Die Schlange Spiritualität und Mythologie – 1 – Stein des Monats Juni - Juli 2011.
von Franz Ludescher -
Die Schlange Spiritualität und Mythologie.
Schlangen spielen in der Kulturgeschichte und Mythologie und darauf aufbauend auch in der Kunst und Literatur eine große Rolle.
In den christlichen Ländern hat die Schlange einen schlechten Ruf. In den asiatischen Ländern wird sie wegen ihrer Weisheit und ihrem Scharfsinn geehrt und geachtet. So verführte in der alttestamentarischen Schöpfungsgeschichte der Bibel eine Schlange Adam und Eva dazu, die Frucht vom Baum der Erkenntnis zu kosten. Der von einer Schlange umwundene Stab des Asklepios in der griechischen Mythologie (Äskulapstab) ist bis heute das Symbol der medizinischen und pharmazeutischen Berufe.
Die Schlange ist ein aüßerst komplexes und universelles Symbol. Oft sind Schlange und Drachen austauschbar, und im fernen Osten wird gar kein Unterschied zwischen ihnen gemacht.
Die Symbolik der Schlange ist polyvalent: Sie kann männlich, weiblich oder aus sich selbst entstanden sein. Als ein Tier, das tötet, ist sie Tod und Zerstörung; als eines, das periodisch seine Haut erneuert, ist sie Leben und Auferstehung. Eingerollt wird sie mit den Zyklen der Manifestation gleichgesetzt. Sie begleitet alle weiblichen Gottheiten und die große Mutter, und häufig ist sie so dargestellt, dass sie sie umwindet oder von ihnen in den Händen gehalten wird. Hier hat sie dann auch die weiblichen Charakteristika des Geheimnisvollen, Rätselhaften und Intuitiven. Sie ist das Unberechenbare, das sich zeigt und plötzlich wieder verschwindet.
Die Schlange wurde auch für zweigeschlechtlich gehalten, ist das Attribut aus aller sich selbst herausschaffenden Götter, und steht für die schöpferische Kraft der Erde. Sie ist solar, chthonisch, ihre Symbolik findet bei Begräbnissen Verwendung, sie ist die Manifestation von Kraft in jeder Hinsicht und steht im engen Zusammenhang mit den Vorstellungen von Leben und Tod.
Da sie unter der Erde lebt, hat sie Verbindung mit der Unterwelt und Zugang zu den Mächten der Allwissenheit und Zauberkraft der Toten. Die chthonische Schlange manifestiert die aggressiven Kräfte der Götter der Unterwelt und Finsternis.
Sie ist in allen Kulturkreisen ein Initiator und Verjünger und "Herr des Erdinneren".
In ihrer chthonischen Bedeutung ist sie der Feind der Sonne und aller solaren und spirituellen Mächte und steht für die dunklen Kräfte der Menschheit. Hier sind das Positive und das Negative, Licht und Finsternis im Widerstreit miteinander, wie z.B. bei Zeus und Typhon, Apollon und Python, Osiris und Seth, Adler und Schlange usw.
Sie bedeutet auch ursprünglich Instinkt-Natur, die auf wallende Lebenskraft, unkontrolliert und undifferenziert; potenzielle Energie, animierenden Geist. Sie ist ein Vermittler zwischen Himmel und Erde, Erde und Unterwelt und wird mit Himmel, Erde und Wasser und insbesondere mit dem kosmischen Baum assoziiert. Sie ist auch der Wolkendrache der Finsternis und bewacht Schätze. Die Schlange kann die Sonnenstrahlen, den Lauf der Sonne, den Blitz und die Kraft der Wasser darstellen und ist ein Attribut aller Flussgottheiten. Sie ist Weisheit, Macht, List, Heimtücke, Verschlagenheit, Finsternis, das Böse, die Verdorbenheit und der Versucher.
Sie ist die personifizierte Schicksalsmacht, behände wie das Unglück, mutwillig wie die Vergeltung, unbegreiflich wie das Schicksal.
Kosmologisch gesehen, ist die Schlange der Urozean, von dem alles ausgeht und in den alles zurückkehrt, das uranfängliche, undifferenzierte Chaos. Sie kann auch die Welt tragen und erhalten, und sie als Uroboros umkreisen, das Symbol zyklischer Manifestation und Wiedervereinigung. Sie ist der Gott, den man in frühen Kosmogonien findet und der später einer mehr psychologischen und geistig-religiösen Auslegung wich.
Herzlichst Ihr Franz Ludescher