Weg der spirituellen Unterscheidungskraft
von advaitaMedia -
Der Weg der spirituellen Unterscheidungskraft – Mariana Caplan
„Dieses Buch ist ein Versuch, tief in das Labyrinth des spirituellen Weges einzudringen und über die Möglichkeit einer wahrhaft integrierten, verkörperten, psychospirituellen Transformation nachzudenken.“
So Mariana Caplan über ihr Buch: „Augen auf! Der Weg der spirituellen Unterscheidungskraft“.
Und Tatsächlich wird sie nicht müde, engagiert und wiederholt zu betonen, dass die Möglichkeit besteht, mit offenen Augen über den spirituellen Marktplatz und durch unsere eigene Verwirrung zu gehen. Sie sagt, dass es darum geht zu lernen, zwischen Wahrheit und Falschheit zu unterscheiden und zwischen einer Leidenschaft, die uns bindet und einer Leidenschaft, die uns befreit.
Das wird im Einzelnen an vielen Unterthemen dargestellt, unter anderem: spirituelle Krankheiten, spiritueller Materialismus und spirituelle Umgehungstendenzen, Arbeit mit dem Schatten, die Vereinigung von Psychologie und Spiritualität, die Frage nach einem Lehrer und das erwachsene Menschsein.
Was mich überzeugt hat, ihren Gedanken zu folgen, ist ihre eigene spirituelle Biographie, über deren Höhen und Tiefen, Irr- und Umwege sie ehrlich berichtet. Dann die zahllosen Beispiele aus ihrem Freundeskreis, von ihren Schülern und den Menschen, die sie während ihrer Reisen kennengelernt und interviewt hat und nicht zuletzt die große Zahl an namhaften Menschen, deren Schriften sie studiert hat und die sie zitiert, um ihre eigene Meinung zu belegen. Dazu gehören Chögyam Trungpa Rinpoche, Jung, Desjardins, Ken Wilber, Aurobindo, Lozowick, Ram Dass, Rilke und viele andere (siehe die umfangreiche Bibliographie).
Auf der Buchrückseite steht über Mariana Caplan: „… hat über mehr als zwei Jahrzehnte viele der weltweit großen mystischen Traditionen erforscht und praktiziert. Sie ist Professorin für Yoga und Transpersonale Psychologie und verfasste sieben Bücher in den Bereichen Psychologie und Spiritualität.“ Das Buch: “Augen auf!“ war in den USA mehrfach als spirituelles Buch des Jahres ausgezeichnet.
Es geht also - wie in dem Zitat am Anfang gesagt – um integrierte, verkörperte, psychospirituelle Transformation.
Was heißt das? Die meisten Menschen, die sich auf den spirituellen Weg machen, streben nach Erleuchtung, nach Licht, nach Glückseligkeit, streben weg von Banalität, Gewöhnlichkeit, Dunkelheit. Oft sind dramatische Einsichten und überwältigende Erfahrungen am Anfang des Weges der Grund für den dringenden Wunsch nach Wiederholung solcher Zustände.
Man verschließt die Augen vor der Tatsache, dass es eben nur kurze Einblicke in göttliche Wahrheit waren und jetzt wieder der Alltag, die persönliche Verstrickung, unangenehme Gefühle usw. gelebt und/ bewältigt werden müssen. Dass es aber genau darum geht, ist Mariana Caplans Überzeugung, zu der sie auf ihrem Weg gekommen ist. Sie sagt, dass sie nicht mehr an „Erleuchtung“ glaubt, sondern an einen lebenslangen Transformationsprozess.
Sie plädiert leidenschaftlich und entschieden für den tantrischen Weg, was nicht zu verwechseln ist mit kurzsichtigem und oberflächlichem Neo-Tantra, dem es nur um das Schwelgen in Genüssen geht. Vielmehr ist das Hauptprinzip tantrischer Praxis die Annahme aller Lebensumstände – Sexualität eingeschlossen – und ihre Nutzung für spirituelles Wachstum. Form und Formlosigkeit sind untrennbar miteinander verbunden und müssen erforscht werden, wie sie sich in jedem Moment zeigen.
Beide Dimensionen des Seins bedeuten einen endlosen Tanz auf Messers Schneide, wenn man wahrhaft an Transformation interessiert ist. Nur den Himmel berühren zu wollen, ohne mit der Erde verbunden zu sein, ist nicht nachhaltig, wie das Zusammenbrechen des spirituellen Kartenhauses in Krisenzeiten oft beweist.
Es geht um Unterscheidungskraft! Das hat mich zuerst verwundert – bedeutet nicht Annahme aller Lebensumstände, dass ich unterschiedslos alle Erfahrungen gleichermaßen willkommen heiße, egal ob persönlicher oder unpersönlicher Natur? Die Antwort gibt Mariana Caplan in folgendem Zitat: „…nur dadurch, dass wir das ganze Panorama dessen, was in uns wirklich und was unwirklich ist, sehen und erkennen, können wir unterscheiden, was wir pflegen und was wir meiden sollten.“ Zum Beispiel ist es nützlich zwischen Emotionen (verkrampft, unterdrückt, mit mentalen Prozessen verbunden, konditioniert) und Gefühlen (immanente Qualität einer Erfahrung, die uns hilft, enger mit uns selbst in Berührung zu kommen) zu unterscheiden.
Oder zwischen Leere als nicht-dualem Zustand und Leere als Depression unterscheiden zu lernen. Oder zwischen dem göttlichen und dem menschlichen Aspekt eines Lehrers zu unterscheiden. „Unterscheidungsvermögen ist an jeder Wende des Lebens und an jedem Knotenpunkt spiritueller Entwicklung erforderlich.“ Ich muss unterscheiden lernen zwischen verschiedenen Wegen, Übungssystemen, Lehrern und inneren Prozessen.
Wie aber erlangt man Unterscheidungsvermögen? Durch Hinsehen (Augen auf!), nichts ausblenden, absolute Ehrlichkeit sich selbst gegenüber, nichts vorschnell umgehen („Wenn alles nur Illusion ist, warum muss ich dann an meinen Mami-Papi-Problemen arbeiten?“), durch Mut, sich allem, was auftaucht zu stellen, durch das Eingeständnis, doch noch längst nicht „angekommen“ zu sein, durch beständige Wachsamkeit gegenüber ichbezogener Selbsttäuschung, durch die Bereitschaft, Bequemlichkeit aufzugeben und „dranzubleiben“.
All das zeichnet Mariana Caplan aus – das empfand ich deutlich beim Lesen. Sie strahlt Nüchternheit aus, gepaart mit Leidenschaft sowie Authentizität, Ehrlichkeit und Interesse.
Sehr inspirierend und berührend finde ich ihre Worte an uns Leser am Schluss des Buches:
„Das Göttliche hat dir einen Liebesbrief gesandt, geschrieben in der Form deines Lebens.
Wirst du ihn annehmen? Wie wirst du darauf antworten?“
Birgit Siepe Mattke 2019 – Leserin von advaitaMedia
„Augen auf! Der Weg der spirituellen Unterscheidungskraft“ von Mariana Caplan, erschienen bei advaitaMedia 2010. Softcover, 344 Seiten, 16,80 €. ISBN: 978-3936718218
Herzlichst
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