Spiritualität und der Weg des Lebens.
von Martinus -
Spiritualität - Was ist das Leben?
Viele Menschen glauben, das Leben zu kennen, sind aber in Wirklichkeit noch ungeborene Seelen auf dem Gebiet dieser großen Frage. Was ist denn nun das Leben? – Das Leben ist ein Weg, den das Ich wandern muss, damit es identisch mit dem Kontrast zum „Tod“ sein kann. Der Tod ist ja absolute Stille.
Wenn das Ich nicht gerade den erwähnten Weg wanderte, würde nur eine absolute Stille existieren. Da das Ich jedoch diese Wanderung unternimmt, entsteht das, was wir „Bewegung“ nennen. Diese „Bewegung“ wurzelt in einem ewigen Prinzip, das wir als die „Lebenssubstanz Nr. 1“ oder das „Urbegehren“ kennen.
Dieses Begehren ist dasselbe wie eine mentale Bindung an die Materie oder ein mentales Zusammenschmelzen mit ihr. Da dieses Begehren ein ewiges Prinzip ist, kann es niemals in aller Ewigkeit aufhören. Wenn das Ich hinreichend an eine bestimmte Materienart gebunden ist, ist es zwar von dieser Materie „gesättigt“, aber diese Sättigung bewirkt ein zunehmendes Verlangen nach dem Kontrast oder dem Gegensatz zu dieser Materie.
Dieses Verlangen nennen wir „Hunger“. Dank der Unauslöschlichkeit dieses Verlangens kann das Ich also niemals in die Lage kommen, nicht an die eine oder die andere Materie geknüpft zu sein, d.h. an keine „Bewegung“ gebunden zu sein. Und da die Bindung des Ichs an die Materie oder Bewegung dasselbe ist wie das „Leben“, kann es also niemals anders existieren als in der Form eines „Lebewesens“.
„Der Weg des Lebens“ ist also dasselbe wie das Jonglieren des Ichs mit der „Bewegung“ oder der „Materie“. Da die „Materie“ jedoch auch nicht existieren kann, ohne an das Ich gebunden zu sein, ist jede „Materie“ und damit jede „Bewegung“ im Dasein also dasselbe wie das Manifestieren der Leben der Ichs. Das Ich erschafft also sein eigenes Leben, indem es sich an das Leben anderer Ichs knüpft. Der „Weg des Lebens“ ist also ein Weg, der über die Leben der Mitwesen führt.
Spiritualität - Der Kreislauf
Das Ich kann das Leben also lediglich durch das Jonglieren mit den Leben anderer Wesen erleben. Dadurch entstehen zwei große Faktoren im Lebenserleben, die das Leben zu einem Weg durch zwei entsprechend große Zonen hindurch machen. Die Wanderung des Ichs durch die Leben der Mitwesen kann nämlich Disharmonie und Schmerz sowohl für das Wesen selbst als auch für die betreffenden Mitwesen bedeuten. Und es kann Harmonie und Wohlbefinden sowohl für die Mitwesen als auch für das Ich selbst bedeuten.
Es sind diese Zonen oder Sphären, die wir aus der religiösen Terminologie als die „Finsternis“ bzw. das „Licht“ kennen. Beide Zonen sind ein Resultat des Urbegehrens. Im ersten Fall herrscht ein heißes Verlangen danach, Wohlbefinden für sich selbst zu schaffen, ganz ungeachtet der Leben der Mitwesen, mittels welcher das Ich sein eigenes Leben erschaffen muss.
Im zweiten Fall herrscht ein genauso stark hervortretendes Begehren danach, Harmonie und Wohlbehagen für jedes andere Lebende zu schaffen, ganz ungeachtet dessen, wie es dem Ich selbst ergeht.
Wenn die Sättigung des einen dieser Begehren ihren Höhepunkt erreicht hat, erzeugt sie das Verlangen nach der Sättigung des anderen, dessen Sättigung dann ebenfalls das Verlangen nach der Sättigung des ersten erzeugt und immer so weiter. Und die Wanderung des Wesens auf dem „Weg des Lebens“ wird auf diese Weise zu einem Kreislauf.
Der Weg des Lebens ist also eine ewige Wanderung von Dunkel zu Licht und von Licht zu Dunkel. Und wir werden deshalb auch überall Zeuge dieses Kreislaufs. Da jede Materie ja das Leben von Ichs ausmacht, und nur kraft ihrer Anknüpfung an die Ichs existiert, muss dieser Kreislauf in allem und überall sichtbar sein, nicht nur in den Lebensformen, die wir bereits als „Lebewesen“ wahrnehmen können, sondern auch in den Lebensformen, die wir noch für „tote Materien“ halten.
Wenn wir z.B. jene Materie betrachten, die wir „Wasser“ nennen, ist es nicht schwer den Kreislauf des Lebens zu erkennen. Das Wasser an sich hat ja keine Farbe und kann daher das Ich symbolisieren, das seiner eigenen Natur gemäß auch keine Farbe, d.h. keine Analyse, hat. Die besondere Natur und die Farbe des Wassers werden ausschließlich von der Berührung mit anderen Materien bestimmt.
Das Hervortreten des Ichs als „Lebewesen“ von dieser oder jener Natur oder Art wird ebenfalls von den Lebensformen bestimmt, aus denen es sein Leben aufbaut. Das Wasser kann ein strahlend reiner kristallklarer Tautropfen sein, der das Licht der Sonne gerecht über alles und alle ausstrahlt. Und das Wasser kann auch eine sumpfige Schlammlache sein, die vorläufig im Gully beheimatet ist. Der Gully kann das Wasser jedoch nicht festhalten.
Das unüberwindliche Kreislaufsprinzip leitet es weiter durch die verschiedenen Erdschichten hindurch, von wo aus es gefiltert wieder als klares Quellenwasser in Bächen, Flüsschen und größeren Flüssen zum Vorschein kommt, und dann von der Wärme und dem Licht der Sonne luftförmig gemacht wird, um verklärt über die niedrigeren oder schwereren Materien emporzusteigen und die Aura der Erde zum leuchtenden blauen Himmel zu machen, der sich in unterschiedlicher Farbenschönheit von dunklen Donner- oder Unwetterwolken bis zu strahlenden Szenerien in Gold, Purpur, Opal und Saphir gestaltet und damit den Himmel zum höchsten Symbol jeder Offenbarung macht, oder uns einen Abglanz aus Gottes eigener Welt oder seiner höchsten Sphäre ahnen lässt.
Spiritualität - Der Erdenmensch und der Kreislauf
Genauso wie mit dem Wasser verhält es sich auch mit jedem Lebewesen. Der Erdenmensch ist keine Ausnahme. Seine Wanderung auf dem Weg des Lebens steuert entweder nach unten auf den Gully zu, wo der Wanderer die Umgebung mit allen Keimen der Pest und der Krankheit belasten wird, oder sie steuert nach oben zum Himmel empor, wo der Mensch die Offenbarung des Wesens Gottes symbolisieren oder ausdrücken wird, Gottes Abbild, ihm gleichend sein wird, und das Leben zum Gefühl der Schönheit, der Freude und der Seligkeit für alles und jeden machen wird.
Das große Problem für Sie alle ist es nun, heute festzustellen, wo Sie sich selbst in diesem Kreislauf befinden. Sind Sie auf dem Weg nach unten zum Gully, auf dem Sie Krankheit, Unappetitlichkeiten, Kummer und Qualen für Ihre Umgebung fördern, oder sind Sie auf dem Weg zum Licht, um mit ihrer Liebe über Ihren Mitwesen einen kosmischen Himmel zu dekorieren oder zu schaffen, so dass Gottes Wesen durch vergoldete Szenerien deren ganzes Leben, Tun und Treiben beleben, wärmen und liebkosen kann? Es gibt keinen Weg darum herum. Wir haben hier den Weg des Lebens ermittelt, und der ist für alle Lebewesen derselbe.
Wenn Sie nicht wissen, wo Sie sich befinden, können Sie auch nicht wissen, wohin Sie steuern müssen, um Ihre Position zu ergründen. Sie sind in dieser Lage jedoch nicht ohne Hilfsmittel. Die Vorsehung hat Sie mit einem ausgezeichneten Lenkrad und einem vorzüglichen Kompass ausgerüstet.
Das Steuer ist Ihr Wille. Es nützt aber nichts, dass Sie sich mit Hilfe dieses Steuers begeben können, wohin Sie wollen, wenn Sie nicht wissen, in welche Richtung Sie sich bewegen müssen, um die Position oder jenes Ziel Ihrer Reise erreichen zu können, das die richtige Erfüllung Ihres tiefsten Begehrens ist.
Der Ozean, den Sie befahren, oder der Weg des Lebens ist also das Leben und das Dasein der Mitwesen. Ihre Einstellung diesen Mitwesen gegenüber ist der Kompass. Wenn Ihre ganze Seele davon erfüllt ist, das Leben zugunsten Ihrer selbst zu leben, unabhängig davon, was dieses Leben den Mitwesen an Entbehrungen, Kummer und Leid kostet, dann bewegen Sie sich in Richtung nach unten auf den Gully zu.
Wenn Ihre Seele völlig vom Verlangen entbrannt ist, andere Wesen zu erfreuen und zu beglücken oder prägnanter ausgedrückt, wenn Ihre Gesinnung von einer solchen Natur ist, dass Sie Tendenzen zeigen, die rechte Wange hinzuhalten, wenn Sie auf die linke geschlagen werden, dann gehen Sie in die Richtung nach oben, dem Licht entgegen. Dann sind Sie auf dem Weg, den mentalen Himmel der Wesen mit der Strahlenglorie der Gottheit zu verschönen.
Anschließend ist handschriftlich hinzugefügt:
Die andere Seite ist die Liebe.
Der Mensch muss dazu heranwachsen, einen kosmischen Himmel zu erschaffen.
Der Frieden kann nur von uns selbst erschaffen werden – am äußeren Frieden bekommen wir keinen Anteil, bevor wir ihn nicht in uns selber haben.
Herzlichst Martinus
Der Artikel ist das unvollendete Manuskript eines Vortrags, den Martinus am 21.11.1943 im Institut hielt. Die Stücküberschriften sind von Martinus. Der Artikel wurde vom Rat am 27.04.2007 gutgeheißen. Er ist im deutschen Kosmos bisher noch nicht erschienen.
Zum ersten Mal im dänischen Kosmos Nr. 9, 2007 mit dem Titel: "Livets vej, udgave 1943" erschienen.
Übersetzung: Christa Rickus
© Martinus Institut 1981 www.martinus.dk