Verlegenheit – Was ist das und wie gehst Du damit um?
von Martina Eyth -
Unendlich viele Male war ich verlegen, wenn ich etwas tun sollte oder wollte, was mir unangenehm war. Es fiel mir früher schwer, Fremde anzusprechen, vor vielen Menschen zu sprechen, um etwas zu bitten oder etwas abzulehnen, von dem ich spürte, dass ein anderer erwartete, dass ich es annehmen würde. Die Empfindungen, die ich dabei hatte, waren ein Cocktail aus Unsicherheit, Scheu, Hilflosigkeit, Peinlichkeit, Ratlosigkeit, Scham, Orientierungslosigkeit und Verlegenheit. Kennst Du all diese Empfindungen auch?
Ich liebe es, Empfindungen zu erforschen, um mich selber besser zu verstehen. Denn, wenn ich mich verstehe und weiß, warum ich bin wie ich bin, dann kann ich klarer und kraftvoller mein Leben gestalten. Und ganz nebenbei kann ich auch meinen Mitmenschen anders begegnen, weil ich sie und ihr Verhalten nachvollziehen kann. Dadurch kann ich ihnen mitfühlend begegnen und das fühlt sich auch für mich gut an.
Hast Du Lust, mit mir gemeinsam die Verlegenheit ein bisschen unter die Lupe zu nehmen?
Sehr viele Menschen erleben Momente der Verlegenheit
Die Frage ist, ob sie ihre Verlegenheit wahrnehmen. Für viele Menschen ist es so unangenehm, Verlegenheit zu spüren, dass sie sie überspielen. Zum Beispiel dadurch, dass gelacht wird, in einen wilden Aktionismus übergegangen oder Rückzug praktiziert wird. Es gibt noch viele weitere Möglichkeiten dafür, Verlegenheit zu überspielen, zu kompensieren oder auch zu unterdrücken.
Wie fühlst Du Dich, wenn Du erlebst, dass jemand seine Verlegenheit mit Lachen überspielt? Fühlt sich das für Dich auch komisch an? Ganz früher fühlte ich mich in solchen Situationen verarscht, später war ich irritiert und inzwischen bin ich im Mitgefühl, denn ich weiß, dass niemand bewusst oder vorsätzlich seine Empfindungen überspielt oder wegdrückt. Meist geschieht es unbewusst, oder weil der Betroffene nicht gelernt hat, damit umzugehen.
Ich muss mich korrigieren, manche Menschen unterdrücken ihre Empfindungen auch bewusst. Das heißt, sie planen die Tat (das Unterdrücken der Empfindung), aber nicht die Folgen. Sie sind sich nicht bewusst, was sie damit für sich, Ihr Leben und auch für andere bewirken.
Wieder fühle ich wie so oft, das tiefe Bedauern, dass uns Menschen Wichtiges für uns und unser Leben nicht gelehrt wird. Bedauerst Du das auch manchmal?
Meine Tipps für den Umgang mit Verlegenheit
Erst einmal ist es wichtig, dass Du Dir mit Vertrauen begegnest, wenn Du Verlegenheit spürst. Du hast Deine Gründe dafür, verlegen zu sein. Auch wenn Dir die Gründe nicht bewusst sind, so ist es von großer Bedeutung, dass Du Dir mit Vertrauen begegnest und Dich und Deine Empfindungen annimmst.
In Momenten der Verlegenheit ist es nicht wichtig, was um Dich herum geschieht. Ich weiß, dass es nicht immer leicht ist, das Außen auszublenden. Ganz besonders im Alltagstrott ist es herausfordernd, kleine Momente der Ruhe zu erschaffen. Doch selbst ein tiefer Atemzug, in dem Du Dir vorstellst, Dich selbst in die Arme zu nehmen, bedeutet, dass Du Dich selbst mit Aufmerksamkeit beschenkst. Atmen tust Du ja sowieso, von daher brauchst Du dafür keine Extrazeit, sondern müsstest lediglich Deinen Fokus auf Dich richten.
Wenn Du verlegen bist, und Dich mit einem bewussten Atemzug beschenkst, Dir vorstellst, Dich selbst in die Arme zu nehmen oder Dir liebevoll zuzulächeln, entspannt sich etwas in Dir, stimmt’s? Die Entspannung kommt daher, dass Du Deine Aufmerksamkeit auf Dich richtest. Diese kleinen Handlungen, das bewusste Atmen, Dir selbst zuzulächeln oder Dich in die Arme zu nehmen sind Ausdruck von Selbstliebe. Du begegnest Dir liebevoll. Fühlt sich das gut an?
Nimm Dir Zeit für Dich
Dich selbst, wie oben beschrieben, mit Aufmerksamkeit zu beschenken, ist ein sehr guter erster Schritt. Doch in Momenten der Verlegenheit ist es auch hilfreich, Dir selbst Zeit zu geben. Nicht von Dir zu verlangen zu funktionieren. Wenn Du von Dir verlangst, zu funktionieren, ist das die klare Einladung, Deine Empfindungen wegzudrücken und so zu tun, als wären sie nicht da. Das ist auf Dauer keine gute Lösung.
Die Verlegenheit will Dich auf etwas aufmerksam machen. Sie ist nicht einfach nur so da und auch keine Laune Deiner Seele. Wenn Du verlegen bist, ist das eine Einladung Deiner Seele, Dich ernst zu nehmen. Das tust Du, indem Du Dir einen Moment Zeit nimmst, um zu erspüren, was Du brauchst, um Dich in der Situation oder mit den Umständen wohler zu fühlen. Wenn Du weißt, was Du brauchst, was zu viel ist oder worum es für Dich gerade geht, dann ist die Verlegenheit ein wunderbarer Wegweiser für Dich und hilft Dir dabei, Dein Bewusstsein auszudehnen. Das ist doch genial, oder?
Was würdest Du Deiner besten Freundin sagen, wenn sie verlegen wäre?
Du würdest sie in Momenten der Verlegenheit vermutlich nicht anmeckern, dass sie sich nicht so anstellen soll. Vermutlich gehst Du auf sie ein und schaust nach einem Weg, wie sie mit der Verlegenheit umgehen kann, um sich wieder wohler zu fühlen.
Mein Tipp: Behandle Dich selbst so, wie Du Deine beste Freundin behandeln würdest. Du bist Dein ganzen Leben mit Dir beisammen. Findest Du auch, dass es sinnvoll ist, Dir Deine Lebenszeit schön zu gestalten?
Mache Dir Mut, habe Verständnis für Dich, sei im Mitgefühl mit Dir, tröste Dich, gestalte Dir Deine Umgebung so, dass Du Dich geborgen, gehalten, getragen, wertgeschätzt und geliebt fühlst. Dann sind Momente der Verlegenheit gar nicht schlimm. Dann weißt Du immer, was Dir gut tut und Dir hilft.
Entwickele Interesse an Dir und Deinen Empfindungen
Früher war ich sehr oft enttäuscht von mir selbst, wenn ich nicht so funktionierte, wie ich es von mir erwartete. Heidewitzka war ich genervt. Ich habe mich schlecht behandelt und Übermenschliches von mir verlangt. Ahnst Du, wie froh und erleichtert ich bin, dass diese Zeit vorüber ist?
Inzwischen habe ich Freude daran, mich selbst und mein Verhalten zu erforschen. Mich selbst immer besser zu verstehen und zu erkennen, warum ich bin wie ich bin, ist eines meiner größten Hobbies.
Wenn ich mich selbst kenne und weiß, warum ich reagiere wie ich reagiere, dann habe ich das Empfinden mich bewusst durch mein Leben lenken zu können. Das ist ähnlich wie beim Autofahren. Beim Autofahren weiß ich ja auch wo ich hin will und warum ich es will. Ich bin mir bewusst, was ich tue und warum ich es tue. So zu leben, macht mein Leben erfolgreich. Ich setze meine Energie gezielt ein und fokussiere mich auf das, was ich will oder nicht will. Spürst Du den frischen Wind, der dadurch in meinem Leben ist?
Identifiziere Deine Ängste und Befürchtungen
Verlegenheit wird häufig durch Befürchtungen ausgelöst. Sind Dir die folgenden Sätze auch vertraut? „Ich kann das nicht! Ich schaffe das nicht! Es ist mir peinlich, das zu tun!“ Ob Du etwas kannst oder nicht, ob Du etwas schaffst oder nicht, das wirst Du erst erfahren, wenn Du es ausprobiert hast.
Ich empfehle Dir, Deine Befürchtungen ernst zu nehmen und Dich dann zu fragen, was Du brauchst, um trotz Deiner Befürchtungen das zu tun, was Du tun möchtest. Denn wenn wir auf inneren Ebenen einknicken, weil wir den Befürchtungen den Raum geben, sich in uns auszudehnen, dann leben wir nicht unser Leben. Dann werden wir vom Leben gelebt.
Du kannst auch andere um Unterstützung bitten, wenn es Dir dadurch leichter fällt, Deine Befürchtungen weniger wichtig zu nehmen als Dein Sehnen.
Hast Du einen hohen Anspruch an Dich selbst?
Dann kann es sein, dass Du durch Deinen hohen Anspruch überfordert bist. Der hohe Anspruch ist ein optimaler Nährboden für Verlegenheit. Deshalb, weil Du ständig etwas von Dir verlangst, ohne Rücksicht auf Deine Bedürfnisse und Empfindungen zu nehmen.
Ich hatte auch einen hohen Anspruch an mich. Inzwischen weiß ich, dass ich mich früher häufig geschupst, gezerrt, gezogen und auch getreten habe, damit ich funktioniere. Dir das so ungeschminkt zu schreiben, fällt mir nicht so leicht, doch ich bin ehrlich und aufrichtig zu Dir.
Als mir bewusst wurde, wie hart und grausam ich mit mir umgegangen bin, habe ich meinen Anspruch an mich reduziert. Doch nicht nur das, ich habe gelernt, mich selbst so zu behandeln, als wäre ich meine beste Freundin. Spürst Du, warum ich Dir weiter oben im Text den Tipp gegeben habe? Ich weiß um die Wirkung. Denn seitdem ich mir selbst die beste Freundin bin, hat sich mein Leben sehr verändert, und ich fühle mich meistens rundherum wohl.
Bleibe Dir treu
Spürst Du manchmal Verlegenheit, wenn Du anderen begeistert von einem Vorhaben erzählst und sie Dich dann durch ihre Einwände verunsichern? Mir ist das unzählige Male passiert. Im Laufe der Jahre ist mir bewusst geworden, dass ich andere und ihre Empfindungen wichtiger genommen habe als mich und meine Empfindungen. Das war der Grund dafür, dass ich immer wieder eingeknickt bin und nicht gemacht habe, was ich so gerne gemacht hätte.
Deshalb empfehle ich Dir, nur die Menschen nach ihrer Meinung zu fragen, die selbst ihr Leben so leben, wie sie es sich vorstellen. Also Menschen, die ihre eigenen Träume und Wünsche ernst nehmen. Wenn Du beispielsweise jemandem, der seit 25 Jahren an denselben Urlaubsort fährt, erzählst, dass Du eine Reise mit dem Rucksack nach Big Island nach Hawaii planst, kann es sein, dass er seine eigenen Vorbehalte auf Dich überträgt. Das kann Dich dann möglicherweise sehr verunsichern und trübt Deine Begeisterung.
Lasse Dich durch andere bereichern, doch bleibe Dir und Deinem Sehnen treu. Nur Du weißt und spürst, was für Dich gut und richtig ist!
Sei Dir selbst wichtig
Wenn Du Dich selbst wichtig nimmst, Dich mit Aufmerksamkeit beschenkst und Dein Sehnen ernst nimmst, dann wird Dein Selbstwertgefühl wachsen und Du bist stabil wie ein Baum in der Natur.
Wenn Du Dich selbst ernst nimmst, gerne mit Dir alleine bist und Dich schätzt, dann werden Dir auch andere mit Wertschätzung und Offenheit begegnen. Dann tragen sie dazu bei, dass Du Dich wohl fühlst, selbst wenn Du mal verlegen bist. Darauf kannst Du vertrauen.
Verbringe Zeit mit Gleichgesinnten
Das ist besonders wichtig. Es gab Zeiten in meinem Leben, da fühlte ich mich einsam, allein und war unglücklich. Ich lebte in der Illusion, dass es keine Menschen geben würde, die mich verstehen und mit denen ich Freude haben könnte. Spürst Du es, ich habe im Selbstmitleid gebadet und mich selbst zum Opfer gemacht.
Ich war diejenige, die sich abgekapselte. Als mir das bewusst wurde, ist mir die Kinnlade runtergefallen. Wie konnte ich mich selbst so täuschen? Sofort lenkte ich mich aus dieser emotionalen Sackgasse heraus. Mit Erfolg! Denn „heute“ fühle ich mich nicht mehr alleine und schon gar nicht einsam. Ich lebe in der Gewissheit, dass immer jemand für mich da ist. Das zu fühlen ist herrlich.
Wenn ich zum Beispiel in einer Situation bin, in der ich Verlegenheit spüre, kann ich die Menschen um mich herum fragen, wie sie mit der Situation umgehen würden. Dadurch, dass ich mich für die Inspiration öffne, kann ich durch meine Mitmenschen und auch durch meine Seele dafür inspiriert werden, was für mich in der Situation das Optimale ist. Ich liebe es, mich durch andere bereichern zu lassen.
Lache auch mal über Dich selbst
Dir selbst in Momenten der Verlegenheit mit Humor zu begegnen, kann die Situation ganz schnell wandeln. In der Zeit, in der ich mich selbst hart und herzlos behandelt habe, gab es in meinem Leben nur wenig zu lachen.
Inzwischen weiß ich, dass je länger ich über etwas nachdenke, mir die Herausforderung immer größer erscheint. Deshalb lache ich manchmal über mich, wenn ich erkenne, dass ich von einem Bein aufs andere hibbele, weil ich den Moment der Verlegenheit durch mein Gedankenkarussell vergrößert habe. Ich lache mich dann aber nicht aus.
ch lache über die Situationskomik. Darüber, dass der Moment der Verlegenheit vermutlich längst vorbei wäre, wenn ich nicht so viel nachgedacht hätte.
Wow, Du hast tatsächlich all die vielen Buchstaben gelesen. Ich danke Dir, dass Du mir Deine Zeit und auch Deine Aufmerksamkeit geschenkt hast.
Ich wünsche Dir und auch mir, dass wir in Momenten, in denen wir verlegen sind uns selbst mit Liebe begegnen können.
Von Herzen
Deine Martina Eyth
Hier mehr interessante Artikel rund um das Thema "Wegweiser für den Alltag" von Martina Eyth.