Schwerkranke Menschen und unser aufrichtiger Umgang.
von Dr. Dagmar Berg -
Aufrichtigkeit bedeutet auch sich eines Problems selbst bewusst zu machen und nicht so zu tun, als ob es nicht existiert. Probleme können weder verdrängt werden, noch verschwinden sie von alleine durch Ablenkung. Man muss sie klar erkennen und eine Lösung finden. Zum einen wird nur so das Problem dauerhaft gelöst und nicht vor sich her geschoben, zum anderen fühlen wir uns danach besser.
Wenn wir uns dafür entschieden haben, aufrichtig zu leben, können wir auch zu unseren Ängsten und Sorgen stehen und brauchen uns selbst und unserer Umwelt nichts mehr vor zu spielen. Wie viel Energie muss aufgewendet werden, um falsche Gefühle der Sorglosigkeit, eine Unbeschwertheit vorzuspielen! Diese Energie fehlt uns zum Leben.
Dadurch werden wir müde und abgeschlagen. Wir haben keine Freude mehr. Sind wir jedoch ehrlich zu uns selbst und aufrichtig zu anderen, dann entsteht in uns eine innere Harmonie und wir fühlen uns wohl. Die Sorgen und Ängste sind immer noch vorhanden, aber wir können unsere Energie darauf richten sie zu lösen und nicht auf falsche Vorspiegelungen.
Aufrichtigkeit im Umgang mit schwerkranken Menschen in der letzten Lebensphase ist der wichtigste und schwerste Lernprozess.
Ein Mensch, der bald sterben wird, weiß dies sehr genau. Er traut sich nur nicht offen mit seinen Angehörigen zu sprechen. Obwohl Ärzte zu Beginn einer bösartigen Erkrankung oft sehr schonungslos sagen, man habe noch eine Lebenserwartung von so und soviel Jahren, scheuen sie sich im Endstadium einzugestehen, dass das Leben zu Ende geht.
Es wird auf neue Studien, neue Medikamente etc. verwiesen. Daran klammern sich die Angehörigen und beruhigen damit sich und den Kranken. So wird in dem letzten Lebensabschnitt nicht Abschied genommen, sondern man ist unaufrichtig und macht sich und dem anderen etwas vor.
Dabei würde teilnahmsvolle Aufrichtigkeit die Möglichkeit bieten, dass der Kranke über seine Sorgen und Ängste vor dem Tod sprechen kann und der Partner von seiner Liebe und der Trauer ihn zu verlieren. So könnte Abschied in Liebe genommen werden.
Diese Aufrichtigkeit am Ende würde ein tiefes Band zwischen den beiden Menschen schaffen, das auch nach dem Tod anhält und die Trauer mindert.
Herzlichst Dagmar Berg