Verantwortung - Vertrauen - Leben.
von Kerstin Werner -
Wenn neues Leben anklopft.
Manuela saß auf ihrem Bett und hielt den Schwangerschaftstest in der Hand. Die zwei rosa Streifen waren eindeutig. Schwanger! Das hatte ihr gerade noch gefehlt. Dabei hatte sie nicht einmal die Adresse von dem jungen Mann, mit dem sie geschlafen hatte. Es war ein One-Night-Stand nach einer Party gewesen, auf der sie einiges getrunken hatte.
In ihrem Kopf kreisten viele Fragen: Was mache ich nur? Wie soll ich für das Kind sorgen? Soll ich abtreiben? Darf ich einem neuen Kind das Leben kaputt machen? Kann ein Kind ohne Vater aufwachsen? Sie war verzweifelt und Tränen liefen ihr die Wangen runter.
Mit 25 Jahren stand Manuela fest im Berufsleben. Sie war als Angestellte in einer Bank tätig und ging tagein, tagaus ihrem Alltagstrott nach. Glücklich war sie damit nicht, auch hatte sie sich immer Kinder gewünscht. Aber jetzt, wo die Situation da war, erschien ihr das Leben als Angestellte doch sicherer. So wollte sie das jetzt auch nicht. Außerdem hatte sie selbst noch so einiges aus ihrer Kindheit aufzuarbeiten und fühlte sich schon deshalb nicht im Stande, Verantwortung für ein Kind zu übernehmen. Wie sollte das gut gehen?
Aber es half nun nichts, sie musste sich ernsthafte Gedanken darüber machen, was sie eigentlich genau im Leben wollte. Nur allein war das in ihrem Zustand gerade unmöglich herauszufinden. Sie rief ihre beste Freundin an.
„Simone, kannst du zu mir kommen? Ich brauche dich jetzt“, schluchzte sie durch den Hörer, als sie die vertraute Stimme ihrer Freundin hörte.
„Was ist denn los?“, fragte Simone ganz besorgt, denn so kannte sie Manuela nicht.
„Frag bitte nicht, sondern komm zu mir!“
„Okay, warte bitte kurz, in einer halben Stunde bin ich bei dir.“
Manuela war dankbar, dass Simone den Ernst der Lage sofort erkannte. Auf ihre beste Freundin war eben Verlass. Die halbe Stunde sollte sie jetzt auch noch rumbekommen. Sie schob eine CD mit Meditations-Musik in den Player und legte sich aufs Bett. Obwohl sie wusste, dass sie sich in dieser Situation nicht beruhigen konnte, musste sie sich irgendwie runterfahren. Und da läutete es auch schon. Sie rannte an die Tür, öffnete und fiel Simone erleichtert in die Arme. Jetzt konnte sie ihren Tränen endlich freien Lauf lassen.
„Ja, wein dich ruhig aus“, sagte Simone verständnisvoll, während Manuela an ihrer Schulter schluchzte und ihre Bluse durchnässte.
Nach einer Weile setzten sie sich aufs Bett.
„Ich weiß gar nicht wo ich anfangen soll“, klagte Manuela.
„Fang einfach an, ich sage dir, wenn ich nicht mitkomme.“
„Kannst du dich noch an den Abend in dieser Cocktail-Bar erinnern? Da lernte ich Jens kennen. Wir waren uns von Beginn an sympathisch und flirteten hemmungslos. Nachdem ich ein paar Cocktails zu viel getrunken hatte, sind wir zu mir gegangen. Wir landeten im Bett und gaben uns unserer Lust hin. Morgens, als ich aufwachte, war er fort. Ohne ein Wort. Einfach weg. Und jetzt … jetzt bin ich … jetzt bin ich schwanger“, stotterte Manuela, weil sie kaum wagte, es auszusprechen.
Im selben Atemzug überkam sie der nächste Heulflash. Simone war im ersten Moment sprachlos und konnte überhaupt nichts sagen.
Sie versuchte Manuela zu trösten, dann sagte sie:
„Ich kann mich nur ansatzweise in deine Situation hinein versetzen und fühle wirklich mit dir. Dann wirst du wohl jetzt auf einen Prüfstand des Lebens gestellt. Du hast dir ja schon länger Gedanken darüber gemacht, ob du weiterhin in der Bank bleiben willst. Vielleicht ist das jetzt die Chance, dein Leben neu zu gestalten?“
„Oh Simone, wenn du wüsstest, was die Situation gerade mit mir macht. Wie soll ich denn Verantwortung für ein Kind übernehmen, wenn ich selbst noch so viel aufzuarbeiten habe?“, schluchzte Manuela weiter.
Simone konnte diesen Satz fast nicht mehr hören. Und plötzlich platzten es aus ihr raus: „Manuela, wie lange willst du noch in deiner Opferrolle aushalten? Wenn du dich ständig darauf fokussierst, was noch alles aufzuarbeiten ist, hängst du immer in dieser Mühle des Selbstmitleids.
Du stellst fest, was du noch nicht kannst oder noch nicht bist und entfernst dich dadurch von dir selbst weiter weg als dir lieb ist.
Wach auf! Das Leben ist JETZT! Du bist schwanger. Du bist eine erwachsene Frau! Du bist toll! Du bist gut so wie du bist! Übernimm Verantwortung. Verantwortung für dich. Gib deinem Leben eine Chance. Du kannst das. Aber nur, wenn du endlich JA sagst. JA zu deinen Gefühlen. JA zu dir selbst. Und wenn du JA zum Leben sagst, dann wird auch dein Kind JA zu dir sagen können.“
Manuelas Augen füllten sich erneut mit Tränen. Sie rang nach Worten. Und dann kam plötzlich ein leises verschämtes „Ich habe Angst“ über ihre Lippen. Simone umarmte ihre Freundin und Manuelas Tränen nahmen kein Ende mehr.
„Was wäre, wenn es völlig okay wäre, dass du in dieser Situation auch Angst hast?“, fragte Simone mitfühlend.
„Das wäre hilfreich. Dann könnte ich leichter gehen. Dann könnte ich mich vielleicht auch dazu entscheiden, ein neues Leben zu führen.“
„Du hast dich soeben dafür entschieden, deine vorhandenen Gefühle anzunehmen. Genau das ist es, was die Lösung hervorbringt. Lass zu, dass auch Angst da sein darf. Und in dem Moment, wo du deine Angst annimmst, wird sie schwächer. Die Angst verwandelt sich. Wenn die Angst geht, kommt das Vertrauen. Die negativen Gefühle können sich erst verändern, wenn sie bejahend gefühlt wurden.“
Erleichterung machte sich in Manuela breit.
Obwohl sie in den Wochen darauf nicht wusste, wo ihr der Kopf stand, entschied sie sich, das Baby zur Welt zur bringen. Sie sagte JA zur Unsicherheit und JA zu den Zweifeln, die da waren. Sie sagte JA zu allem, was sie auf ihrem Weg begleitete. Sie hatte sich für ihr neues Leben entschieden und war bereit, Selbstverantwortung zu übernehmen und die Konsequenzen zu tragen.
Danach folgten Monate, in denen sie immer wieder mal an ihrer Entscheidung zweifelte. Sie wusste nicht, wie dieses neue Leben genau aussehen würde. Aber sie wusste, wenn sie sich nicht mit dem neuen Leben, ihren Zweifeln und den damit verbunden Ängsten konfrontierte, würde sie niemals erfahren, wie es sich anfühlte.
Neun Monate später gebar sie dann einen kleinen gesunden Jungen. Direkt nach der Geburt wurde ihr der Kleine auf die Brust gelegt. Manuela liefen Freudentränen an den Wangen runter. Sie küsste ihn liebevoll auf den Kopf und streichelte seinen Rücken.
Zum Glück hatte sie trotz Ängsten und Zweifeln ihrem neuen Leben Einlass gewährt …
Eine Kurzgeschichte von Kerstin Werner aus ihrem Buch „Vertrauen ist der Schlüssel“
Erhältlich als Taschenbuch und eBook: