Wenn Kinder sich den Kopf zerbrechen.
von Frank Seefelder -
Kopfschmerzen oder Migräne bei Kindern.
Kinderkopfschmerz ist eine schwer zu diagnostizierende Erkrankung. Welche Mutter kommt schon auf Kopfschmerzen, wenn ihr Kind auf die Frage danach, wo es wehtut, auf den Bauch zeigt. Aber woran liegt das?
Im Mutterleib war es für das Ungeborene relativ unwichtig, sich zu orientieren und ein konkretes Körpergefühl zu entwickeln. Diese frühkindliche »Orientierungslosigkeit« wird erst durch die körperlichen Erfahrungen nach der Geburt abgelegt, wenn das Kind lernt, sich in der Welt zurechtzufinden.
Schmerz ist ein umfassendes Phänomen, und darum können ihn Kinder in den ersten Jahren nicht lokalisieren. Damit stehen nicht nur die Eltern, sondern auch die Mediziner vor einem Problem.
Trotzdem gibt es bei aufmerksamer Beobachtung Möglichkeiten, diesem gesundheitlichen
Problem auf die Spur zu kommen. Spannungskopfschmerzen beschreiben die Kinder oft damit, dass sie das Gefühl haben, ihr Kopf wäre fest eingeschnürt. Der auftretende Schmerz kann drückend oder auch ziehend sein.
Die kindliche Migräne kennt ebenfalls die Vorboten einer Attacke, die fast mit denen von Erwachsenen übereinstimmen. Auch bei den Kleinen kann es mit Bauchschmerzen beginnen, auf die Übelkeit, Schwindel und Erbrechen folgen.
Im Gegensatz zur Migräne bei Erwachsenen schmerzt bei Kindern der ganze Kopf, nicht nur eine Seite. Gerade Säuglinge reagieren ganzheitlich auf einen bevorstehenden Anfall. Intuitiv begeben sie sich in eine Schon- und Ruhehaltung und wollen sich mehr bewegen.
Müdigkeit und eine Blässe der Haut in Verbindung mit einem roten Gesicht sind weitere Hinweise auf einen bevorstehenden Anfall. Außerdem können sie dann auch großen Durst und Hunger haben. Während der Attacke kommt es bei ihnen wie bei Erwachsenen zur Lärm- und Lichtsensibilität und auch zu Übelkeit mit Erbrechen.
In welchem Alter setzt Kinderkopfschmerz ein? Die einfache Antwort lautet: in jedem. Selbst Säuglinge können Migräne haben. Zurzeit geht man davon aus, dass 20 Prozent der Kinder im Vorschulalter unter Kopfschmerzen leiden. Im Schulalter hat schon jedes zweite Kind einmal Kopfschmerzen gehabt, und zwölf Prozent leiden unter Migräne.
Auch wenn die Diagnose der Erkrankung nicht leicht ist, liegen die Ursachen für das Leid dieser Kinder häufig in ihrem Lebenswandel. Viele Kinder bewegen sich zu wenig, verbringen zu viel Zeit vor dem Fernseher oder dem Computer, und auch in der Schule fehlt es häufig an Möglichkeiten zur körperlichen
Aktivität.
Belastend und damit die Entstehung von Kopfschmerzen fördernd wirkt zudem eine falsche Ernährungsweise, z. B. unausgewogenes oder unregelmäßiges Essen. Der Rhythmus zwischen Nahrungsaufnahme und einer Ruhepause zur Verdauung kann sich bei diesen Kindern nicht einstellen. Beim Trinkverhalten sieht es ähnlich aus.
Der schulische Leistungsdruck, unter dem Kinder stehen, wird zudem oft noch durch die Eltern verstärkt. Dadurch leben viele Kinder in einer psychosozialen Stresssituation, zu der auch familiäre Probleme mit den Eltern oder Geschwistern verstärkend beitragen.
Auch bei ihnen ist der Stress eine Ursache für das Entstehen oder Verstärken von Kopfschmerzen. Die Folgen der Schmerzprägung zeigen deutliche Parallelen zwischen Erwachsenen und Kindern auf. Rückzug und Schonhaltung sollen dazu dienen, dem Schmerz »aus dem Weg zu gehen«.
Wer sich aber so verhält, räumt ihm so viel Platz in seinem Denken ein, dass das Gehirn auf den Schmerz »programmiert« wird. Am Ende dieser negativen Lernphase steht ein verstärktes Schmerzempfinden. Der Rückzug erzeugt zudem häufig weitere Probleme, denn aus Angst vor eine Migräneattacke gehen viele Kinder nicht zur Schule. Doch das Verpasste muss nachgeholt werden. Damit schließt sich der Kreis zu Schulstress und Leistungsdruck, die wiederum Kopfschmerzen verursachen.
Auch eine psychosomatische Komponente spielt bei Kindern eine Rolle. Sind die Eltern für einen übertriebenen Leistungsdruck verantwortlich, setzt sich das Kind zur Wehr. Muss es dabei feststellen, dass es seinen Willen nicht durchsetzen kann, versucht es nicht selten, »mit dem Kopf durch die Wand« zu gehen.
Dieses Anrennen kann im übertragenen Sinn zu einem schmerzenden Kopf führen. Eine ähnliche psychosomatische Verbindung ist auch bei Ohrenerkrankungen bekannt. Wenn Kinder im Rahmen der Erziehung lernen sollen, zu gehorchen und es ihnen zu viel wird, reagiert ihr Körper häufig mit einer Mittelohrentzündung auf diese Überforderung.
In beiden Fällen verschafft sich das Kind durch eine Erkrankung Distanz zum Ereignis. Außerdem wird es fürsorglicher behandelt. Eltern, deren Kinder zu Kopf- oder auch Ohrschmerzen neigen, sollten hinterfragen, ob der Druck, den sie auf ihr Kind ausüben, nicht zu groß ist. Auch der richtige Umgang mit dem Kinderkopfschmerz ist wichtig.
Nichts schmerzt Eltern mehr als die Schmerzen, die ihr Kind erleidet. Eltern leiden mit ihren Kindern mit, denn die meisten Menschen haben Kopfschmerzen oder Migräne bereits am eigenen Leib erfahren.
Wer Mitleid empfindet, gerät aber selbst unter Stress, weil er der Erkrankung hilflos gegenübersteht. Dieser Stress wiederum überträgt sich auf das Kind, die Kopfschmerzen werden stärker, ein Teufelskreis beginnt. Die Schmerzen zu ignorieren, ist sicherlich nicht der richtige Weg, aber auch übertriebene Fürsorge hilft nicht dabei, das Problem in den Griff zu bekommen.
Was können Sie gegen Kopfschmerzen oder Migräne tun?
Bevor Sie handeln können, ist eine Klärung der Ursache der Schmerzen zwingend erforderlich. Selbstverständlich müssen organische Veränderungen von einem Arzt abgeklärt worden sein!!
Aufmerksamkeit bei allen Beteiligten kann Abhilfe schaffen.
Wenn Ihr Kind alt genug ist, sollte es reflektieren können, ob nicht immer die gleichen Situationen Kopfschmerzen hervorrufen. Eltern sollten ähnlich verfahren. Was ging den Kopfschmerzen voraus? Wie war das Ernährungs- und Trinkverhalten an diesem Tag? Gab es Stressmomente, die das Kind erlebt hat?
Schaffen Sie in diesem Fall als Erste-Hilfe-Maßnahme Inseln der Ruhe im Umfeld Ihres Kindes. Schalten Sie den Fernseher oder das Radio aus.
Vielleicht lesen Sie Ihrem Kind ein Märchen vor oder leiten es zu einer Fantasiereise an. Ablenkung und Distanz zum Schmerz kann auch eine spielerische Meditation schaffen.
Leiten Sie Ihr Kind dazu an, die gesamte Aufmerksamkeit auf die Füße zu richten. Es soll sich vorstellen, wie es ist, im weichen und warmen Sand zu stehen oder über Gras oder Moos zu gehen. Die Konzentration auf die Temperatur oder die Beschaffenheit des Bodens reicht manchmal schon aus. Üben Sie regelmäßig mit Ihrem Kind diese Art der Wahrnehmungslenkung, auch und gerade in anfallsfreien Zeiten. Im »Notfall« fällt es Ihrem Kind dann leichter, sich auf das Gelernte zu konzentrieren. Tragen Sie auch dafür Sorge, dass Ihr Kind Ruhezeiten, z. B. nach dem Essen, und ausreichend Schlaf bekommt. Ermuntern Sie Ihr Kind zu regelmäßiger Bewegung. Das kann in einem Verein stattfinden. Aber auch zu Hause gibt es Möglichkeiten zur körperlichen Aktivität, die je nach Alter und Bedürfnissen Ihres Kindes unterschiedlich sein können.
Herzlichst Ihr Frank Seefelder