Das ewige Papa-Mama-Syndrom
von Satyam S. Kathrein
Die Liebe der Eltern verwechseln wir Erdenbürger verständlicherweise mit dem eigentlichen Aufgehobensein im Göttlichen. Im zarten Kindesalter sind wir zu jung, um zu verstehen, und später stehen zumeist die Informationen zur Seelenreise nicht zur Verfügung. Es bleibt nichts anderes übrig, als über den dornigen Weg der Selbstfindung passable Antworten auf offene Fragen zu finden.
Doch wer diese Fragen nicht an die Oberfläche des Bewusstseins treten lässt, kann eben auch nicht in die Verwandlung treten. Das heißt, sein Leben verläuft dadurch automatisch in selbigen Kreisen und an bestimmten Stellen verdichten sich die Geschehnisse auf der Lebensbühne immer wieder in gewisser Härte. Wo man eigentlich über eine Entwicklungsschwelle geschoben werden soll, tritt häufig Versagen ein.
Die andere Möglichkeit ist, dass der Betroffene auf der Lebensbühne Ersatzveranstaltungen für die Entschlüsselung der Vater oder Mutterliebe betreibt, sich entweder in Beziehungen und der Arbeitswelt Ähnliches aussucht, wie er es mit Mama und Papa erlebt hat, oder zum scheinbaren Gutmenschen oder sogar Bösen mutiert, um über diese Ersatzebenen an Liebesenergie heranzukommen.
Als Beispiel möchte ich einen Fall aufzeigen, an dem schön abzulesen ist, wie weit der Mensch geht, ohne aufzuwachen. Bei einer Klientin stellte sich in der Einzelsitzung heraus, dass sie ihr Leben wie auf den Kopf gestellt lebte. Nichts war an seinem gesunden Platz. Während der Kindheit hatte ihr Vater ihr nie den liebevollen Platz an seiner Seite gewährt. Gefühle zeigen war nicht seine Stärke, seine Welt. Im Gegenteil, wenn etwas Gefühl in der Luft lag, wurde er sehr mürrisch und verließ augenblicklich das Zimmer. Er stieß seine Tochter sogar von sich, wenn sie auch nur die leiseste Umarmung oder Zärtlichkeit wollte. Doch ihr Herz stand in Flammen und sie versuchte, zumindest an die Füße des Vaters heranzukommen, um durch das Halten eines seiner Treter zumindest etwas Liebe zu ergattern. Doch mit dem anderen Fuß stieß er sie regelmäßig von sich.
Im heutigen Leben arbeitet die Dame als Fußpflegerin, immer mit dem Ausspruch auf den Lippen: »Umso größer das Hühnerauge am Fuß des Klienten, desto größer meine Freude.« Der Vater hatte
schon sehr dunkel behaarte Quanten und im Hier und Jetzt waren ihr die scheußlichsten Füße die liebsten.
Jedem Leser wird hier der Zusammenhang klar, nur die Dame wollte erst einmal überhaupt keine Einsicht zeigen. Als Weiteres irrte sie in ihrem Umfeld in jede mögliche Hilfsaktion für Bedürftige und holte sich über dieses Hamsterrad die Anerkennung und Liebesenergie, die ihr seit der Kindheit so sehr fehlte. Zusätzlich hielt sie das Tagwerk in ihrem Familienverbund aufrecht, wobei der Ehemann bereits seit einigen Jahren sich in die Unnahbarkeit eines Kranken zurückgezogen hatte.
Im Außen erntete die Dame auffällig viel Lob und jeder benutzte gerne ihre Tatkraft, ohne sie dafür zu honorieren oder Gegenleistungen zu erbringen. Zeit für sich selbst kannte sie nicht, schon ein Kaffee im Stehausschank der Bäckerei galt für sie als etwas Sündhaftes. Ihr Gemahl, den sie schon sehr früh geheiratet hatte, riet ihr damals, statt ein Studium zu beginnen, doch lieber putzen zu gehen, das würde wenigstens sofort Bares bringen.
Später hatte sie ihre Mutter-Teresa-Rolle dermaßen verinnerlicht, dass ihre Schöpferkraft wie verrückt den Aschenputteljobs nachjagte und ihr innerer Tyrann dabei entschied, dass ein höheres Maß an Wohlstand ihrem wahren Sein nicht zustünde.
Ihre beiden Kinder hatten derweil bereits sehr früh begriffen, dass die von ihrer Mutter erzeugte Außenwelt irgendwie nicht recht stimmte. Sie zogen sich daraus zurück und es gelang ihnen in späteren Jahren nicht, einen Zugang zur Kommunikation mit Freunden oder Schulgefährten zu finden. Das oberste Gebot war für die Klientin, unbewusst und bewusst, immer nur, die Energie ihres Vaters zu erbeuten, eben auch auf den von ihr erschaffenen Ersatzebenen. Nichts konnte diesen inneren Marschbefehl stoppen, nicht die Liebe für ihre Kinder und erst recht nicht die Liebe zu sich selbst, von Männern ganz zu schweigen. Erst der Zusammenbruch ihrer Gesundheit und das »zufällige« Erfahren von der Lebensthementherapie brachten einen neuen Input für ihr veraltetes Daseinssystem.
Doch die Lebensthementherapie ist nur so wirksam wie die Entschlusskraft des Klienten. Und nach der ersten Hürde des Verstehens, des mit dem Schicksal verknüpften Lebensthemas einschließlich der nötigen Sofortmaßnahmen für eine erfolgreiche Reifeprüfung, folgt die um einiges längere Phase des Prozesses der Transformation aller angehäuften Mechanismen, die ein unerlöstes Lebensthema kennzeichnet.
Es ist dies die Selbstschau mit eingebundenem Coaching. Kann die Lebensthematik noch relativ leicht durchschaut werden, hat der Klient bei dem Erkennen dessen, wo überall in seinem System die alten Mechanismen lauern, allein meist größere Probleme. Im Alltag liegen hier die Knackpunkte in den Momenten, wenn man meint, spontan aus einem »echten« Gefühl oder Gedanken Handlungsimpulse unbeleuchtet auf seine Umwelt loszulassen. Hier helfen die Quantensprung-Seminare doch sehr. Denn ein Coach und Therapeut kann innerhalb eines fünftägigen Seminars sehr wohl während der Seminarstunden, aber auch in den Pausen und Essenszeiten diese unbewussten Handlungsimpulse deutlich beobachten.
Und gleichwohl hatte die Klientin erhebliche Schwierigkeiten, nach der Erstverbesserung das Energielevel zu halten. All die Nischen und Abwehrmechanismen permanent mit dem dritten Auge abzutasten und vor allem den Wahnsinn oder, besser gesagt, all den Unsinn, den sie sich selbst, ihrem Mann und ihren Kindern, aber auch all den von ihr mit ihrem Gutmenschsein »beschenkten« Zeitgenossen angetan hat, war ihr kaum möglich auszuhalten. Sofort ging sie in ihrem Energiesystem lieber auf Zusammenbruch und damit in die Hilflosigkeit, zurück in die Blindheit, sie stellte sich lieber in ihre Verantwortungslosigkeit, als dem von ihr ausgehenden Missbrauch endlich ein Ende zu bereiten.
Vermeintlich zu schwer schien ihr die Aufgabe, überall auszuputzen. Und dem Papi-Thema endlich eine Absage zu erteilen gelang ihr zwar verbal gerade noch, aber es im Inneren vom Sockel der Macht zu stoßen und damit auch ihrem eigenen inneren Tyrannen und der Personamaske Adieu zu sagen, war noch einmal ein ganz anderes Thema.
Ebenso war es ein allzu großer Kraftakt für sie, sich von der Identifizierung mit ihrem Aushängeschild, dem Gutmensehen, und ihrem inneren Trauerkloß, dem Tabernakel der Trauer, zu verabschieden. Meine Klientin konnte oder, besser gesagt, wollte keinen inneren Beobachter installieren, der sofort die Notbremse zieht, wenn die Lüge im Anmarsch das wahre Sein überlistet. Man weigert sich, die Verantwortung eines Erwachsenen zu übernehmen, und bleibt lieber dieses kleine verletzte innere Kind, das mit dreiundvierzig Jahren immer noch als Tyrann die Fäden zieht.
Die Antwort auf dieses Lebensthema heißt, Vertrauen und Liebe zu finden! Die Antwort der Klientin allerdings lautet: Macht um jeden Preis. Kontrolle und Machtmissbrauch, Täterschaft, das ist das einzige adäquate Mittel, das ein Bewusstseinsfeigling in dieser Situation gelten lässt. Ein in dieser Weise gearteter Mensch ist mit niemandem in Liebe verbunden! Er wird automatisch zum Heimzahler seiner eigenen Leiderfahrungen, zum Täter!
Meine Klientin zockte letztlich ebenfalls das neue Umfeld ab, das ihr als therapeutische Hilfe zur Verfügung stand. Bis zu ihrem Auftauchen in einer Einzelsitzung hatte sie als Antwort auf ihren traumatischen Lebensthemen-Spannungsbogen via Gutmensch jegliche Seelen energetisch ausgenommen und in der Zeit ihrer Therapiereise verschlang sie nun dort alle Energie, derer sie habhaft werden konnte.
Mehrfach gelangen ihr zwar an Schlüsselpunkten scheinbare Wachstumsschritte, doch nach nur kurzer Dauer hatten sich alle alten Mechanismen wieder selbst installiert. Sie beklagte sich dann darüber, dass ihr Kopf irgendwie in den Wolken hing und dass alles so anstrengend wäre. Und, was ganz typisch ist, sie versuchte wieder, mit ihren alten unwirksamen Werkzeugen die Situation zu meistern. Zu keiner Zeit hatte sie sich wirklich vorgenommen, ihre ganze Entschlusskraft und Schöpfungskraft zusammenzunehmen, um ihr Lebensthema der Erlösung zuzuführen.
Von außen betrachtet muss man festhalten, wie genial die Abwehrmechanismen ständig ihren Unfug treiben und Dinge tun, die einzeln betrachtet auf deren Manipulation gar nicht hinweisen, lediglich aneinandergereiht ihre Spur belegen. Wer allerdings diese Realität, den Sinn des Lebens in Wandlung, theoretisch und praktisch begreift, kann dann aber nie wieder behaupten, er hätte keine Ahnung oder nicht die volle Verantwortung für sein Lebensthema und die darin verborgene selbst gewählte Transformationshürde als Erlösung und Kristallisation des Bewusstseins.
Einem Handeln nach dem Motto »Mein verletztes inneres Kind ist halt so und ich kann auch nichts dafür und vor allem nichts dagegen unternehmen « begegnen die universellen Gesetze mit der daraus entstehenden Konsequenz. So hat der Mensch zwar immer seinen freien Willen, trägt aber beim Versagen auch die oft als sehr hart empfundenen Folgen.
Satyam S. Kathrein