Der Schwan und die Affenfamilie oder Sei du selbst.
von Andrea Lettow -
Es war einmal ein Schwanenkind, das nahe eines kleinen Flusses allein und hilflos auf einer Wiese saß.
Eine Affenfamilie, die gerade einen Ausflug machte, sah es sitzen und fragt es:
„Wo sind denn deine Eltern?“
Das Schwanenkind wusste es nicht.
Die Affenfamilie beratschlagte sich kurz und entschied sich dafür, das Schwanenkind mitzunehmen und ihm bei sich ein Zuhause zu geben.
Sie fragten also das Schwanenkind, ob es mitkommen und bei ihnen wohnen möchte.
Das Schwanenkind war froh, dass es nicht mehr allein war und so ging es gern mit.
Mit aller Affenliebe wuchs das Schwanenkind auf, es war jedoch nicht immer glücklich, denn es konnte
nicht auf die Bäume klettern, nicht von Ast zu Ast springen oder Kokosnüsse von den Bäumen schmeißen.
So sehr es auch übte, es gelang ihm nicht und so war es oft sehr traurig, weil ihm das, was den anderen so viel Spaß machte, selbst keine Freude bereitete.
Die Affenfamilie hatte sich längst damit abgefunden, dass aus ihm wohl nichts Gescheites wird und war daher wegen seiner Zukunft in Sorge.
Aus dem kleinen Schwanenkind wurde in all den Jahren ein großer Schwan und als er eines Tages mal wieder an seinem Lieblingsplatz saß, einem kleinen Rinnsal, da hatte er wieder dieses Kribbeln in sich.
Dieses Kribbeln bekam er immer, wenn er hier saß und dann wurde er von einer Sehnsucht ergriffen, von der er nicht wusste, wonach.
An diesem Tag traf er eine Entscheidung.
Er wollte herausfinden, was dieses Kribbeln zu bedeuten hatte und warum ihm immer so warm ums Herz wurde.
Also lief er nachhause und erzählte seinem Affenbruder, zu dem er großes Vertrauen hatte, von seiner Entscheidung und, dass er dafür weggehen muss, weil er hoffte, auf seinem Weg das zu finden, was seine Sehnsucht stillt.
Der Affenbruder sagte: „Ich lasse dich nicht allein. Ich begleite dich.“
So zogen die beiden los.
Sie hatten schon einen langen Weg hinter sich gelassen, als sie plötzlich vor einem Wiesenstück standen, das dem Schwan bekannt vorkam und dann erinnerte er sich.
Es war das Wiesenstück, auf dem er vor vielen Jahren allein und hilflos saß.
Liebevoll dachte er an die Affenfamilie, bei der er ein Zuhause hat und von der er nach bestem Wissen all das beigebracht bekam, was auch sie einst von anderen gelernt hatten.
Das sehnsuchtsvolle Gefühl wurde hier auf dem vertrauten Wiesenstück jedoch noch größer und wie er nach allen Seiten Ausschau hielt, sah er nicht weit von sich etwas durch die Bäume schillern.
Neugierig, was das sein könnte, gingen die beiden in diese Richtung weiter.
Als sie dem Schillern immer näher kamen, nahmen sie ein Geräusch war, dass das Herz des Schwans, aus einem ihm nicht erklärbaren Grund, vor Freude hüpfen ließ.
Der Schwan lief immer schneller, getrieben von einer inneren Freude und auf einmal stand er an einem großen Fluss.
Das Wasser war herrlich blau und so klar, dass er bis auf den Grund sehen konnte.
Im Wasserspiegel, nahm er jedoch noch etwas anderes wahr, nämlich sich und in diesem Moment hatte er den Impuls in das Wasser zu springen, nur, es ging nicht.
Wie angewurzelt stand er da.
Nach langem Zögern hob er ganz langsam ein Bein und hielt es vorsichtig in das Wasser.
"Oh, wie gut sich das anfühlt", dachte er.
Das andere Bein ließ sich jedoch nicht von der Stelle bewegen.
Hin- und hergerissen, was er jetzt tun sollte, sah er von einem Bein zum anderen.
Aus Erfahrung wusste er, dass er nichts richtig machte.
Es beschlichen ihn Zweifel und er dachte sich: „Das kann ich nicht. Ich stelle ich mich wieder ungeschickt an? Vielleicht wäre es besser, mit dem Affenbruder zurückzulaufen.“
Da war jedoch auch dieses freudige Gefühl in ihm und das fühlte sich so gut an.
Das Herz des Schwans klopfte wild, als er all seinen Mut zusammen nahm und sich in das kalte Wasser gleiten ließ.
Etwas Wundervolles konnte in diesem Moment geschehen.
Ein Glücksgefühl, das so groß war, sich so herrlich anfühlte, dass ihm die Worte dafür fehlten, durchströmte seinen ganzen Körper.
Er plätscherte vor lauter Freude mit den Füssen und schwamm so gekonnt, als hätte er dies schon immer getan,
Er fühlte sich getragen, er fühlte sich leicht und stark zugleich, so, wie er es nie zuvor gefühlt hatte.
Dem herangewachsenen Schwan fiel es schwer zu glauben, dass es etwas gab, das auch er sehr gut konnte und die Gedanken, die er dabei hatte, fühlten sich furchtbar an.
Das, was er schon immer sehr gut konnte und nie verlernt hatte, denn es gehörte schon immer zu ihm, hatte er beim Üben dessen, was nicht zu ihm passte, vernachlässigt.
Sein Vertrauen in sich hatte dabei stark gelitten.
Es gehörte daher sehr viel Mut dazu, etwas, dass sich nicht gut anfühlt, mit dem er sich jedoch arrangiert hatte, loszulassen und sich zu vertrauen.
Letztendlich folgte er seiner inneren Stimme.
Vielen Menschen geht es oft nicht anders. Sie machen sich zum Affen, obwohl sie keiner sind.
Sie sind ein Schwan und wenn ihr Leben im Fluss ist, dann ist es ein erfülltes und freudvolles Leben.