Yoga: Askese.
von Gert Gröper -
Yoga: Askese - Übersinnliche Wahrnehmun - Innere Freiheit.
Patanjali hat vor über 1.600 Jahren, vermutlich schon viel früher, die damals vorhandenen Yogaformen zusammengefasst und in einer sehr klaren Sprache systematisch dargestellt. Seine kurzen Yoga-Sutren (Lehrsätze) sind noch heute Grundlage für alle, die Yoga verstehen wollen. Und für alle, die Yoga praktizieren wollen.
Yoga wird zuallererst von Außenstehenden mit Körperstellungen verbunden, die uns unüblich erscheinen. Sie strahlen ein sichtbares Körperbewusstsein aus. Das fasziniert auch uns heute noch. Die zahlreichen Yoga-Körperhaltungen weisen oft einen Namen wie Kobra, Baum oder Brücke auf. Diese Namen veranschaulichen bilderhaft eine äußere Form der Yoga-Körperhaltung.
Dieser äußerliche, sichtbare Yoga mit beachtenswerter Körperbeherrschung geht weit über Gymnastik hinaus. Gymnastik arbeitet mit wiederkehrenden Bewegungen, um bestimmte Körperteile geschmeidig zu machen oder zu stärken. Bei der Gymnastik geht es um Gesundheit und Fitness. Und Gymnastik bereitet in der Gruppe Gleichgesinnter viel Spaß, im bunten Outfit moderner Freizeitkleidung und oft mit pulsierender, bewegender Musik.
Yoga dagegen ist leiser, ruhiger und in stiller Freude. Die Yogakleidung wirkt dezenter, weil Yoga die Achtsamkeit von Äußerlichkeiten mehr auf den optimalen Ablauf von asketisch anmutenden Körperhaltungen lenkt, die immer auch mit einer inneren Achtsamkeit verbunden wird.
Körperlich sichtbares Yoga mit asketisch anmutenden Körperhaltungen (die Asanas genannt werden) hat zum Ziel, in die Ruhe zu kommen. Es ist das Ziel, über eine äußere Ruhe zu einer inneren Ruhe zu kommen.
Um dann durch rhythmische Atemübungen (Pranayama) zu einer inneren Stille zu gelangen.
Regelmäßiges Einatmen und Ausatmen mit bedeutsamen Atempausen dazwischen bringt den Yogaübenden dazu, zum Beobachter zu werden. Dann bin ich ein Beobachter, der sich selbst und seine Umwelt betrachtet. Ich beobachte mich aus einer körperlichen und inneren Stille heraus, wo dann mein Atem von alleine fließt. Wo dann in aller Reinheit „es mich atmet“.
Yoga ist ein altes System. Dort geht es zuerst um die Beobachtung meines Körpers und später dann auch um die Beobachtung meiner Gefühle und meines eigenen Geistes.
Schon das subtile Erspüren des eigenen Körpers braucht Zeit. Und noch mehr Zeit braucht es für die Wahrnehmung und das Erfahren aller Sinne. Und es braucht dann auch eine Zeit für die stille Beobachtung, wie mein eigenes Denken bewusst und unbewusst abläuft. Deshalb ist der Yogaweg ein so langer. Ein weiter Weg, der mit der Zeit immer neue Sichtweisen ermöglicht.
Yoga ist also immer mehr, als das Einüben asketischer Körperstellungen. Yoga ist ein Weg, auch die eigenen Gefühle und die eigenen Denkmechanismen kennenzulernen. Um sich von falsch überlieferten Verhaltensmustern zu lösen, die oft zu Verwirrungen im Leben führen können.
Jeder weiß, wie schwer es ist, die eigenen Sinne zu beherrschen. Damit ich dann weniger oder gar nicht mehr von Gefühlen abhängig bin, die immer wieder aus der Vergangenheit heraus, aus bereits erlebten Situationen heraus, mein Handeln in der Gegenwart bestimmen.
Gefühle wie Gier, Zweifel u.a sind Hindernisse auf dem Yogaweg. Deshalb ist eine achtsame Beobachtung ein guter Weg, um die eigenen Gefühle, meine Sinne und mein Denken kennenzulernen.
Hier zeigt sich, dass im Yoga unabhängig von der Zugehörigkeit zu einer bestimmten Religion, positive Verhaltensweisen eingeübt werden können. Yoga ist in diesem Sinne ein Weg der Entfaltung. Deshalb kann Yoga in jeder Religion als eine praktische und hilfreiche Ergänzung betrachtet werden.
Liebe und Mitgefühl sind Beispiele für eine klare und reine yogische Lebensweise, die sich auch im Christentum und im Buddhismus finden lassen und damit verbinden lassen.
Der Yogaweg ist ein praktischer Leitfaden, der traditionelle religiöse Lebensweisen gut ergänzt oder auch unabhängig von einem Gottesbild beschritten werden kann.
Denn es geht im Yoga nicht um ein bestimmtes Gottesbild, das durch unsere Erziehung traditionell vorgeprägt ist und erhalten werden sollte. Yoga vermittelt über Körperübungen und innerer Achtsamkeit, dass wir Menschen mit dem Göttlichen zutiefst verbunden sind.
Yoga ist immer eine Anbindung an die göttliche Schöpfung, dem Ausdruck der göttlichen kosmischen Ordnung, die auch Raum lässt für das eigene persönliche Gottesbild, das wir mitbringen.
Yoga ist also die Beschreibung eines bewussten Lebensweges, der eine äußere und innere Vollkommenheit einschließt und sich dann in der erlangten Reinheit und in Hingabe an das Göttliche zeigt.
Konzentration und Meditation und Versenkung als innere Sammlung spielen im Yoga eine wesentliche Rolle. Aber die Schönheit des Yoga offenbart sich aus meiner Sicht leider erst nach vielen Jahren des Übens. Weil dann erst meine Körperbewegungen leichter „wie fast von selbst“ ablaufen und das bewusste Atmen zurücktritt, weil „es mich atmet“. In aller Stille und Tiefe.
Wo liegt der Sinn des Yoga in einer modernen pulsierenden Welt um mich herum ?
In der Betrachtung meines Körpers, in der Wahrnehmung meiner Sinne und in der Beobachtung meines Denkens. Ein Beobachten ohne Bewertung. Eine stille Beobachtung.
Yoga will auf dem langen Weg der Menschwerdung zu einer Vollkommenheit führen, wo sich der Mensch dann wieder dem Göttlichen nähert. Als Zeichen dieser Entwicklung zur Vollkommenheit hin können sich vollkommene Kräfte einstellen, die auch übersinnliche oder übernatürliche Kräfte genannt werden.
Diese übersinnliche Wahrnehmung, wie etwa Hellsehen, geht über unsere bekannte Sinneswahrnehmung hinaus. Es ist schon schwierig mit den normalen Augen etwas zu sehen, ohne dabei falschen Illusionen zu erliegen. Deshalb ist das über unsere Sinne hinaus reichende Hellsehen noch viel schwieriger. Woher weiß ich als Heiler, dass das hellsichtig Gesehene auch wahr ist ?
Menschen, die im Alltag Tarotkarten für sich oder andere legen, um wahrzusagen oder die als Medium Durchsagen für anderen Menschen erhalten, diese wissen auch um die Schwierigkeit der reinen Betrachtung und der wahren Interpretation des Geschauten.
Denn die übersinnliche Welt ist unabhängig von einer Zeitvorstellung und Raumvorstellung, die wir auf dieser Erde allgemein als verbindlich festgelegt haben.
Patanjali widmet deshalb in seinen Yoga Sutren ein ganzes, differenziert dargestelltes Kapitel
über diese übersinnliche Wahrnehmung, bevor er dann abschließend über die innere Freiheit des Menschen schreibt, die den Yogaweg krönt.
Kurz bevor der Yogaübende das Yogaziel erreicht, wird er lernen, mit den Kräften umzugehen, die über die sinnliche Erfahrung hinausgehen. Diese sind so verlockend für jedes Ego, das sich aufgebaut hat, dass Menschen schnell der Gefahr erliegen können, diese auftauchenden übersinnlichen Kräfte für persönliche Machtausübung oder für eine gefällige Selbstdarstellung zu missbrauchen. Das ist dann kein Yoga mehr.
Deshalb haben alte Mysterienschulen in der Antike (wie in Indien, Griechenland, Ägypten) auch stets im Verborgenen gearbeitet und dort ihre Schüler überprüft und dann erst ausgebildet, damit es im späteren Leben nicht zu einem Machtmissbrauch kommen sollte.
Wir leben heute in einer Zeit, wo alles sichtbar ist und auch das geheime esoterische Wissen alter Kulturen im Internet bei Wikipedia offen nachzulesen ist. Damit hat aber auch heute jeder selbst die volle Verantwortung für seine persönliche Lebensgestaltung. Ob und wie er zur menschlichen Vollkommenheit gelangen möchte.
Tiefe Konzentration, Meditation und Versenkung sollen uns mit dem Göttlichen verbinden. Diese Anbindung an das Göttliche vermag also übersinnliche Kräfte zu wecken, die einen Zustand der Vollkommenheit spiegeln.
Dieser Zustand der übersinnlichen Wahrnehmung ist ein Geschenk Gottes, wie es Bettina Bäumer in „Wurzeln des Yoga“ beschreibt. Aber gleichzeitig auch nur eine Vorstufe zu der schöpferischen Freiheit. Patanjalis Sutren enden deshalb nicht bei diesen übernatürlichen, kosmischen Kräften. Sondern das Ziel darüber hinaus ist das Erreichen einer großen Freiheit, verbunden in Harmonie mit der göttlichen Schöpfung.
Wo dann mein Körper nicht mehr bestimmt, was ich zu tun habe.
Wo dann meine Sinne mich nicht mehr verwirren.
Wo mein Geist dann klar und frei ist.
Wenn wir auf dieser Erde sind, um Erfahrungen zu sammeln und um uns zu entwickeln, dann
kann Yoga ein hilfreicher praktischer Leitfaden sein, wie ich mich in diesem Leben bewusster verhalten kann und wie ich mich mit der großartigen göttlichen Schöpfung wieder verbinden vermag.
Yoga also als ein innerer Zustand, wo die seelischen und die geistigen Bewegungen zur Ruhe kommen. Das hat Patanjali vor vielen Jahrhunderten schon in seinem zweiten Lehrsatz ganz kurz und ganz tief zugleich geschrieben.
Herzlichst
Gert Gröper
Mailanschrift: gert.groeper@gmx.de
Buch von Gert Gröper „Heilarbeit mit dem feinstofflichen Körper“. ISBN: 978-3-7375-0253-5.