Das Bewusstsein und das Glück.
von Martinus -
Wo es Lebensbedingung ist zu töten
Alle Lebewesen haben ein Bewusstsein. Aber das Bewusstsein ist nicht gleich stark detailliert. Das Bewusstsein der Pflanze ist nur ein Ahnungsbewusstsein. Sie vermag den Unterschied zwischen den Begriffen „Behagen“ und „Unbehagen“ nur zu ahnen. Das Bewusstsein des Tieres besteht demgegenüber nicht bloß aus Ahnung.
Das Tier vermag auch mit wachem Tagesbewusstsein zu erleben. Diese Erlebnisse können Schmerz verursachen und sie können Wohlbehagen hervorrufen, nicht nur als Ahnung, sondern auch als reale bewusste Tatsache.
Das Bewusstseinsleben des Tieres dient daher dem Schutz vor schmerz- und todbringenden Erlebnissen. Da aber die Lebensbedingung im Tierreich in großem Umfang die ist, dass die Tiere von den Organismen anderer Tiere leben müssen, ist ihr Bewusstsein in entsprechendem Maße auf diesen Zustand eingestellt. Es ist dieses Tötungsbewusstsein, das das Dasein des Tigers und des Löwen, ja kurz gesagt aller fleischfressenden Tiere stützt.
Das Glück des Raubtieres kann nur gefördert werden, wenn es imstande ist, die Tiere zu überwinden und zu töten, von denen es lebt. Wenn mit dem Raubtier etwas geschieht, was es zum Invaliden macht, so dass es nicht mehr töten kann, kann es sein Leben und damit sein Glück nicht aufrechterhalten. Es wird dann selbst getötet werden oder es muss verhungern. Das Glück des Raubtieres ist also vollkommen von seiner Fähigkeit abhängig zu töten.
Der Mensch und das tötende Prinzip
Aber was ist nun mit dem Glück des Erdenmenschen? Auf welchem Bewusstseinszustand beruht dieses? Sehen wir uns die Menschen an, die dem Tier am nächsten stehen, dann sehen wir, dass ihr Glück auch auf ihrer Fähigkeit beruht zu töten. Das Töten ist einfach ihre Religion. Wir kennen alle die nordische Götterlehre und wissen, dass nach dieser Lehre keiner, der nicht selbst getötet hatte oder getötet worden war, in sein „Himmelreich“ Wallhall kommen konnte.
Die größten Helden waren diejenigen, die am meisten getötet hatten. Das Töten war einfach ein Ideal, war der Weg zum höchsten Glück. Und wie steht es mit den heutigen Menschen, mit den sogenannten „modernen Menschen“? Bedeutet dies, töten zu können, nicht noch in vielen Bereichen das Glück für sie? Weshalb haben die Menschen die beiden letzten großen Weltkriege ausgelöst, ja überhaupt all die Kriege, die die Geschichte sowohl zwischen Nationen als auch zwischen einzelnen Menschen aufweist? Wurden all die Kriege nicht begonnen, um das Glück zu retten? Beruht nicht auch das moderne Geschäftsprinzip hierauf, ungeachtet dessen, ob der Gewinn völlig schamlos erreicht wurde?
Erleben wir nicht, dass die Menschen um uns herum, um Glück zu erreichen, betrügen, rauben und plündern? Ja, sogar Selbstmord begehen die Menschen, um das Glück zu retten, da sie diese Handlung ja nur begehen, um dem Unglück oder dem vermuteten Unglück zu entgehen.
Für die Pflanze und das Tier ist das Begehren nach dem Glück kein Problem
Für die Pflanze und das Tier ist dieses Begehren nach dem Glück kein Problem. In diesen Lebensstadien ist das Lebewesen noch nicht fähig, andere Begehren zu haben als diejenigen, die eine wirkliche Lebensbedingung für es darstellen. Beim Erdenmenschen ist das dagegen anders. Durch sein viel höher entwickeltes Bewusstsein besitzt er Begehren, die in keiner Weise irgendeine Lebensbedingung für ihn darstellen, deren Befriedigung für das Erleben des vollkommenen Glücks jedoch nichtsdestoweniger als notwendig betrachtet wird.
Herzlichst Martinus
Aus einem Vortrag in Klint am 12.7.1942, bearbeitet von Mogens Møller und von Martinus gutgeheißen, erste Veröffentlichung im dt. KOSMOS 1-2/1976.
Zum ersten Mal im dänischen Kosmos Nr. 1-2, 1975 mit dem Titel: "Samvittighed" erschienen.
Übersetzung: Christa Rickus, Erich Gentsch
© Martinus Institut 1981 www.martinus.dk