Heirate Dich selbst – sei bitte egoistisch.
von Veit Lindau -
Sei bitte egoistisch.
Es ist mir in diesem Zusammenhang ein Herzensanliegen, mit einem großen Vorurteil aufzuräumen. Immer wieder stolpere ich über die Meinung, ein Mensch, der sich erfolgreich um die Erfüllung seiner Bedürfnisse kümmert, sei ein Egoist und dies wäre etwas Schlechtes. Höchste Zeit, ein Plädoyer für gesunden Egoismus zu schreiben!
Wenn ich meine Klienten dazu ermutige, ihre Bedürfnisse zu erforschen und intelligent zu erfüllen, fragen sie mich oft besorgt, ob das denn nicht egoistisch sei. Manche bekämpfen verzweifelt ihre Begehren, weil sie gehört oder gelesen haben, alles, was mit dem Ego zusammenhänge, sei schlecht, unterentwickelt und falsch. Verkrampft versuchen sie, „das Ego-Ding“ und seine Gelüste zu unterdrücken oder besser noch ganz abzuschaffen.
Aus der Entwicklungspsychologie (*) wissen wir, dass Egozentrik eine wichtige Phase in der Reifung des menschlichen Bewusstseins ist. Ein Kleinkind kann nicht anders, als seine Umgebung aus einer rein egozentrischen Perspektive heraus zu betrachten: Es sieht und fühlt nur sich selbst und ist unfähig, die Perspektive eines anderen einzunehmen. Kids in diesem Alter sind liebeswerte aber selbstsüchtige kleine Monster – und das ist auch gut so. Es gilt die Maxime: Möglichst viel Freiraum zum Ausprobieren schaffen und gleichzeitig für intelligente Schadensbegrenzung sorgen.
Verläuft die Entwicklung eines Menschen normal, das heißt ungestört, lernt er in Kindheit und Jugend seine elementaren Bedürfnisse kennen und dafür einstehen. Seine egozentrische Wahrnehmung erweitert sich organisch in eine ethnozentrische.
Vereinfacht gesagt: Sein Verständnis davon, wer er ist und was ihn angeht, dehnt sich auf seine Umgebung (die Familie, die Clique, den Verein etc.) aus. Bedauerlicherweise bleiben die meisten Menschen auf dieser Entwicklungsstufe stehen. Sobald unsere kleine Gemeinschaft alles hat, was sie zum bequemen Leben braucht (Kinder, Job, Haus, Gartenlaube), ziehen wir einen Zaun um unser trautes Glück und versuchen, das, was sich außerhalb abspielt, weitestgehend zu ignorieren. Unser Planet sehnt sich jedoch schmerzhaft nach mehr Menschen, die den Sprung zur nächsten Entwicklungsstufe schaffen: zu einer Weltzentrik und später sogar Kosmozentrik.
Auf dieser Ebene öffnen sich Herz und Selbstverständnis für die Belange der ganzen Welt. Eine klare, wache Liebe für ein anderes reift also aus einem gesunden Egoismus heraus.
Doch was ist, wenn wir in der egozentrischen Entwicklungsphase unseres Lebens irritiert wurden? Indem man uns beispielweise massive Schuldgefühle vermittelte, wenn wir uns für unsere Bedürfnisse stark machten? Ein Teil unserer Persönlichkeit ist dann auf dieser Entwicklungsstufe stehengeblieben und wartet darauf, erlöst zu werden. Das ist auch der Grund, warum erwachsene Männer und Frauen, die in ihrem Job überaus erfolgreich und selbstbewusst agieren, sich urplötzlich in kleine infantile Wesen verwandeln können, wenn ihnen jemand zu nahe kommt(**).
Herzlichst
Veit Lindau
Der Artikel ist ein Auszug aus dem Buch "Heirate dich selbst" von Veit Lindau.
(*) Ich beziehe mich hauptsächlich auf die Arbeit von Ken Wilber, der die Ergebnisse vieler Forscher auf diesem Gebiet hervorragend zusammenfasst. Die Einteilung der Entwicklungsstadien ist je nach Modell verschieden. In Jean Gebsers Modell gibt es fünf zentrale Entwicklungsebenen, bei Clare Graves und dem Spiral Dynamics-Modell ist von acht Wertesystemen die Rede und Susanne Cook-Greuter differenziert zehn Ebenen der Selbstidentität. An dieser Stelle reicht uns der Kerngedanke, dass ein menschliches Leben bestimmte universelle Reifungsstadien zu durchleben hat.
(**) Ken Wilber: Integrale Psychologie. Geist, Bewusstsein, Psychologie, Therapie, Freiburg 2001.
(***) Ebd.: Integrale Spiritualität. Spirituelle Intelligenz rettet die Welt, München 2007.
Man schaue sich nur eine Sitzung im Bundestag an. Oft kommt es mir vor, als wenn sich kleine Mädchen und Jungen im Buddelkasten streiten. Mich beunruhigt es, wenn ich daran denke, wer da zum Teil mit Regierung der eines ganzen Landes beauftragt wurde.