Bewusstsein – Bewusst sein zwischen Bewusstsein und Unbewusstsein
Über das Bewusstsein schreiben. Zwei bis drei Seiten. Da rebelliert der Verstand, dem es gleich bewusst wird, dass dies kein leichtes Unterfangen ist. Apropos Verstand! Ist der Verstand Bewusstsein? Oder ein Teil des Bewusstseins? Oder ist eher das Bewusstsein ein Teil des Verstandes? Ok; da dieser Artikel auf ViGeno erscheint, da ViGeno sich dem Themenkreis „Spiritualität, spirituelles Bewusstsein & spirituelle Lebensweise“ verpflichtet hat, so wird zumindest ein Schwerpunkt des Bewusstseinsartikels klar, nämlich das spirituelle Bewusstsein.
Definitionsversuche des Bewusstseins – oder lieber nicht?
Beginnen wir mit einem Definitionsversuch des Bewusstseins und bedienen uns der Philosophie als der Weisheitsliebe hierfür. Da die Philosophie als das Streben nach Erkenntnis definiert wird, da weiterhin die Erkenntnis als Bewusstwerdung umschrieben werden kann, kann der Philosophie der Vorrang eingeräumt werden.
Ein erstes Überfliegen des Begriffes Bewusstsein in einem philosophischen Lexikon ermahnt aber sofort zur Beschränkung. Es ist sehr interessant, doch führt es auf unendlich scheinenden Pfaden weiter.
Welche Erkenntniswissenschaft beschäftigt sich außerdem mit dem Thema Bewusstsein? Die Antwort ist schnell gefunden: jede. „Was tun?“, spricht da nicht nur Zeus. Womit prägnanter beginnen? Worauf beschränken, wenn bei dem Erforschen des Bewusstseins zunehmend bewusst wird, dass dabei ein interdisziplinäres Vorgehen erforderlich ist, welches auch die neueren Wissenschaften wie z. B. die Informatik oder die Neurobiologie miteinbezieht.
Kehren wir dann doch wieder zur Philosophie zurück und erlauben uns bei der Betrachtung des Bewusstseins das Hinterfragen und den Zweifel, der zum Wesen der Philosophie gehört. Es ist eine ihrer schönsten und menschlichsten Seiten, mit der sie uns den Umgang mit dem Zweifel lehrt, uns nicht verzweifeln lässt, sondern den Zweifel als etwas zutiefst Menschliches bewusst macht. Ich zweifle, als bin ich? Der Zweifel steckt in dem Cogito ergo sum von Descartes … Stopp! Das wäre nämlich die nächste unendliche Geschichte. Gönnen wir uns lieber ein …
… bodenständiges Durchatmen.
Das Wort Bewusst-sein deckt das Wesentliche auf: Sich etwas bewusst werden oder sein, etwas wahrnehmen, erfassen, begreifen, als existent wahrnehmen, darum wissen. Sagen wir „Ich bin mir dessen bewusst“, so trifft das den Kern des Bewusstseins. Und sagen wir „Das war mir nicht bewusst“, so nähern wir uns dem Unbewussten, einer weiteren Ausprägung des Bewusstseins.
Unser Bewusstsein bezieht sich nicht nur auf unsere Physis, sondern auch auf die mentalen, moralischen, ethischen und die anderen Qualitäten unseres Seins. Da gibt es auch das Schuldbewusstsein, nicht nur als das Bewusstsein von der Schuld, sondern auch als die Schuldproblematik in unserer Rechtsprechung. Den Göttern sei gedankt, dass uns dieses Problem bewusst ist! Möchten wir uns bodenständiger bedanken, so könnten wir diesen Dank an Sigmund Freud richten, der das Prinzip des Unbewussten oder des verminderten Bewusstseins in unserem Bewusstsein verankerte. C.G. Jung und andere dürften wir ebenfalls nicht vergessen.
Gar nicht so leicht, das bodenständige Durchatmen bei diesem Thema!
Unterbewusstsein & Co.
Unbewusstes oder Unterbewusstsein? Den Begriff Unterbewusstsein als Synonym für das Unbewusste hat zwar Freud selbst benutzt, doch distanzierte er sich später davon. Versuchen wir uns doch mal bewusst zu machen, was das Wort Unter-Bewusstsein voraussetzt. Es ist dies ein Unterhalb, ein Darunterseiendes. Dafür ist allerdings eine Lokalisierung des Bewusstseins erforderlich, damit wir ein Darunter bestimmen können. Können wir das Bewusstsein lokalisieren?
Greifen wir weiterhin die außersinnliche Wahrnehmung (ASW) als eine Art erweitertes Bewusstsein auf. Wenn wir etwas wahrnehmen wollen, wenn es sich also in unserem Bewusstsein manifestieren soll, dann benötigen wir dazu irgendein Sinnesorgan als die Empfangsantenne, damit wir es wahrnehmen können und damit es uns danach bewusst werden kann. Ob das Organ physischer oder anderer Natur ist, ob wir es bereits kennen oder noch nicht, das ist nicht relevant. Wir brauchen es. Das Außersinnliche wird nun genauso problematisch, wie das Unterbewusstsein.
In diesem Beitrag müssten noch weitere Aspekte des Bewusstseins aufgegriffen werden. Da wären das kollektive Unbewusste, die Objektivität des Bewusstseins, das eingetrübte Bewusstsein, Wahrnehmungsstörungen, innere Kinder, das Subjekt-Objekt-Problem und vieles, vieles mehr.
Bewusstsein nur bei Menschen?
Ist Bewusstsein das Wissen um unser Sein, um die Existenz? Wissen ist aber ohne Denken nicht möglich. Das konfrontiert uns mit der Frage nach dem Bewusstsein anderer Lebewesen.
Die Pflanzenneurobiologie erforscht die Wahrnehmungsprozesse der Pflanzen bezüglich ihrer Umwelt und die Signalweitergabe der Pflanzen untereinander. Signalweitergabe ist aber Informationsweitergabe und Informationsweitergabe ist Kommunikation. So besehen müssten Pflanzen ein Bewusstsein haben. Sie sollen auch auf Musikbeschallung reagieren.
Haben Tiere ein Bewusstsein? Wenn jemand vom rein sachlichen Standpunkt her diese Frage beantworten möchte, so kann die Antwort auch „Nein“ lauten. Hat aber dieser Mensch einen Hund erlebt, der im Falle einer Krankheit oder z. B. Trauer seines Menschen sich ruhiger verhält, die Nähe des Menschen sucht, sich neben ihn hinlegt, sodass der Eindruck entsteht, er möchte helfen oder gar heilen? Sind es nur Instinkte? Und Affen und ihr Gebrauch von Werkzeugen? Delphine oder Wale und ihr Sozialverhalten? Die Komplexität der Walgesänge? Können wir wirklich überzeugt und überzeugend behaupten, Tiere hätten kein Bewusstsein?
Hier könnten wir das Schuldbewusstsein nochmals aufgreifen, wenn wir uns bewusst machen würden, was wir diesen Wesen antun. Vorsicht wäre allerdings angebracht, wenn wir in diesem Kontext einem Menschen das Fehlen eines spirituellen Bewusstseins attestieren möchten.
Spirituelles Bewusstsein – mit dem Unbewussten leben
Natürlich leben wir alle mit unserem Unbewussten, da wir es alle haben. Wenn wir jedoch die Spiritualität leben wollen, müssen wir mit dem Unbewussten – wir können es auch als unsere Seele bezeichnen –, etwas aktiver leben.
Unbewusstes ist per definitionem unserem Bewusstsein nicht zugänglich. Wenn wir jedoch vorbehaltlos die Existenz des Unbewussten zulassen, wenn wir auch unsere Schattenseiten zulassen, so werden wir merken, dass wir in unserer Entwicklung – auch der spirituellen – wesentlich schneller voranschreiten können.
Die Entwicklung des spirituellen Bewusstseins beginnt somit, indem wir lernen, uns selbst so anzunehmen, wie wir hier und jetzt sind. Dass wir auch unsere Schattenseiten akzeptieren. Dass wir uns eingestehen können, Menschen zu sein, die immer wieder etwas tun, was uns nicht mit Stolz erfüllt. Das darf natürlich nicht als ein Freibrief für solches Tun verstanden werden.
Wenn uns dieses akzeptierende Annehmen gelingt, fällt eine enorme Last von uns ab, dass wir sozusagen in einer einzigen Inkarnation zu der endgültigen Erleuchtung oder zur Heiligkeit gelangen müssen. Dadurch erhalten wir einen immer bewussteren Zugang zu unseren Schattenseiten, denn unsere Seele, erfreut über diesen Fortschritt, hebt nun verstärkt die Themen aus unserem Unbewussten in unser Bewusstsein. Sie weiß eben, dass wir nicht mehr abwehren, verdrängen oder projizieren. Sie weiß, dass wir nicht mehr nach einer Schuld suchen – weder bei uns noch bei den anderen. Wir sind in der Lage, zunehmend das Konzept einer die Bestrafung fordernden Schuld durch die Akzeptanz der Konsequenzen unseres Tuns zu ersetzen. Also Wiedergutmachung statt Bestrafung.
Unser eigener Blick auf unser Selbst wird immer schärfer und klarer, wir sehen es immer heller. Das dürfen wir durchaus als unsere Erleuchtung betrachten, die immer stärker wird, wenn wir auf diesem einmal eingeschlagenen Weg fortschreiten.
Das Leben mit dem Bewusstsein für unser Unbewusstes erweist sich als ein spirituelles Leben und als aktiv und bewusst gelebtes spirituelles Bewusstsein.
Insbesondere dann, wenn wir die Schattenseiten auch in den anderen Menschen akzeptieren und sie nicht bewerten, beurteilen oder verurteilen. Nehmen wir eine solche Haltung unseren Mitmenschen gegenüber an, so werden wir nach und nach sicher als reife, vertrauenswürdige Menschen wahrgenommen.
Wenn etwas wahrgenommen wird, wird es bewusst. Wir tauchen im Bewusstsein der anderen als spirituelle Menschen auf. Vielleicht ermutigt sie dies dazu, auch solche Wege zu beschreiten. Dann haben wir es doch noch erreicht, das Bewusstsein und die Spiritualität auf einer bodenständigen Ebene nicht nur zu begreifen, sondern sogar zu leben.
von Jan Schneider