Menschliche Zwänge und Herausforderungen im Alltag
von Gerd Bodhi Ziegler -
Es ist ein Ausdruck der Verehrung unseres göttlichen Seins und der Liebe zu unserem Menschsein, eine gesunde Balance zwischen Hochleistung und Muße, Beanspruchung und Freiraum, Konzentration und Entspannung entstehen zu lassen. Wenn wir dies vernachlässigen, verlieren wir über kurz oder lang die Freude und Begeisterung, die unsere Tätigkeiten verdienen.
Dies sind dann jedes Mal eindringliche Hinweise, dass wir von der Spur unserer inneren Wahrheit abgewichen sind. Denn dann leben wir vorwiegend fremdbestimmt und ferngesteuert und sind schmerzlich getrennt von dem, was wir brauchen und was unsere Seele wirklich will. Hier braucht es dringend einen inneren Abstand von den Umständen und Menschen, denen wir die Macht eingeräumt haben, uns zu besitzen und unsere Kraft zu missbrauchen.
Sollte dies auf dich selbst nicht zutreffen, werden dir wahrscheinlich Menschen in deinem Leben einfallen, die sich in einer solchen, leider sehr weit verbreiteten Situation befinden. Wenn es jedoch auch dich selbst betrifft, wirst du dem begegnen müssen, was du vielleicht aus Pflichtgefühl und Wohlverhalten vermeiden wolltest: deinem existenziellen Allein-Sein und der Notwendigkeit, dich von der Angst vor den Urteilen anderer zu befreien.
Alle scheinbaren Zwänge, denen du dich unterwirfst, erwachsen aus einem Mangel an Klarheit und Vertrauen in dein vollkommenes Geführt- und Versorgtsein. Ein sich vom Ganzen getrennt erlebendes Ich wird immer in der Vorstellung gefangen sein, es müsse ganz allein und isoliert für sein Überleben kämpfen.
Durchschaue diese Illusion und erinnere dich daran, dass du auch dann richtig und wertvoll bist, wenn du in den Augen einiger Mitmenschen nicht „normal“ funktionierst! Eine solche Herausforderung anzunehmen, lohnt sich auf erstaunliche Weise. Es kann uns und unser Leben befreien und verwandeln.
Wenn wir auch nur einen einzigen Schritt voller Mut und Hingabe auf die göttliche Wirklichkeit zugehen, so wird diese gnadenvoll antworten und uns tausend Schritte entgegenkommen. Sie wartet in uns auf unser bedingungsloses „Ja“. Um wahrhaft zu finden, brauchen wir nur am richtigen Ort zu suchen. Das, wonach wir uns sehnen, sehnt sich auch nach uns.
Ich liebe die Geschichte der Sufi-Meisterin Rabia, die ich Osho in meiner Zeit bei ihm oft erzählen hörte. Rabia lebte im Mittelalter in Indien und demonstrierte auf typisch verrückte Weise, wie Menschen ihre kostbare Lebenskraft damit verschwenden, ihr Glück im Außen zu suchen. Sie erregte immer wieder Aufsehen durch ihr scheinbar eigenartiges Gebaren.
Eines Abends sahen die Menschen sie vor ihrer Hütte wie verzweifelt nach etwas suchen. Erst wenige, dann immer mehr kamen herbei und erkundigten sich, was sie denn verloren habe. Rabia sagte, dass sie ihr Nähnadel verloren habe. Die Suche zog sich immer länger hin, bis die einsetzende Abenddämmerung ihr ein Ende setzte.
So fragten einige Dörfler Rabia: „Wo genau hast du denn deine Nadel verloren?“ Sie antwortete: „In meiner Hütte.“ Worauf manche wie entgeistert, andere recht entrüstet Rabia zur Rede stellten: „Wie kannst du denn deine Nadel hier draußen suchen, wenn du sie drinnen verloren hast?“ Rabia entgegnete: „Nun, weil hier draußen doch mehr Licht ist und ich in meiner Hütte doch gar kein Licht habe.“
Die Menschen tuschelten untereinander, dass Rabia jetzt offensichtlich völlig übergeschnappt sein müsse. Diese unterbrach sie schließlich und sagte: „Liebe Freunde, es mutet euch seltsam an, dass ich meine Nadel draußen suche, wo sie nicht verloren ging, nur weil ich hier draußen Licht habe.
Was meint ihr, wie seltsam es mich anmutet, euch zuzusehen, wie ihr tagein, tagaus euer Lebensglück im Außen sucht. Der einzige Platz, wo das wirkliche Glück zu finden ist, liegt in eurem Inneren, wo es jedoch noch völlig dunkel ist.
Was glaubt ihr, wird euch euer Streben nach mehr Reichtum, mehr Ansehen, mehr Besitz in eurem Leben geben können? Und was wisst ihr über die Schätze, die im Verborgenen der Seele in euch ruhen?! Um diese in eurem Inneren zu finden, müsst ihr bereit sein, eurer Dunkelheit und euren Schatten zu begegnen.“
In der Regel wird jeder Mensch irgendwann in seinem Leben mit den tiefsten Schichten seiner Ur-Wunden in Berührung kommen. Wird dies angenommen und für Entwicklung genutzt, so beginnt ein befreiender Prozess, der in eine beglückende Wiedergeburt mündet. Uns wahrhaft auf die innere Suche einzulassen, eröffnet die Chance, unser grenzenloses und unzerstörbares Sein zu realisieren.
Die überwältigende Erkenntnis, dass dieses bei weitem größer und umfassender, mächtiger und wirklicher ist als alle inneren Abgründe, verwandelt unser Bewusstsein und Leben grundlegend.
Die inneren Schatten und dunklen Emotionen, die auftauchen können, wenn wir uns wie der „Eremit“ in den Tarotkarten auf die Suche nach dem inneren Licht machen, sind lediglich durch Unbewusstheit selbst geschaffene und vorübergehende Erscheinungen. Doch unser Sein ist wie eine strahlende Sonne, die unaufhörlich aus sich selbst heraus leuchtet. Unsere wahre Natur ist unbegrenzt, unvergänglich und unverwundbar.
Das Wunderbare an echter Selbstbegegnung ist, dass mit jedem klaren Hinschauen und bereitwilligen Fühlen das in uns freigesetzt wird, was wir essenziell sind und was wahrhaft zu uns gehört. Es beginnt immer klarer zu strahlen, während alles Illusionäre sich wie Nebel in der Morgensonne auflöst.
Die schwierigsten Themen und größten Herausforderungen, welche die Seele des Menschen sich für den jeweiligen Lebensweg wählt, tragen gleichzeitig die größten Potenziale für Wachstum und Befreiung in sich. Probleme sind also nichts Schlechtes und schon gar keine Strafe, sondern selbst gewählte Gelegenheiten zum Frei-Werden und Erwachen. Alltäglicher Stress will ein Wegweiser sein zu uns selbst.
Der Text ist ein Auszug aus meinem aktuellen Buch „Wer liebt hat alles“.
Herzlichst
Gerd Bodhi Ziegler
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