Kontemplation
von Hausvier -
Kontemplation mit Fernand Braun
Kontemplation ist zuerst etwas durch und durch Praktisches. Das Wesen der Kontemplation erschließt sich mir, indem ich es tue! Das bedeutet zunächst, daß ich alles Meinen und Diskutieren hinter mir lassen muß.
Denn alles Theoretisieren stößt schnell an Grenzen und kann nicht die wirkliche Fülle, worum es in der Kontemplation geht, erschließen. Hierin entstehen viele Mißverständnisse und Vermittlungsschwierigkeiten.
Kontemplation im christlichen Sinne meint, eins zu sein mit dem Göttlichen in mir. Das Göttliche lebt in mir als mein Wesen! (vgl. Galaterbrief: "Nicht mehr ich lebe, sondern Christus lebt in mir!"). Dieses Göttliche ist das, was in mir und in allem als "unerschaffene Wirklichkeit" entgegenkommt, wenn ich mich ihm öffnen kann. Was aus mir hervorbricht, ist das, was ich in allem entdecken kann.
Es ist nicht bloss eine Vorstellung oder die Phantasie einer enthobenen Frömmigkeit, sondern eine Erfahrung, in der sich mir etwas völlig Neues zeigt. Dieses göttliche Ereignis ist allerdings nicht etwas, das man irgendwo willentlich und zu jederzeit finden kann, sondern es ist jenseits des Faßbaren. Es ist etwas, was mich unvermittelt und plötzlich umgreift, wann und wie es will.
Es ist eine Wirklichkeit, die in jedem Augenblick anwesend, präsent ist. Und es hat eine solche Wirkung, eine verwandelnde Kraft, daß wir es nicht mehr ignorieren können. Wer bereit ist, sich dieser Wirklichkeit zu öffnen und stark genug ist, hat die Möglichkeit, von diesem Mysterium angerührt zu werden.
Wie kann ich mich diesem Mysterium öffnen, bzw. wie kann ich üben?
Die kontemplative Übung beinhaltet mehrere Schritte:
• Achtsamkeit
• Loslassen
• Einswerden
• Neuwerden
• Bezeugung im Alltag
Die Achtsamkeit ist nicht nur ein Bemerken oder Wahrnehmen, sondern ein Spüren, ein "Innewerden", daß und worin ich richtig oder falsch liege. Es geht nicht um eine gegenständliche Vorstellung einer bestimmten Haltung, sondern um eine innere Einstellung, die eine wirklich verwandelnde Kraft zuläßt, dem ich mich anvertrauen kann.
Das Loslassen oder Lassen bedeutet - so Meister Eckehart - ein "Sich-Lassen".
Das Sich-Lassen meint nicht nur das Fahrenlassen von allerlei Dingen, an denen ich hänge und festhalte, sondern ein "Sich-Einlassen" auf das Unvorhersehbare und Ungewisse meines eigenen Urgrunds.
Es bedeutet auch das Loslassen von feststehenden Denk- und Verhaltensmustern, ungeachtet meiner Vorstellungen, Projektionen, Wünsche und Vorurteile.
Das Machen-Wollen sowie das Verharren in einer bestimmten Vorstellung sind Hindernisse
auf dem Weg der Einswerdung mit dem Göttlichen in mir.
Das Lassen auch einer mir liebgewordenen "Gottes"-Vorstellung ist Voraussetzung echter Frömmigkeit.
Das wächst im Annehmen des Lebens, wie es mich schicksalhaft umgreift.
Das ist glaubendes Vertrauen, daß Gott mir Leben ist.
Erst in dem Maße, wie ich lerne, meine starren Ordnungen und festgelegten Meinungen, wie "man" in der Welt zu sein und zu handeln hat, loszulassen, kann ich mit meinem eigentlichen, göttlichen Wesen einswerden.
Die Erfahrung des Einswerdens mit dem Göttlichen ist zugleich die Erfahrung meines eigenen Wesens; Gottes- und Menschenerkenntnis sind eine Erfahrung. Gotteserfahrungen sind auch menschliche Erfahrungen und damit nie endgültig; sie sind immer vorläufig. In meinem Wesenskern bin ich immer mehr, als ich für gewöhnlich im Bewusstsein habe.
Ich bin immer mehr, als ich in meinem Menschsein zu werden vermag.
Das heißt, dass ich jede noch so lieb gewonnene Erfahrung wieder loslassen muß, damit ich mich immer wieder neu empfangen kann. Der kontemplative Weg ist ein prozesshafter Weg von "Sterben und Neu-Werden"!
Ein Mensch, der wirklich auf dem Weg ist, wagt sich immer wieder aufs Neue.
Diese Radikalität der Kontemplation fordert Disziplin, eine Not auszuhalten und das Leiden als "Weg zum anderen Ufer" mit Vertrauen und Mut zu durchschreiten.
Es geht um den "Mut zu Leben"; zu wissen, daß gar nichts umsonst geschieht oder gewesen ist.
Alles steht in einem höheren Zusammenhang, das ich jetzt noch nicht durchschauen kann.
Jede so genannte große Erfahrung bewirkt einen Neuanfang.
Die Erfahrung des Einswerdens mit dem göttlichen Urgrund hat einerseits erlösenden Charakter, aber es verpflichtet mich, "Zeuge" dieser Erfahrung in dieser Welt zu sein.
Herzlichst
Hausvier