Die Welt ist eine Brücke, überquere sie, aber baue auf ihr kein Haus
von Mata Fischer -
Die Welt ist eine Brücke, überquere sie, aber baue auf ihr kein Haus (indisches Sprichwort)
Unser Aufenthalt als Mensch hier auf dieser Erde dauert, gemessen an der Ewigkeit, nicht einmal einen Wimpernschlag. Und doch bewegen wir uns als wären wir für alle Zeiten hier.
Wir horten und sammeln alles Mögliche. Nicht nur weltliche Güter, auch Menschen, Wissen, Macht und vieles mehr. Das bindet uns. Denn was wir (scheinbar) besitzen, können wir auch verlieren. Damit setzten wir einen Kreislauf in Gang, der uns unfrei macht. Wir sind nicht mehr in der Lage, das Leben jeden Augenblick neu zu umarmen mit allem was es gerade für uns bereithält.
Jesus hat einmal gesagt: „Selig sind die Armen im Geiste, denn ihrer ist das Himmelreich „. Ich muss gestehen, ich habe diesen Satz lange nicht begriffen. Ich habe in meiner Naivität – „ arm im Geiste „ - mit – „ jemand ist ein bisschen einfältig“ – gleichgesetzt. Erst langsam dämmerte mir, dass es bedeuten könnte, nichts festzuhalten, das sowieso nicht zu halten ist. Alles wird irgendwann gehen. Spätestens mit unserem Tode müssen wir die Hände öffnen und loslassen. Warum nicht also gleich. Warum warten auf diesen unvermeidlichen Zeitpunkt, der uns alles nimmt, was wir zu besitzen glaubten. Warum vielleicht noch unnötigen Kampf und Schmerz in unseren letzten Tagen und Stunden, wenn wir doch jetzt schon frei sein können.
Es ist im Grunde ganz einfach. Wir müssen dazu nur die Augen öffnen und uns die Realität betrachten.
Beginnen wir beim Leichtesten. Jeder von uns weiß und hat schon erlebt, dass Besitztümer kommen und gehen. Oft wollen wir sie ja sogar selbst loswerden, weil sie uns nicht mehr gefallen. Doch fast zwanghaft umgeben wir uns dann wieder für eine Weile mit etwas Neuem, bis auch das wieder uninteressant wird. Dann gibt es die Besitztümer, die wir auf gar keinen Fall verlieren wollen. Geld etwa. Doch auch das können wir nicht vorhersagen. Die Idee es festhalten zu wollen führt zwangsläufig zu Stress, Angst vor Verlust, grübeln und einem unfreien Leben.
Ich sage gar nicht, dass wir arm in einer Höhle leben müssen, es ist eine Geisteshaltung zu erkennen, dass nichts für die Ewigkeit ist.
Schwieriger wird es schon beim Thema Mitmenschen. Da hier Emotionen im Spiel sind, ist es schon wesentlich herausfordernder, diese nicht an sich binden zu wollen. Doch schauen wir einmal genau hin. Warum wollen wir sie nicht frei lassen? Welchen Platz in uns müssen sie stellvertretend füllen, den wir selbst nicht füllen können oder wollen? Natürlich verliert niemand gerne geliebte Menschen. Doch eines ist ganz klar. Jedes Wesen hat seinen eigenen Weg, seine eigene Zeit, seine eigene Geschichte und wann diese zu Ende ist, entscheiden nicht wir, sondern eine andere Macht. Was also ist zu tun? Meine Erfahrung ist – lieben. Total und absolut, jeden Augenblick. Nichts offen lassen, nichts auf morgen verschieben. Vielleicht gibt es kein Morgen. Wenn wir vollkommen lieben, haben wir nichts zu bedauern, wenn uns ein geliebter Mensch verlässt. Wir dürfen traurig sein, aber das ist etwas Gesundes. Doch wir müssen uns keine Vorwürfe machen, was wir alles versäumt haben in der Zeit, als derjenige noch mit uns war.
Die größte Herausforderung jedoch ist, uns selbst nicht festzuhalten. Wir haben uns in unseren Rollen verloren. „ Ich bin eine Frau, ein Mann, alt, jung, arm, reich, gesund, krank „. Diese Liste lässt sich beliebig verlängern und wir halten sie in der Regel für wahr. Doch das ist sie nicht. Rollen ändern sich, das Drehbuch des Lebens zwingt uns, uns immer wieder neu zu erfinden. Wenn wir hier zu sehr auf Stabilität beharren, werden wir gewaltig in Stress kommen.
Auch unsere inneren Werte sind nicht unabänderlich festgeschrieben. Wir alle gehen einen Weg und dieser Weg lehrt uns viele Dinge, wenn wir bereit sind, zu lernen und zu vertrauen. Die Idee wir hätten unsere ganze Lebenszeit über den gleichen Ausdruck ist lächerlich. Es ist ein Festhalten an Vorstellungen, die schon lange über Bord gehen wollten. Auch unser Wissen und unsere Erfahrungen können wir nicht festhalten. Warum denn auch? Wissen verändert sich. Dinge, die wir noch vor einiger Zeit für wahr und unabänderlich gehalten haben, können sich in der Gegenwart als überholt und nicht mehr zielführend erweisen.
Jetzt am Alten festzuhalten, einfach nur um das Gesicht nicht zu verlieren, wäre ganz schön mühsam. Auch Erfahrungen können nicht gehalten werden. Sie kommen und gehen, in ihrem Rhythmus, gemäß unserer Entwicklung. Wenn wir immer wieder die gleichen alten Erfahrungen zurücksehnen, werden wir nie die Frische des Augenblicks kosten. Und ich meine wirklich jede Erfahrung. Keine wie immer geartete Erfahrung ist es wert, aufgewärmt zu werden. Weder gute, noch schlechte, noch spirituelle noch sonstige.
In dieser Art zu leben, liegt Freiheit. Statt mit schwerem Gepäck zu reisen, wachsen uns nun Flügel. Das bedeutet nicht, dass unser Weg nun völlig ohne Beschwernisse und Hindernisse verlaufen wird. Doch unsere Einstellung dazu hat sich für immer verändert. Wir haben etwas ganz Tiefes begriffen. Es gibt immer ein kommen und gehen im Gleichgewicht des Lebens. Alle Formen wandeln sich. Auch unsere menschliche Form wird eines Tages vergehen und einem neuen Raum Platz machen. Wir müssen nicht genau wissen, wie das aussehen wird. Es genügt, wenn wir leben – vollkommen – jeden Augenblick – alles umarmend –nichts festhaltend - .
Om shanti, shanti, shanti
von Herzen
Mata Fischer
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