Stimme des Herzens.
von Kerstin Werner -
Die Stimme des Herzens.
Gerlindes CD war schon seit drei Wochen in den Top Ten der Single-Charts. DAS hätte sie sich mit 39 Jahren niemals träumen lassen, so spät im Leben noch eine Gesangskarriere zu machen.
In einem Interview wurde sie gefragt, wieso sie jetzt erst ihren Durchbruch feierte.
„Ach, wissen Sie, das ist eine lange Geschichte. Schon als Kind sagte ich oft zu meinen Eltern, dass ich gerne Sängerin werden möchte. Mein Vater tat das immer ab und meinte, ich solle etwas Gescheites lernen.
Als ich dann achtzehn war, lernte ich durch Zufall eine Tanz-Band kennen, mit der ich mich unheimlich gut verstand. Wir kamen ins Gespräch und irgendwann stellte sich heraus, dass sie eine Sängerin suchten. Ich sagte zu, ohne darüber nachzudenken. Doch daraus wurde ganz flott ernst.
Die Band hatte eine überaus qualifizierte Gesangslehrerin, zu der ich dann auch zum Probesingen ging. Sie fragte mich, ob ich etwas vorbereitet hatte. Ich war völlig unerfahren und suchte mir eines der Lieder auf ihrer Liste aus. Es war ‚I beg your pardon‘ von Rose Garden, weil ich das Lied öfter schon gehört hatte und gut mitsingen konnte.
Aber Karaoke ist dann doch etwas anderes. Ich kam sehr schnell an meine Grenzen. Es war viel Text sehr schnell zu singen, und ich war vor lauter Aufregung ganz kurzatmig.
Die Gesangslehrerin merkte das auch rasch. Sie schlug vor, ans Klavier zu gehen. Dort spielte sie nach und nach die Tasten an, damit ich den jeweiligen Ton passend nachsang.
„Ein schönes lautes AAAAA bitte“, forderte sie mich auf.
Ich erinnere mich heute noch, wie nervös ich war. Die Fenster waren gekippt und ich wollte auf keinen Fall, dass irgendjemand draußen auf der Straße meine schiefen Töne hört. Und dementsprechend zaghaft kamen die Töne aus meinem Mund.
Als wir nach einer halben Stunde fertig waren, sagte die Gesangslehrerin zu mir: „Als der liebe Gott die Sängerinnen-Stimmen verteilt hat, haben Sie aber nicht ICH ICH gerufen!“
Dieser Satz hatte gesessen! Sich für alle Zeiten in meinem Hirn eingenistet. Lange Zeit wagte ich überhaupt nicht mehr, den Mund aufzumachen, trotz meiner Liebe zum Singen.
Heute weiß ich, was damals passiert war. Ich hatte eine äußere Stimme zu meiner eigenen gemacht. Ich hatte das geglaubt, was die Gesangslehrerin über mich beziehungsweise zu mir gesagt hatte. Meine Herzensstimme hatte ich ausgeblendet, obwohl sie natürlich stets da war. Nur war sie von vielen Ereignissen zugeschüttet worden.
Im Zuge meiner persönlichen Entwicklung kam ich irgendwann an einen Punkt, wo ich mich fragte: Wer bin ich? Wieso bin ich hier? Was will ich denn wirklich? Und dann hörte ich sie plötzlich wieder. Diese Kinderstimme von früher, die immer sagte: „Ich will Sängerin werden.“
Dieser Kindertraum, er war noch da. Und dieses Mal wollte ich mich nicht davon abbringen lassen. Ich nahm wieder Gesangsunterricht.
Dieses Mal jedoch bei einer einfühlsamen Lehrerin, die mir immer wieder Mut machte. Sie war die einzige, die wusste, was ich vorhatte. Ich wollte einmal in meinem Leben eine CD rausbringen.
Es brauchte nicht viel sein, ich war mit wenig zufrieden. Aber ich wollte es dieses Mal schaffen. Für mich!
Dass ich nun einen solchen Erfolg habe, damit hätte ich niemals gerechnet. Aber ich freue mich so sehr darüber. Und letztendlich bin ich mir selbst am meisten dankbar, dass ich meine Träume nicht ganz habe fallen lassen. Dass ich mir die Arbeit machte, herauszufinden, welche der Stimmen äußere sind, die ich zu meinen machte, und welche meine eigenen sind. Das Schlüsselwort zum Erfolg oder Durchbruch war wohl Selbstvertrauen.“
©Kerstin Werner aus „Gefühle zeigen erlaubt“