PHÄNOMENE DES MODERNEN STADTSCHAMANISMUS – CITY SHAMAN
Skript zum Impulsreferat "Fest der Steinzeitmusik" - Armin vom Silberwald September 2012
Referat zu Phänomenen des modernen Stadtschamanismus in den Städten, Dörfern und urbanen Regionen Europas, von Armin vom Silberwald, im Rahmen der Schwazer Silberwalddialoge / Fest der Steinzeitmusik 2012 Museum Galerie Rabalderhaus Schwaz.
Herzlich willkommen liebe Freunde des Schwazer Silberwaldes und Interessierte an der Steinzeitmusik.
Einiges zu religiös-schamanistischen Ansätzen des Neanderthalensis und Sapiens haben wir schon gehört. Ich erlaube mir, das Phänomen des modernen Stadtschamanismus, wie ich es nenne, zu hinterfragen. Wobei ich bemerken möchte, Stadtschamanen gab es schon mit dem Priestertum in Babylon und im alten Ägypten.
Es soll hier keine Kritik an diesem gar nicht so jungen Phänomen sein, sondern ich möchte einfach nur aus Neugierde einiges in den Raum stellen. Ein jeder kann selber Fragen und Antworten finden. Auch möchte ich betonen, wenn ich von Schamanen spreche, meine ich damit auch Frauen, also eine Schamanka, wie man so manchmal sagt.
Es zeigt sich schon am Begriff Schamane, wie wenig different und auch „schwammig“ er gebraucht wird. Als Terminus für eine wissenschaftliche Arbeit sollte er eigentlich definiert, gefasst werden - machen wir vielleicht noch. Wobei ich betonen möchte, das hier ist keine wissenschaftliche Arbeit.
DAS PHÄNOMEN SCHAMANISMUS
Zumindest wenn ich vom Phänomen Stadtschamanismus spreche, meine ich damit eine anthropologische Sicht, im engeren Sinne eine kulturanthropologische Betrachtung auf das Auftreten vermeintlicher oder echter Schamanen und ebensolcher Frauen im urbanen Raum. Damit sind die Megacities, die Dörfer, die Städte aber auch die intensiv landwirtschaftlich genutzten Räume unseres Kontinents gemeint.
Etwas zieht sich quer über dem Kontinent Europa; Leute, meist jüngeren und mittleren Alters, lesen ein Buch über Schamanismus, besuchen einen entsprechenden Workshop und spüren so etwas wie ein schamanistisches Empfinden oder gar Kräfte und Potential in sich. Das ist kein dichtes, aber ein weit verbreitetes gesellschaftliches Phänomen, ich spreche hier auch aus den Erfahrungen des Silberwaldes und seine Verbindungen in die urbane Welt.
Dabei sollte man die unterscheiden, die aus welchen Gründen auch immer geleitet sind von einem Verlangen, von einer mehr oder weniger großen Sehnsucht nach einer anderen Welt und jene, die explizit als Schamanen auftreten.
Bei letzteren ist wieder zu trennen, die, die sich mit der Sache ernsthaft und vor allem ident auseinander setzen und jenen, die durch Workshops oder z.B. durch Vorträge vor mehr als 1000 Leuten nicht wenig Geld machen. Oft sind es wenig erfolgreiche Journalisten, die auf diesen Zug aufspringen und dann sehr erfolgreich sind, Beispiele gibt es mehr als genug.
Überhaupt gilt, wer ein Buch, in welcher Qualität auch immer, schreibt, ist schon eine anerkannte Autorität. Und je mehr Bücher, inflationär, desto höher das Ansehen und selten fragt jemand danach, was wirklich hinter Aussagen steht.
DREI BEISPIELE DES PHÄNOMENS
● ALTES WISSEN
Im Silberwald machen die „Mondinen“, das sind Silberwaldfrauen, Mondfeiern und noch einiges in dieser Art.
Eine Feier hatte den Titel „Altes Wissen für die neue Zeit“. Bemerkenswert, wie wenig die Leute altes Wissen in sich hatten. Natürlich kann nicht ein jeder ein Historiker sein und den Leuten ist eigentlich nichts vorzuwerfen.
Viel fragmentarisches Wissen aus Workshops und Vorträgen wird ihnen zwar als alt, in jedem Fall zugleich als brand-neu, weil rentabel, verkauft. Ihre Vorstellungen vom Licht, vom fließenden Licht vom Kosmos herab, durch den Körper und in Umkehrung zum Kosmos zurück (Exkurs: persische Lichtreligion des Zarathustra), oder von Einem zum Vielem und zurück (Exkurs Plotinus), hören sie, eben altes Wissen, aber von der Geschichte dieses Wissens wissen sie nichts.
Auch wird immer wieder in idealisierender Weise von der guten alten Zeit naturbezogener Völker und Kulturen gesprochen bzw. geschrieben, besonders von der der Maya, den Kelten und Germanen. Sie wissen zwar, dass die Maya durch ihren Raubbau an der Natur ihre Kultur in den Untergang trieben (Exkurs: Der Untergang der Maya), aber hier findet eine intensive Verdrängung statt.
Auch Kelten, Germanen, Römer und Griechen, besonders Spanier und Briten betrieben aus wirtschaftlichen und kriegsmateriellen Gründen, vor allem wegen des Flottenbaus, konsequentesten Raubbau an der Natur. (Exkurs: Das maurische Eichhörnchen)
Hier entspricht ein Rückbeziehen auf einen schonenden Umgang der alten Völker mit der Natur nicht den historischen Tatsachen.
● BIOGRAPHIE DES STADTSCHAMANISMUS
Eine Runde beim AVATARA Fest 2012 im Silberwald: Junge Leute sitzen am Feuer und sprechen von der Notwendigkeit einer Veränderung der Welt. Im Zeichen des Lichtes wird sich alles zum Besseren wenden, sie glauben, immer mehr Leute werden vom Neuen Guten überzeugt sein und eine neue Welt der Liebe, des Friedens und der Achtung der Natur schaffen. Diese Leute sind enorm friedlich und haben so gar nichts mit der Revolte der 68er zu tun, allerdings sind sie sehr nahe den Hippies der 70er Jahre des vergangenen Jahrhunderts.
Die Hippies der 70ger und 80ger Jahre wurden aus Los Angeles und dann aus Kalifornien vertrieben und schufen eine Weiterführung ihrer Kultur in der portugiesischen Enklave GOA in Indien. Ein wesentliches Begleitinstrument dieser Kultur war der Gedanke und die Musik des New Age. Diese damalige Subkultur hatte noch keine tiefen religiösen Züge.
Jetzt kommt eine späte Welle wieder nach Europa zurück und die jetzige Subkultur steht ebenso in starker Opposition zum herrschenden Establishment.
Eines unterscheidet die jetzige Subkultur von der der alten Hippies, sie hat enorm tiefe religiöse Züge. Die Leute fühlen sich ungerecht behandelt, getäuscht, missbraucht von Politik und Wirtschaft und glauben sich einem permanenten Druck der Gesellschaft hilflos ausgesetzt zu sein – was ja auch stimmt.
● RELIGIÖSE ZÜGE
Prinzipiell stellen diese Leute jedem außerhalb ihrer Welt ihren eigenen absolutistischen Anspruch voran, auch wenn sie dabei oft genug von Toleranz und Offenheit sprechen. Hier zeigt sich deutlich ein Satz der Erkenntnistheorie: „Vernunft und Glaube gehen nicht zusammen“. Verstandesarbeit setzt nahezu zur Gänze aus und es herrscht im Regelfall purer Glaube und zeigt sich so oft genug in einen latenten Ansatz eines Stadtschamanismus. (Exkurs: Diese Leute pflegen einen enormen nützlichkeitsorientierten Egoismus). Nicht wenige von ihnen hoffen, die Welt außerhalb ihrer eigenen bricht zusammen, nutzen aber sehr gerne die Vorteile diese Welt, wenn es zu ihrem Vorteil ist.)
Es ist die Flucht in eine alternative Religion. Z.B. eine Flucht aus der christlichen Religion, ihren Konfessionen wie z.B. die Katholische Kirche, in die einer lichterhellten Naturreligion, einem Naturromantizismus oder auch einer fiktiven, idealisierten Welt. Immer bestimmt von deutlichen Merkmalen, Kriterien einer Religion.
Damit klar ist, was hier für eine Sprache bzw. Begriffe herrschen:
Liebe ist die größte Macht des Universums, es ist die lichtvollste Energie, die uns Menschen alle miteinander in höchster Schwingung verbindet. Erst wenn es uns gelingt, eine Situation in bedingungsloser Liebe anzunehmen, sind wir in der Lage uns mit dem ewigen Sein zu verbinden. (Exkurs: Begriffshervorhebung)
Eigentlich, "überzeichnet gesagt", gehen sie von einem Gefängnis einer ihnen oft vom Elternhaus übertragenen Religion in ein Gefängnis einer anderen Religion – der Licht- und Energiereligion. (Exkurs: Die neue Verletzlichkeit der Christlichern Kirchen / des Christentums generell.)
Und weil hier letztlich eine Erlöserreligion, - beachtet keine Offenbarungsreligion - eine tragende Rolle spielt, ist es für rhetorisch geschickte, manchmal auch charismatische Persönlichkeiten relativ leicht, wie der Fischer mit dem Netz, die Suchenden, Hilflosen, Orientierungslosen einzufangen und ihnen so einiges direkt und indirekt zu vermitteln, ja sie regelrecht zu verzaubern. Wo funktioniert so etwas am besten, in den Megacities, den Städten und Dörfern, sowie urbanen Regionen, eben dort, wo es Druck, Enttäuschung und Frust gibt. Dort fischen nicht wenige Schamanen, Heiler, Heilversprecher etc. und zumindest eine mehr oder weniger große Hörerschaft ist ihnen sicher. Hier spreche ich von Stadtschamanen.
PHÄNOMENE DES STADTSCHAMANISMUS
Wie ist es nun mit dem kulturellen Phänomen des Stadtschamanismus wirklich? Der erste weit verbreitete, wenn auch ein dünner Stadtschamanismus, setzte sich gegen Ende der 70er Jahre in Europa fest. Junge Leute hörten einerseits von den Hippies in Kalifornien, andere vom Leben der Native American Indians, den Lakotas, den Navajos oder der sehr rätselhaften Kultur der Hopi Indianer.
Die meisten jungen Europäer besuchten weniger die Hippies, sondern die Indianer, wollten ihr Leben, ihre Kultur kennen lernen. Dort trafen sie auf sogenannte „Medizinmänner“, also Schamanen der Clans und Stämme. Wobei die Indianer selber den Begriff Schamane ablehnen, sie sprechen eher von Heilern oder heiligen Männern. (Exkurs; Sitting Bull, der Hexer Geronimo)
Die jungen Leute kamen nach Europa zurück. Fasziniert nicht nur von der Kultur der Indianer, sondern besonders von ihren heiligen Männern. Damit einhergehend besuchten bekannte heilige Männer der Indianer Europa. Es entstand ein reglerechter Austauschtourismus. Erste Ansätze von aktiven Schamanen in den Städten waren zu erkennen.
Die Hippies wurden aus Kalifornien regelrecht vertrieben, geprügelt, und siedelten sich in GOA, der portugiesischen Enklave in Indien an. Dort lernten die Leute den Brahmanismus, den Hinduismus und die Kultur der Sadus kennen. Der Buddhismus spielte für die Entwicklung des Stadtschamanismus keine Reolle.
Eine Synthese, eine Melange, alle dem entstand in Europa, begleitend initiiert von der späten Musik der Beatles, besonders durch das aufsehenerregende Aussehen von George Harrison, seinem Sitarspiel, seiner Lebensweise. Es war die Botschaft eines sehr starken Bildes.
Viele begannen sich für diese östliche Kultur und Lebensweise zu interessieren. Besonders das Rätselhafte, das Unbekannte, letztlich das mystische und magische dieser Kulturen bewegten tief Teile der Jugendkultur.
In den 80er und 90er Jahren faszinierten die Aborigines Australiens, begleitend von der Exotik des Didgeridoos, sowie auch die der in der Natur total eingebundene Kultur der Buschmänner der Kalahari.
Dieses romantisch-idealisierte Bild setzte regelrecht Seelen junger und Leute mittleren Alters in Bewegung.
Jetzt fahren immer mehr Musiker, Obertonsänger in die nördliche Mongolei und das benachbarte Sibirien. (Exkurs: TUVA) Dort verbringen sie meist einen 14tägigen Urlaub und treffen auf sogenannte „Schamanen“, erfahren wie schon in den 70er Jahren zuvor in Amerika vom „Schamanenamt“ – ein wichtiger Begriff. Wie zur Legitimation lassen sie von sich mit einem Schamanen ein Foto für die Homepage oder zum Herumzeigen machen.
Sie erleben seelennah Trancezustände, in denen Kontakt zu Göttern, zu einer Geisterwelt oder zu den Ahnen aufgebaut wird. Das passiert im Regelfall mit Ritualen, Tänzen, Posen, um z.B. Beschwörungsformeln zu tragen und zu verstärken. Oft genug um Schutz herbei zu rufen oder zu heilen.
DIE KEHRE
Diese kurz angerissene Biographie eines differenten, sich über die Jahrzehnte synthetisch immer mehr anreichenden, verbindenden idealisierten Schamanentums führte zum heutigen urbanen Schamanismus Europas. Er ist ein Paradox, denn einerseits enorm vielfältig, andererseits nahezu durchgehend stringent.
Seit dem Homo neanderthalensis gibt es wahrscheinlich schon Schamanen, sein religiöses Empfinden scheint gesichert zu sein, ähnlich dem frühen Homo sapiens in Europa.
Und jetzt die These: Wenn sich religiös-schamanistisches Empfinden über mehrere Jahrzehntausende, wahrscheinlich Jahrhunderttausende, in uns verfestigt (Exkurs: Freud, C. G. Jung), kann es nicht einfach in Jahrzehnten verloren gehen. (Exkurs: Genetik; Determinismus, stammesgeschichtliches Verhalten, etc.) Konsequent und evident heißt das, auch im urbanen Menschen der Jetztzeit müsste das Potential des „Schamanenseins“ gegeben sein. Bei katholischen Priestern nimmt man das wie selbstverständlich an und eigentlich müsste die Heilige Hildegard von Bingen eine Schamanka, eine Schamanin gewesen sein.
In diesem Sinne liebe Freunde, hier in diesem Raum sind wir alle Schamanen oder haben zumindest etwas davon in uns. Also lasst euch nicht irritieren und kauft euch eine Rahmentrommel, dann macht wenigstens irgendjemand ein Geschäft.
Euer Armin vom Silberwald, einer der alten Meister des Waldes, ein Elfenmeister
Euer ist das Licht, mein die Dunkelheit. Ich liebe die Nacht, den Mond und die Dunkelheit, ich komme aus der Dunkelheit ::: 01. Sep 2012