Die verschiedenen Moralbegriffe des Rechtswesens.
von Martinus -
Diese Behörden repräsentieren ebenfalls eine bestimmte Moral, und obwohl diese Moral ein Schutz vor dem Banditenwesen ist oder sein soll, kann man doch nicht ohne weiteres davon ausgehen, dass es unter den Wesen, die dafür da sind, für Schutz zu sorgen, nicht auch einen kleineren oder größeren Hauch von Banditenwesen gibt. Wie oft hat man nicht schon gesehen, daß sie nicht davor zurückgeschreckt haben, sich bestechen zu lassen, sich von eventuell angeklagten Banditen kaufen zu lassen, um ihnen dabei zu helfen, einen Prozess zu gewinnen, so dass die Unschuldigen verurteilt und die Schuldigen freigesprochen wurden.
Abgesehen hiervon kann man sehen, wie ungeheuer schwierig es auch selbst für wohlmeinende Richter sein kann, in einem Prozess die Wahrheit herauszufinden und gerecht zu urteilen. Werden wir nicht immer wieder Zeuge dessen, dass die verschiedenen Gerichtsinstanzen oder rechtlichen Instanzen jede ihr eigenes Urteil fällen, das zuweilen dort in einem Freispruch besteht, wo andere Instanzen für schuldig befunden haben, und umgekehrt, d.h. dort für schuldig befunden haben, wo andere freigesprochen haben. Was soll ein außenstehender normaler Mensch von solchen Rechtsinstanzen halten? Es ist offensichtlich, dass von diesen Rechtsinstanzen jede jeweils andere Moralbegriffe hat. Jede von ihnen hat ihre eigene individuelle Sichtweise auf ein Verbrechen.
Es gibt keinen Zweifel, dass jedes Jahr ein gewisses Maß an sogenannten Justizmorden stattfindet. Das bedeutet natürlich nicht immer, dass das betreffende Gericht den Angeklagten direkt ermordet hat. Dies geschieht ja nur in den Fällen, in denen es um die Todesstrafe geht, die unrechtmäßig über den vermeintlichen Verbrecher verhängt wird. Aber selbst wenn es keine direkte Todesstrafe ist, die über den Verurteilten verhängt wird, so ist es dennoch ein gewisses Maß an Vernichtung des Rechtes des Verurteilten auf Freiheit und Leben. Dort, wo man den Verurteilten durch das Einsperren und Bestrafen eines gewissen Teils seiner Freiheit beraubt hat, hat man doch einen gewissen Teil des Glücks oder Wohlbefindens dieses Wesens zerstört. Man sieht, dass es sowohl im Rechtswesen als auch bei den gewöhnlichen Menschen sehr unterschiedliche Vorstellungen darüber gibt, was Moral ist.
Herzlichst Martinus
Dieser Artikel beruht auf einem Manuskript, das Martinus als Vorbereitung für einen Vortrag verfasste, den er am 19. Februar 1950 im Vortragssaal des Instituts hielt. Kleinere sprachliche Korrekturen und Stücküberschriften wurden von Ole Therkelsen angebracht. Der Artikel wurde vom Rat am 20.01.1998 gutgeheißen.
Zum ersten Mal im dänischen Kosmos Nr. 8, 1998 mit dem Titel: "Mennesket og moralen" erschienen.
Übersetzung: Christa Rickus
© Martinus Institut 1981 www.martinus.dk