Prüfe die Meister
von Ines Nandi -
„Wenn einer, der mit Mühe kaum – geklommen ist auf einen Baum – schon meint, dass er ein Vogel wär, so irrt sich der.“ Wilhelm Busch
Schöner und treffender, auch humorvoller als mit diesem „Moral“-Bild aus einem der herrlichen Gedichte von Wilhelm Busch lässt sich der Charakter des menschlichen Egos kaum skizzieren. Und besser als ausgehend von diesem Bild kann ich auch nicht den Unterschied zwischen „falschen“ und „wahren“ Meister*innen erklären.
Legen wir also los: Woran erkennst du einen wahrhaft meisterlichen Menschen, ein wahrhaft meisterliches Wesen? Zualler-aller-allererst an der realistischen Einschätzung der eigenen Person. Und das hat immens viel zu tun mit der auf Selbstbeobachtung basierenden Erkenntnis des eigenen Egos.
Um das eigene Ego zu beobachten, musst du dir aber zunächst einmal der Tatsache bewusst sein, dass es so etwas wie ein Ego überhaupt gibt. Und dann ist es gut zu wissen, dass das Ego tatsächlich „klein“ ist. Gar nicht abwertend gemeint. Es ist ein kleiner Geist und kein großer. Einverstanden? Es ist einfach beschränkt, „dumm“ in dem Sinne, dass es einen eingeschränkten Verständnisradius hat. Nehmen wir als Bild für die Wahrnehmungsgrenze des Egos den berühmten „Tellerrand“.
Ein Ego allerdings, das schon etliche Lebensreisen zusammen mit seiner Seele bestanden hat, weiß irgendwie, dass es jenseits dieses Tellerrandes noch mehr gibt, und sehr, sehr Großes. Ein erfahrenes Ego – oh ja, das gibt es auch – ahnt oder weiß sogar recht genau, wie groß diese Seele ist, mit der es reist. Manchmal kennt es sogar deren Lebensplan. Ich schreibe dies, weil ich es an meinem eigenen Ego schon seit einiger Zeit beobachte.
Nun ist dieser kleine Geist, dieser Kleingeist und kleine Krieger und Grabenkämpfer aber selber nicht mehr und auch nicht weniger, bildlich gesprochen, als ein Ochsenfrosch. Das bedeutet keine Beleidigung des Ochsenfroschs, es ist einfach eine Beschreibung von dem, was das Ego kann. Und ich ehre hiermit den Ochsenfrosch in seinem Sein.
Wenn wir bei diesem Bild bleiben, dann kann unser Ego unter anderem zweierlei, das es hauptsächlich charakterisiert. Es kann sich erstens aufblähen, und zweitens kann es quaken. Ochsenfrösche blähen sich auf um zu imponieren. In diesem Falle die Männchen den Weibchen, und sicher auch den konkurrierenden anderen Männchen. Das kommt dir vielleicht bekannt vor, lach.
Ich führe das nicht weiter aus, du kennst es. Und dies ist das wichtigste Kriterium, das du ausprobieren kannst, um einen Ochsenfrosch von, sagen wir mal, einem Adler, zu unterscheiden. Ja, es gibt mutige Ochsenfrösche, die Bäume hoch kriechen, oder vielleicht sogar auch Berge. Solche Egos sind zu ehren, denn sie sind sehr fleißig, mutig und ausdauernd. Wenn sie aber ihr Ziel erreicht haben, ist es normal, dass sie nun denken, sie seien der größte Zampano der Welt und hätten sich dazu qualifiziert, dem Adler das Fliegen beizubringen. Sie quaken den Adler an:
“He, du da oben, wieso fliegst du eigentlich, das kannst du doch gar nicht, weil du nicht gelernt hast, wie und von wo aus du abheben musst. Komm gefälligst runter und lass dir von mir zeigen, wie man als ordentlicher Ochsenfrosch einen Baum hoch kriecht. Ich gebe dir Schritt-für-Schritt-Anweisungen, wie du das bewerkstelligen kannst.“
Es kann sein, dass der Adler da oben das Quaken tatsächlich hört und ein etwas schwach entwickeltes Selbstwertgefühl hat, weil er als Junges gefangen wurde oder aus dem Horst seiner Mama geklaut, und auf einem Hühnerhof aufwuchs. Da wurde er dann angehackt und ausgemobbt und angeschissen, weil er nicht ordentlich scharren und gackern konnte.
Und noch nicht einmal krähen, wenn er ein Männchen war. Dieser Adler denkt irgendwo in seinem gequälten Herzen tatsächlich noch, es könnte doch sein, dass er eigentlich ein Huhn sein sollte. Oder bestenfalls ein Hahn. Aber eigentlich besser ein Huhn, denn die können wenigstens Eier legen.
Wenn ein solcher Adler den Ochsenfrosch „Komm runter, das kannst du nicht!“ quaken hört, verfällt er in eine automatische Schock-Angst-Starre, faltet die Flügel ein und plumpst wie ein Sack vom Himmel. Gleich darauf aber macht es noch einmal Plumps, denn nun hat der Ochsenfrosch seine vermeintlichen Flügel ausgebreitet…
Kurz und gut, eine Meisterin bläst sich nicht auf, denn das hat sie nicht nötig. (Ich verwende jetzt einmal der leichteren Lesbarkeit halber die weibliche Form, um das lästige „Gender-Sternchen“ zu vermeiden. Mögen die Meister männlichen Geschlechts sich eingeschlossen fühlen!) Die Meisterin weiß nämlich, dass sie – wie DU auch – vollkommen ist, aber keineswegs perfekt.
Sie weiß, dass sie niemals „fertig“ ist, solange sie lebt. Denn auch eine Meisterin wächst immer weiter an ihren Herausforderungen. Eine solche Herausforderung könntest genau du sein, wenn du von ihr erwartest, sie solle dir dein „Problem“ lösen. Oder deine „Krankheit“ heilen, mit anderen Worten, deine „Symptome“ verschwinden lassen. Dann wird sie dir erklären, dass sie das nicht kann. Warum? Weil nicht sie für dich verantwortlich ist, sondern du selbst. Und: Sie wird dir sagen, dass die Lösung tief in dir selbst verborgen ist, du sie aber auch finden kannst, wenn du dich in die Adler-Perspektive begibst.
Eine Meisterin wird dir eher Fragen stellen, als dass sie dir vorgefertigte Antworten serviert. Wenn eine dir signalisiert, sie allein habe die Wahrheit mit Löffeln gefressen, ist höchste Vorsicht geboten. Wenn sie gar nahelegt, ohne ihre Hilfe (und die sei nur zu „ihrem“ Preis zu haben) würdest du niemals auf einen grünen Zweig kommen, rate ich dir, schleunigst auf dem Absatz kehrt zu machen. Es gibt andere!
Prüfe also die Meisterin! Behandelt sie dich auf Augenhöhe? Ja, Augenhöhe! Das bedeutet, dass sie dein SEIN als Göttliches Wesen respektiert, ganz gleich, wo sie selbst in ihrer Entwicklung steht und wo du dich siehst. Zeigt sie dir Wertschätzung? Ist es ihr Ziel, dir Hilfestellung zur Selbsthilfe, zur Selbstheilung, zu geben? Sagt sie dir klar, an welcher Stelle sie nicht helfen kann? Wo vielleicht eine andere kompetenter ist als sie? Regt sie dich zu Achtsamkeit und Selbstbeobachtung (Adler-Perspektive) an?
FRAGEN! Frage selbst, und die Antworten kommen zu dir – aus deinem Inneren, aus dem Universum, aus dem Leben um dich herum… Schließlich bist ja DU SELBST die Meisterin, es braucht nur gelegentlich eine andere, um dir ein wenig auf die Sprünge zu helfen. Sie wird sich genau dann zurückziehen, wenn sie dich fliegen sieht!
Ines Nandi
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