunächte“ auf das mittelhochdeutsche „rûch“ zurückgeht. Übersetzt bedeutet dieses Wort so viel wie „wild“, „perzig“ und „haarig“. Daher werden diese Ausdrücke gerne mit den Perchten in Verbindung gebracht, bei denen wilde und maskentragende, mit Fellen behangene sowie mit Peitschen und Glocken ausgestattete Wesen durch viele Orte der alpenländischen Region ziehen, um die „bösen Geister“ des Winters auszutreiben.
Genauso kann es sein, dass dieses Wort vom Brauch des Räucherns kommt. Denn das mittelhochdeutsche Wort „rouch“ bedeutet so viel wie „Räuchern“. Im damaligen Sprachgebrauch wurde es insbesondere für die Durchführung von Räucherzeremonien verwendet. So wurde aus den „rouchnahten“ schließlich die „Raunächte“, die da und dort auch als „Rauchnächte“ bezeichnet wurden.
Das Räuchern in den Raunächten
Das Räuchern selbst ist fast so alt wie das Feuer. Bereits vor Tausenden vor Jahren bemerkten unsere Vorfahren, dass der Rauch beim Verbrennen von bestimmten Pflanzen, Wurzeln, Rinden und Blüten eine ganz bestimmte Wirkung entfaltet. Erstmals überliefert ist das Räuchern in der Zeit, die wir heute Raunächte nennen, bei den Kelten. Sie bezeichneten diese Periode als „Lostage“. Später übernahmen die germanischen Stämme viele Bräuche von den Kelten, so auch das Räuchern, insbesondere in den „Lostagen“. „Los“tage deshalb, weil man in dieser Zeit in die Zukunft schaute, damit man wusste, was künftig „los“ ist.
Bei beiden Völkern gab es heilkundige Frauen und Männer. Seinerzeit hatte das Räuchern zwei Funktionen: Zum einen sollte – wie auch heute noch – das Böse weggeräuchert und Krankheiten vorgebeugt werden. Zum anderen galt es damals, die keltischen bzw. germanischen Götter milde zu stimmen.
Schon bei den Germanen waren die Raunächte eine heilige Zeit. Der Brauch, Haus und Hof zu beräuchern, hat sich bis in unsere heutigen Tage gehalten, ebenso, dass hier nicht gearbeitet werden sollte.
Bis in unsere heutigen Tage hat sich der Brauch des Räucherns von Häusern, Höfen und Ställen erhalten.
Aus welchen Zutaten besteht nun das „klassische“ Räucherwerk für die Raunachtszeit? Ein Blick in die Literatur vergangener Epochen zeigt uns hierzu viele unterschiedliche Rezepturen, die allesamt durchaus auch antiseptische Wirkungen entfalten.
Aus der Zeit der Kelten und Germanen sind folgende Zutaten überliefert:
Alantwurzel, Beifuß (die bedeutendste Heilpflanze bei den Kelten und Germanen), Engelwurzwurzel, Eschensamen, Fichtenharz, Kiefernharz, Latschenharz, Lorbeer, Mädlesüßblüten, Meisterwurzwurzel, Rosmarin, Salbei, Tannenharz, Thymian, Wacholderzweige und Zirbenharz.
Mit der Ausbreitung des Christentums kamen folgende Bestandteile hinzu:
• Frauenbuschen, bestehend aus getrockneten Zweigen, meist von Beifuß, Eibisch und Königskerze,
• Palmbuschen, die je nach Region aus getrockneten Zweigen unterschiedlicher Pflanzen wie Buchsbaum (Segenszweig), Eibe (wirkt gegen Hexen), Palmkätzchen (Segenszweig), Stechpalme (wirkt gegen Dämonen), Thuje (zur allgemeinen Abwehr) und Wacholder (schützt vor der Pest) sowie dem Haselnussstecken (schützt vor Blitz und Donner) gebunden waren und
• Weihrauch.
Aus der obigen Aufstellung wird eines eindrucksvoll deutlich: Es handelt sich – mit Ausnahme des Weihrauchs – um Pflanzen, die ausschließlich bei uns heimisch sind, bei uns wachsen. Wie viele hiesige Pflanzenkundige und Gelehrten sind auch wir der Überzeugung, dass die besten, heilsamsten und nützlichsten Gewächse hier bei uns, vor unserer eigenen Haustür gedeihen. Wir finden in unseren Breitengraden alles an Pflanzen, was der Mensch zur Ernährung, für seine Gesundheit und sein Wohlbefinden benötigt; und dies trifft auch für das Räuchern zu.
Unsere Kräuter und all die anderen hiesigen Pflanzen mit ihren Blüten, Harzen, Rinden und Wurzeln schenken uns all das, was für das Räuchern und seine Zwecke notwendig ist.
Natürlich erfreuen auch wir uns auch an (Räucher-)Düften aus anderen Breitengraden. Als entsprechendes Beispiel möchte ich insbesondere den bereits angesprochenen Weihrauch nennen, der auch unter dem Namen Olibanum bekannt ist. Auch wenn er bei uns nicht heimisch ist, hat er in unserer Kultur seinen festen Platz erobert. Bereits seit der Zeit der späten Antike, also seit der Mitte des ersten Jahrtausends, ist sein Gebrauch bei uns nachgewiesen. Und auch in der Medizin hat er seinen Platz gefunden.
Bereits die Heilkundige Hildegard von Bingen (1098–1179) nutzte ihn gegen Schwerhörigkeit und Ohrengeräusche. Heutzutage setzt man den Weihrauch als entzündungshemmend z. B. bei Darmerkrankungen, bei allergischen Hauterkrankungen, bei Entzündungen der Leber oder der Bauchspeicherdrüse sowie bei Asthma ein.
Das Buch „Gelebte Rau(ch)nächte – Mit Räucherrezepturen für jede Raunacht“
Mir war es in meinem Buch zu den Raunächten insbesondere wichtig, das alte Wissen der Raunachträucherungen zu beschreiben. Da es für jede Raunacht ein besonderes Thema gibt, ist es natürlich auch relevant, genau zu diesem Thema beim Räuchern die geeigneten Zutaten zu verwenden. Daher wird in diesem Buch für jeden der zwölf „Raunachtstage“ eine Räucherrezeptur vorgestellt.
Diese passenden zwölf Räucherwerke habe ich in einem von mir kreierten „Raunachtskalender“ verpackt. Zunächst werden in meinem Buch nicht nur die fünf Themen dieses Tages beschrieben, sondern es gibt dazu auch entsprechende Tipps: „Wie öffne ich mein Herz?“, „Wie werden Wunder im Leben sichtbar?“, „Sich öffnen (Aufbruch), aber wie?“, „Was gibt mir Kraft im neuem Jahr?“ und „Sich überlegen, mit wem ich weiter Kontakt haben möchte“. Im Anschluss daran befindet sich die jeweilige Rezeptur, die für alle Tage vom FREYA-Verlag wunderschön illustriert wurden.
ANNEMARIE HERZOG BEIM RÄUCHERN. FOTO: ROLF BICKELHAUPT
Annemarie Herzog
BÜCHER UND PRODUKTE ZU DEN RAUNÄCHTEN
Annemarie Herzog
Gelebte Rau(ch)nächte – Mit Räucherrezepturen für jede Raunacht
Freya Verlag, 136 Seiten,
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Annemarie Herzog
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