Der Tod zeigt uns die Liebe.
von Kerstin Werner -
Oma und ich, wir waren genau 50 Jahre auseinander. Es gab eine Situation, die uns sehr nah zusammen führte. Ein Moment, der die Liebe zwischen uns mehr denn je ans Tageslicht brachte: Wir saßen im Wohnzimmer auf der Couch, sie hatte ihr Testament von Hand geschrieben, die Zettel lagen vor ihr. Es ging ihr zu dem Zeitpunkt gut. Sie war zwar mit ihren etwas über 80 Jahren ein wenig gebrechlich, aber geistig fit. Ihre Handschrift war jedoch so verwackelt, dass man sie nicht mehr ohne Anstrengung lesen konnte. Deshalb bat sie mich eines Tages, ihr Testament niederzutippen.
Sie las mir die Worte vor, hörte aber immer wieder auf … weil sie weinen musste. Ihr ganzes Leben lang war sie stark. Sie hatte so viel gekämpft, hatte ein eigenes Kind, ihre Geschwister, ihren Mann und auch ihre Enkelin, die sie mit aufzog, früh gehen lassen müssen.
Und nun las sie mir vor, was sie ihre Kindern, den übriggebliebenen Enkelkinder und sogar den Urenkeln gewidmet hatte. Es war ihr “letzter Wille” und doch war es so viel mehr. Es waren Worte, die von Herzen kamen.
Wir machten an diesem Tag gemeinsam eine Reise in die Zukunft. Wir stellten uns beide vor, wie es ist, wenn sie nicht mehr da ist. Und genau deshalb zeigte sich etwas, was ich noch nie zuvor zwischen uns so stark spüren konnte.
LIEBE.
Ohne wenn und aber.
Einfach nur LIEBE.
Wir haben an diesem Nachmittag viel zusammen geweint, einander gehalten und uns gegenseitig Trost geschenkt. Auf eine besondere Art und Weise. Die Vorstellung an den Tod hat uns etwas Wunderbares offenbart: Bedingungslose Liebe. Das spürten wir beide.
Für diese Erfahrung bin ich sehr sehr dankbar. Ich glaube, das war auch der Grund, wieso ich Oma so schnell gehen lassen konnte. Weil ich diese reine Liebe schon spürte bevor sie ging. Zuvor war der Tod für mich immer dunkel. Das war bei Oma anders. Sie war für mich ganz schnell “hell”.
Deshalb stelle ich mir manchmal vor, wie es ist, wenn jemand mit seinem Körper für immer geht. Besonders die Menschen, die mir nahe stehen. Vor allem dann, wenn mal Unfrieden herrscht. Um ihnen mit dem Herzen wieder näher kommen zu können.
Jemanden gedanklich weiterfliegen zu lassen gibt mir die Möglichkeit, zu spüren, was wirklich da ist. Dann wird so vieles unwichtig. Dann zählt nur das, was übrig bleibt, wenn unsere Körper nicht mehr existieren. Die Seelen kommen dann zusammen. In diesen Momenten spüre ich auch die Dinge, die noch dazwischen stehen, die mit Liebe nichts zu tun haben. Die Abhängigkeiten. Das, was eigentlich weh tut. Denn Liebe tut nicht weh.
Liebe macht frei.
Liebe lässt gehen.
Liebe heilt.
Herzensgrüße
Kerstin Werner