Beelzebubs Erzählungen für seinen Enkel
von advaitaMedia -
Beelzebubs Erzählungen für seinen Enkel, Erstes Buch von G. I. Gurdjieff
Jeder Schriftsteller kann im Maßstab der Erde schreiben, ich aber bin nicht jeder. (S.41)
„Bist du dir sicher, dass du dich an den Beelzebub wagen willst?“, fragte mich noch die Verkäuferin im Buchladen. „Also für mich ist das ja nix… ich habe es versucht, aber nach ein paar Seiten aufgegeben. Vielleicht ist das Buch für Mentalfixierungen, wie dich, auch besser geeignet.“
So verlief der Kauf meines ersten Buches von Gurdjieff und markierte bereits damit einen, sagen wir mal ‚nicht ganz mühelosen Weg‘. Später schlage ich die erste Seite auf und erhalte gleich den wohlwollenden Rat, das Buch dreimal zu lesen. Dreimal – insgesamt 1300 Seiten, rechnet mir sofort mein Geist vor! Und das erste Mal, so rät Gurdjieff weiter, sollte wenigstens so mechanisch gelesen werden, wie man es gewöhnt ist, alle modernen Bücher und Zeitungen zu lesen.
Diesen Ratschlag im Hinterkopf behaltend, mache ich mich ‚an die Arbeit‘ und versuche zu lesen. Schnell wird mir klar, dass der Beelzebub mitnichten ein gewöhnliches Buch ist. Die Lektüre ist nicht nur eine bewusste Bemühung, sondern grenzt an freiwilliges Leiden! Zumindest was das erste Kapitel ,Erwachen des Denkens‘ angeht. Anfangs weiß ich nie, ob der werte Autor gerade die Konzentrationsfähigkeit des Lesers testet, ob er mit seinen Charakteren und Geschichten tiefere Wahrheiten verschlüsselt oder ob er sich mit seiner komplizierten Ausdrucksweise und den halbseitigen Schachtelsätzen einfach nur einen derben Spaß erlaubt.
...und was das Gegenteil von gut ist, muss sogar jeder, der keine Hämorrhoiden hat, sehr leicht verstehen. (S.10)
Sätze wie solche sind also keine Seltenheit. Wenn der Sinn auch nicht immer sofort ersichtlich ist, so gibt es zumindest Anlass zum Schmunzeln. Warum musste Gurdjieff eigentlich einen so negativ besetzten Charakter wie Beelzebub zum Haupterzähler seiner Schriften wählen? Dazu schreibt er: Meine Schlauheit liegt in der logischen Annahme, dass, wenn ich ihm (Beelzebub, Anm. d. Verf.) diese Aufmerksamkeit erweise, er unbedingt – wie ich inzwischen schon nicht mehr bezweifle – sich mir dankbar erzeigen und mir mit allen ihm zu Gebote stehenden Mitteln bei meinen beabsichtigten Schriften helfen wird. (S. 43)
Diese Zeilen erinnern mich an die innere Arbeit. Wir lassen den Geist für uns arbeiten, den Teil, der die Trennung gleichzeitig immer und immer wieder erschafft.
Doch zurück zur Geschichte. Der Plot ganz grob: Beelzebub entstammt im Buch von einem Planeten namens Karatas. Da er sich in höhere Angelegenheiten Seiner UNENDLICHKEIT einmischte, wurde er ins Sonnensystem Ors verbannt, wo er dann auf dem Planeten Mars lebte. Der ERSCHAFFER UND SCHÖPFER verzieh ihm allerdings und so befindet sich Beelzebub zum Zeitpunkt seiner Erzählungen zusammen mit seinem teuren Enkel Hassin auf dem Raumschiff Karnak und ist auf dem Weg zurück nach Karatas. Auf dieser Fahrt berichtet er dem wissensdurstigen Hassin von den Beobachtungen, die er vom Mars aus gemacht hatte, von seinen Hinabkünften auf die Erde und sonstigen Erfahrungen, die ihm zu teil wurden.
Da Gurdjieff nicht im Maßstab der Erde schreibt, wird weder Atlantis, noch die Paarung zwischen zwei- und dreihirnigen Wesen ausgespart. Ein großer Teil von Beelzebubs Erzählungen besteht aus kosmischen Entwicklungen, Ereignissen und Gesetzmäßigkeiten, denen er eigentümliche Namen verpasst. So z.B. das zweite kosmische Grundgesetz, das Gesetz der Drei, was er das heilige Triamasikamno nennt.
An anderer Stelle berichtet Beelzebub über die Entstehung des Mondes durch einen Kometeneinschlag auf die Erde. Bei dieser Kollision brach nicht nur ein Stück aus der Erde, das die Menschen später Mond nannten, sondern auch noch ein zweites Stück mit Namen Anulios, was später dann in Vergessenheit geriet.
Als Folge dessen bildete sich, vereinfacht gesagt, ein organischer Film auf der Erde, von dem die Menschen ein Teil sind, und dieser organische Film dient dazu, dem Mond und Anulios geheiligte Askokin-Schwingungen zu deren Erhalt zu senden - womit das eigentliche Dilemma für den Menschen beginnt. Denn laut Beelzebub ist es gewöhnlich überall mit dreihirnigen Wesen der Fall, dass sie sich in Richtung objektiver Vernunft vervollkommnen. Doch damit wäre zu befürchten gewesen, dass die Menschen erkannt hätten, dass sie durch ihre Existenz die abgetrennten Stücke ihres Planeten zu erhalten haben, und sich überzeugten, dass sie an für sie ganz fremde Umstände versklavt seien, sie ihre Existenz nicht länger fortsetzen wollten und sich aus Prinzip vernichten würden. (S.95)
Wie auch immer das gemeint ist, damit beginnt der Eingriff in die natürliche Entwicklung des dreihirnigen Wesens Mensch. Er bekommt ein Extraorgan am Ende des Rückenmarkes eingepflanzt, das sogenannte Organ Kundabuffer. Im Verlauf des Buches beschreibt Beelzebub, dass die Menschen dieses Organ zwar wieder verloren hätten, die Folgen davon sich aber allmählich kristallisierten und zu anomalen Entwicklungen wie Egoismus, Eitelkeit und Stolz führten. Schmerzhaft verfolgte ich beim Lesen den Verfall des ursprünglichen Potenzials des Menschen.
Doch die nüchterne Draufschau auf den Menschen öffnet gleichzeitig die Möglichkeit für ein ganz neues Weltbild, auch wenn für mich das Ganze schwer zu glauben ist und zudem ich noch nicht einmal wissen kann, wann Gurdjieff eine Analogie verwendet und wann eben nicht.
Wer immer noch überlegt, ob er das Buch nun lesen soll, der sei nochmal an die Intention des Werkes erinnert: ...um ohne Schonung und Kompromiss die im Denken und Fühlen des Lesers seit Jahrhunderten eingewurzelten Meinungen und Ansichten über alles in der Welt Existierende zu vernichten. (aus dem Vorwort)
Wer danach sucht, ist mit diesem Buch auf jeden Fall bestens bedient. Die Überprüfung der dargestellten Theorien wird allerdings der schwierigste Teil, sofern das Lesen nicht zur bloßen Unterhaltung verkommen soll. Ich bin froh, einen Lehrer zu haben, der auch mit den Lehren des vierten Weges arbeitet und der meine erworbenen Ansichten überprüfen kann. Das empfehle ich auch dem geneigten Leser.
Sonst entfaltet das Buch durchaus Wirkung, wenn auch subtil. Gurdjieffs Bemühungen zielen darauf ab, das Unterbewusstsein mit dem üblichen Wachbewusstsein zu verbinden. Manchmal passiert es beim Lesen, dass mich etwas berührt, als ob sich etwas Tieferes in mir dabei angesprochen fühlt – so wie eine plötzliche Erinnerung an einen nächtlichen Traum, der wieder aufsteigt. Besonders ergriffen hat mich das Kapitel über die Bewusstwerdung der echten Seins-Pflicht.
Dankbarkeit über dieses Geschenk des Lebens steigt auf und wiedermal kommt der Wunsch, dem Wesentlichen dienen zu wollen, das ganze Potential des Menschseins erfahren zu dürfen. Ich finde Gurdjieffs Metablick deswegen so wertvoll, weil er genau dieses Potential aufzeigt. Entgegen unserer Schlafsucht, erinnert er uns immer und immer wieder an das Sein. Er setzt seine ganze Hoffnung in den Leser, dass er sich seiner Selbst bewusst wird und seiner Existenz würdig leben möge. So sei es.
Leser von advaitaMedia, Ben Albrecht (16.11.2018)
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