Spiritualität: Sei wie Du wirklich bist.
von Martinus -
Kein Mensch kann anders sein, als er ist; seine Wesensart ist Ausdruck für seine moralische Entwicklungsstufe.
Natürlich zeigt es sich nicht nur im Verhältnis zwischen der Gesellschaft und ihren „Feinden“, dass Rache, Haß und Strafe die Verhältnisse nur noch schlimmer machen als vorher – dasselbe gilt auch, wenn es um das Verhältnis des einzelnen Menschen zu eventuellen Widersachern oder Feinden geht.
Aus einer lokalen Perspektive gesehen scheint es in Übereinstimmung mit Vernunft und Logik zu sein, dass man wütend wird und sich an den Personen rächen oder sie strafen will, die einem Unrecht tun oder intolerant und unangenehm einem selbst gegenüber sind. Aber aus kosmischer Perspektive gesehen ist es vollkommen unlogisch und charakterisiert nur den „Beleidigten“ als eine ebenso primitive und unwissende Person, wie die, die ihn „beleidigt“ hat.
Jeder Mensch ist von Menschen umgeben, die auf ganz unterschiedlichen Entwicklungsstufen stehen. Einige sind liebevoll und verständnisvoll und kommen nur selten aus dem Gleichgewicht, andere sind schnell in guter und schnell in schlechter Laune und deshalb mal mehr und mal weniger umgänglich.
Wieder andere haben ein Wesen, das es ganz schwierig macht, mit ihnen auszukommen. Keiner dieser Menschen kann jedoch derzeit anders sein, als er ist. Die Wesensart dieser Menschen ist Ausdruck für die moralische Entwicklungsstufe, auf der sie stehen. Sie befinden sich auf einem vorläufigen Höhepunkt in ihrer Entwicklung, und sie sind alle auf dem Weg zu einem humaneren und mehr hochintellektuellen Zustand.
Einige repräsentieren das, was man als kosmischen Kindheitszustand oder geradezu als Säuglingszustand bezeichnen kann, andere sind „etwas größere Kinder“ und einige kommen in ein kosmisches „Jugendalter“, in dem sie sich auf dem Weg zu einer größeren menschlichen Reife befinden.
Jeder einzelne kann von ihnen allen etwas lernen und es ist kein Zufall, mit wem der einzelne in Kontakt kommt. Seine Umgebung stellt die Werkzeuge dar, die Gott benutzt, um ihn in seinem Bilde zu formen, d.h. ihn zu einem liebevollen Menschen zu entwickeln, der anderen und damit auch sich selbst zu einem leichteren und besseren Leben verhilft.
Wenn man versucht, mit Hilfe seiner Intelligenz zu verstehen, dass alle Menschen auf unterschiedlichen Entwicklungsstufen stehen, bekommt man allmählich die Kraft, allem und jedem zu vergeben.
Aber wie bekommt man die Kraft, seinem Nächsten zu vergeben, wenn dieser einen auf die ein oder andere Weise belästigt, einem das Leben schwer macht und für Probleme sorgt? – Indem man versucht, mit Hilfe seiner Intelligenz zu verstehen, dass der Betreffende zur Zeit nicht anders sein kann, als er ist, ebenso wie eine Distel oder Brennnessel nicht anders sein kann, als sie ist.
Und indem man einsieht, dass dieser „Feind“, wenn er in unsere Nähe gebracht wurde, kosmisch gesehen kein Feind ist, der uns schaden will, sondern nur ein Werkzeug, durch das Gott uns ernten lässt, was wir selbst einmal gesät haben. Und indem man auch versucht, mit seinem Gefühl Sympathie für den Menschen zu empfinden, der nicht weiß, was er tut, und der später ernten muss, was man selbst nun überstanden hat. Wenn also der „Feind“ in Wirklichkeit nicht die Ursache der Benachteiligungen ist und er aufgrund seiner Vergangenheit und im Hinblick auf seine Zukunft zur Zeit nicht anders sein kann, als er ist, hat man doch allen Grund, Christi Gebot zu befolgen und immer wieder zu verzeihen.
Wenn man meint, dass man ab und zu nicht die notwendige Nachsicht und Liebe hat, braucht man sich nur auf die Quelle zu konzentrieren, aus der alle Liebe des Universums strömt; dann verschwindet jegliche Wut und Bitterkeit und man spürt, dass der einzige „Feind“, den man hat, dasjenige in unserem eigenen Sinn ist, was dem Wachstum und der Aktivität der humanen Fähigkeit entgegenarbeitet.
Herzlichst Martinus
Aus einem Vortrag vom 16.10.1955
Bearbeitet von Mogens Møller, gutgeheißen von Martinus.
Zum ersten Mal im dänischen Kosmos Nr. 7, 1974 mit dem Titel: "Hvorledes får man kræfter til at tilgive?" erschienen.
Übersetzung: Christa Rickus
© Martinus Institut 1981 www.martinus.dk