Spiritualität: Psychosynthese - Psychologie des 21. Jahrhunderts?
von Gerhard Schobel -
Was ist Psychosynthese? Wie kann ich Psychosynthese beschreiben? Dies sind Fragen die mir im Rahmen meiner Seminare und in den Ausbildungen immer wieder begegnen und zugleich ein Ausdruck dafür sind, wie schwierig es für uns Menschen ist, etwas zu beschreiben, dass ein offenes, wachsendes System darstellt.
Sehr viele Systeme lassen sich in klare Grenzen stellen und auch in der Abgrenzung von anderen Systemen beschreiben. Ein System, beziehungsweise eine Denkhaltung, die jedoch bestrebt ist, auch alle anderen Denkhaltungen, soweit möglich miteinzubeziehen, ist da schon etwas schwieriger zu handhaben.
Was können wir unter dem Begriff der "Psychosynthese" verstehen? Ist es ein Psychologierichtung, oder eine Form der Therapie? Ist es eine pädagogische Richtung oder eine dieser pseudomystischen, religiösen bis sektenhaften Bewegungen des 20. Jahrhunderts? Ich sage, es ist nichts von alledem. Aber es wurde manchmal in der einen oder anderen Richtung mehr ausgebaut.
Um eine Antwort gleich vorweg zu nehmen, bezeichnet Psychosynthese eine einzigartige Verbindung von östlicher Weisheit und westlichem Wissen. Sehr oft werden diese beiden Richtungen (Ost und West) als zwei sehr unterschiedliche Richtungen beschrieben und wir könnten sagen, dass die Psychosynthese, durch die Synthese, so etwas wie einen dritten Weg schafft, der diese beiden grossen Richtungen in seinen Konzepten und Theorien vereint und zum Ausdruck bringt. Um dies besser zu verstehen, ist es hilfreich kurz auf den Begründer der Psychosynthese, Dr. Roberto Assagioli, einzugehen. Dr. Assagioli war Psychiater und schon während seines Studiums war er an den Bereichen Psyche, Spiritualität und Pädagogik stark interessiert.
Als Student war er begeisterter Anhänger der Psychoanalyse Sigmund Freud's und stellte sie bereits 1910 seinen Kollegen und Professoren der Universität Florenz vor. Sehr bald entdeckte er jedoch, dass ihm in der Psychoanalyse etwas fehlte. Das Fehlende war der Bereich der Spiritualität des Menschen und dessen höheren Fertigkeiten und Fähigkeiten. Für ihn war die Psychoanalyse zu stark auf den kranken Menschen ausgerichtet und zu wenig, bis gar nicht, auf dessen gesunden Anteile.
Freuds Psychoanalyse erforscht die Vergangenheit und sucht nach Ereignissen, hauptsächlich in der Kindheit, welche die Beziehung des Individuums zu seiner Umwelt beeinflussten. Damit hatte Assagioli kein Problem. Er sah deutlich, wie wichtig diese Arbeit war. Im Versuch jedoch, 'wissenschaftlich' zu sein, hatte Freud alle Hinweise auf spirituelle und mystische Dinge ausgeklammert. Da sie nicht quantifiziert werden konnten, war es am besten, sie zu vermeiden. Assagioli ging davon aus, dass man durch das Ausklammern dieser Aspekte der menschlichen Psyche sich nicht an die gesamte Person wendete. So wie wir eine 'Basis' aus der Vergangenheit haben, so haben wir auch einen 'Oberbau' an Potenzialen, an zukünftigen Möglichkeiten.
Assagioli wollte das psychoanalytische Bemühen um die vergangenen Begebenheiten aus unserem Leben und zukünftiges Potenzial, das uns unser Leben in vollsten Zügen leben lassen will, verbinden und formulierte daraus die Psychosynthese. Als Gegenmittel zum überrationalisierten Weltbild, das die Psychoanalyse auszeichnete, war Assagiolis Werk eine wesentliche Vorahnung für das Öffnen von spirituellen und esoterischen Bereichen, die wir heute fast für selbstverständlich halten. Für jene Zeit, in der er arbeitete, nahm er den bestmöglichen Kurs: er fügte das Psychologische und das Spirituelle zusammen.
Herzlichst
Gerhard Schobel