Die Reise der Seele - Evolution
von Satyam S. Kathrein
Die Evolution der Seele ist älter als die Menschheitsgeschichte, sie setzte in dem Moment ein, als die Erde geboren wurde. Ob mit dem Urknall oder von Gott in sieben Tagen erschaffen, hier beginnt die Geschichte der Evolution der Seelen auf unserem Planeten durch die verschiedenen Stadien bis hin zu den ersten Spuren von Lebewesen. Während der Jahrmillionen entwickelte sich das Bewusstsein und damit die Seele hin zum Menschen von heute.
Dies ist ein Teil der Reise auf der Entwicklungs- oder Evolutionsspirale. Auf dieser Spirale »schreitet« jede Seele bei ihrer Fortentwicklung mit jedem Leben ein Stückchen weiter nach »oben«. Die letzte Stufe dieser Evolution ist die Bewusstheit eines Buddha.
Die Evolution vollzieht sich aber nicht nur in der einzelnen Seele, auch das Kollektiv Mensch geht insgesamt in weitere Veränderungen. Immer wieder kommt die Gesellschaft der Möglichkeit zu einem Quantensprung sehr nahe. Auch heutzutage steht die Menschheit vor einem solchen Quantensprung, einem großen Satz nach oben auf der Entwicklungsspirale.
Nach der Jahrtausendwende machen uns die ökologischen und gesellschaftlichen Probleme nach wie vor darauf aufmerksam, dass es in vielen Lebensbereichen »fünf vor zwölf« ist.
Gerade im Gefüge des Miteinanders herrscht ein großer Bedarf an neuen Lösungen. Die Grundfrage muss lauten: Wie kann das Individuum Mensch im täglichen Zusammenleben mit anderen
Zeitgenossen seiner Gattung erfüllender, liebevoller und freier umgehen und gleichzeitig erkennen, dass auch Reibung Wachstum bedeutet.
Wir müssen zunächst dafür sorgen, dass die körperlichen Bedürfnisse aller Menschen befriedigt sind. Erst dann kann der Mensch sich für Kunst, Dichtung, Malerei, Musik oder Literatur interessieren. Wenn die körperlichen Bedürfnisse gestillt sind, entsteht der psychische Hunger nach Spiritualität, zieht es den Menschen in noch höhere Sphären. Die Schöpferkraft hinter den Kulissen kennen zu lernen ist dann der größte Wunsch des Menschen.
So schaffen viele Menschen mit der Zeit den Quantensprung in die Meisterschaft der Seelenreise. Dies wird möglich, weil die Menschen sich entscheiden, über ihren eigenen Horizont hinauszublicken und Verantwortung zu übernehmen.
Vom Anbeginn der Zeit fragte der Mensch nach dem Sinn und Zweck des Erdendaseins. Ohne diese Frage wirklich klären zu können, spielte er mit allen Möglichkeiten der Macht- und Kraftentfaltung. Um Weltreiche wurde gekämpft und nach ihrer Hoch-Zeit wurden sie wieder in Schutt und Asche gelegt. Wissen und Macht gelangten zur Blüte und verschwanden wieder von der Bildfläche.
Trotzdem wurden gewisse Erfahrungsessenzen von Generation zu Generation weitergereicht und fortentwickelt. Möglichkeiten für ein besseres Miteinander wurden geschaffen und lösten sich wieder auf. Und dennoch bereichert jede dieser Wellen die Menschheit. Langsam klettert dabei das Bewusstsein des Einzelnen wie des Kollektivs Stufe für Stufe höher auf der Bewusstseinsleiter.
Stets waren nicht unbedingt die Könige und Despoten die geistigen Speerspitzen der Gesellschaften, sondern die Weisen, die geistigen Erneuerer. Sie erkannten und vermittelten oft die wichtigen Zusammenhänge der äußeren und inneren Welt. In Lebens- und Mysterienschulen lehrten große »Geister«, die nicht selten als Religionsgründer in die Geschichte eingingen.
Diese weisen Seelen waren ihrer Zeit meist um Jahrhunderte voraus und wurden leider zu Lebzeiten von der Masse oft missverstanden oder sogar getötet. Beispiele wie Jesus, Buddha oder Sokrates sind uns allen ein Begriff.
Andere Genies der Menschheit, die großen Entdecker und so intelligente Erfinder wie Archimedes, Newton, Einstein und Edison fanden vor allem durch ihre spielerische Art und ihren immensen Sinn für Humor ihre goldenen Eingebungen. Newton saß zum Beispiel unter einem Baum, als ihm ein Apfel auf den Kopf fiel, und plötzlich hatte er die Idee der Schwerkraft gefunden. Archimedes hatte die interessantesten Gedankenblitze in seiner Badewanne. Einstein spielte am liebsten mit Seifenblasen, deren Ausdehnung und Zerplatzen ihn zur Relativitätstheorie inspirierten. Edison ging im wahrsten Sinne in aller Frühe ein Licht auf, die Glühbirne war geboren!
Viele, die den Prozess der Evolution abgeschlossen haben, arbeiten ein letztes Mal in der Gestalt eines Meisters oder einer weisen Frau für das Bewusstsein der Menschheit, um sich dann für immer mit dem unendlichen Universum zu vereinen.
Der Seelenweg führt über den Verbund mit anderen Menschen. Im Laufe der Jahrtausende bildeten sich unterschiedliche Formen des Zusammenlebens heraus. Lebensformen erscheinen meist fest und stabil, sind jedoch dem Gesetz des steten Wandels unterworfen. Manchmal ziehen sich Veränderungen über Jahrzehnte hin, und dann wieder tritt der Wandel plötzlich ein. Trotzdem gilt der Status quo meistens als unumstößlich. Erst im Rückblick erkennt man, wie sich die Lebensbedingungen im Laufe der Geschichte immer wieder veränderten.
Die Urform der menschlichen Gemeinschaft wurde von den Frauen angeführt, Als Sippe lebten die Menschen vom Sammeln und Jagen. Die Gebärfahigkeit der Frau galt als die natürliche direkte Verbindung zum göttlichen Unbekannten und war damit der Hauptgrund für die weibliche Vormachtstellung.
Das Matriarchat wurde nicht mit Gewalt erzwungen, sondern war ein aus uralten Traditionen überliefertes Gewohnheitsrecht. Es reichte bis einige tausend Jahre vor unserer Zeitrechnung und war von Friedfertigkeit sowie vom Kult der »Großen Mutter«, der Göttin der Wiedergeburt und Fruchtbarkeit, geprägt.
Der Übergang vom Matriarchat zum Patriarchat zog sich über viele Jahre hin. Der untergeordnete gesellschaftliche Status der Männer barg erheblichen Zündstoff. Zudem änderten sich mit dem Aufkommen von Ackerbau und Viehzucht die Lebensumstände, die Menschen wurden sesshaft und die Aufgaben in der Gemeinschaft neu verteilt. So wandelten sich allmählich die Machtstrukturen in den Sippen. Es begann die Herrschaft des Mannes in Familie, Staat und Gesellschaft. Der Mann fing an, als uneingeschränktes Oberhaupt die Frauen zu unterjochen, und entzog ihnen die bislang weit reichenden Rechte. Die Männer fanden Gefallen an Raub und Beutezügen. Das Kriegsspiel erhielt hohen Stellenwert. Für die patriarchale Vormachtstellung war es geradezu essenziell, die Macht zu besitzen und in Kriegszeiten Tod und Vergewaltigung zu säen.
Sogar in religiösen Dingen hatte der Mann das Sagen und galt die Frau nun als unrein. Die damals entwickelte Lebensform der monogamen Ehe, die sich bis in unser Jahrhundert gehalten hat, konnte erst in den letzten Jahrzehnten in Frage gestellt und in gewissem Umfang aufgelöst werden. Langsam nimmt die Menschheit Abschied vom Patriarchat und wendet sich wieder der Evolution zu.
Es gab natürlich auch Ausnahmen - etwa die Amazonen. In einem Teil der Welt widersetzten sich Frauen dem Diktat des Patriarchats. Die kriegerische Lebensart übernahmen sie jedoch von den Männern und schufen ihre eigenen Reiche. Berittene Frauenheere besiegten zu verschiedenen Zeiten ganze Völker. Die Männer führten bei den Amazonen ein zu Sklaven degradiertes »häusliches« Leben. An Feldzügen und Staatsämtern durften sie nicht teilhaben.
So folgten in der Evolutionskette auf das Matriarchat das Patriarchat und in Reaktion darauf die Amazonen. Obwohl sich letztendlich das Patriarchat durchsetzte, leben die Amazonen noch in Mythen und Sagen weiter.
In der Evolutionsgeschichte spielten auch die Religionen von jeher eine wichtige Rolle. Die Religionsgründer, die der eigentlichen Entstehung der Kirchen vorausgingen, waren meist charismatische Menschen, die den höchsten Grad an Entwicklung auf der Evolutionsspirale hinter sich hatten. Heute würden wir sagen, die ihre Meisterschaft vollbracht oder ihr Erleuchtungserlebnis erfahren hatten. Was diese Meister den Menschen zu sagen hatten, unterscheidet sich doch sehr deutlich von dem, was im Laufe der Jahrhunderte ihre Nachfolger an den Kirchenspitzen vertraten und immer noch vertreten.
Unter dem Deckmantel der Religion ermordete allein in den Jahren der »heiligen« Inquisition die katholische Kirche hunderttausende Menschen.
Die Religionsführer installierten leider nur allzu oft einen institutionellen Apparat als Mittler in der Beziehung zwischen Individuum und Gott. Das hatte zur Folge, dass die Gläubigen das Gefühl eingeimpft bekamen, selbst nicht viel zur Veränderung ihrer Lebensumstände beitragen zu können und keinen direkten Draht zu Gott hätten.
Die Religionen haben also das genaue Gegenteil ihres Gründungsauftrags erreicht. Anstatt den Menschen zu zeigen, wie einfach und leicht der Weg in die Einheit und Freiheit ist, mussten diese in Abhängigkeit und Unterdrückung leben.
Einheit meint hier den Einklang der erledigten Lebensthemen mit der Berufung und Vision unseres Seins. Die Menschheit braucht diese »Brücke« eines institutionellen Apparats heute so wenig wie früher. Jeder Mensch kann die Verbindung zum Göttlichen direkt in seiner eigenen Mitte finden.
Falls dieser Weg »verschüttet« ist, gehört die Freilegung der inneren Stimme zu einem der wichtigsten Lebensthemen des Betreffenden.
Die Religionen vermischen sich im Augenblick zusehends. Wir werden also mit einem neuen Phänomen konfrontiert, mit der Entwicklung der Multi-Kulti-Gesellschaft. Dies hat zur Folge, dass Anhänger aller Religionen mit neuen Informationen in Kontakt kommen. Dadurch erhalten die einzelnen Gruppierungen die Chance, auf der Evolutionsspirale ein gutes Stück voranzukommen.
Oftmals übernehmen die Menschen die religiösen Vorgaben aber auch, um sich ein Gefühl der Sicherheit in der chaotischen Welt zu verschaffen. Doch das Sicherheitsdenken kann wie eine Krankheit wirken. Die Menschen wollen das Veränderliche, den ewigen Wandel nicht akzeptieren, sie wollen ihn ausschließen. Sie wollen feste Grundmauern, auf denen sie ihr Lebensgebäude aufbauen können, das nach Möglichkeit unverrückbar sein soll. Der Hang zum Fundamentalismus ist die Folge.
Doch das Leben folgt anderen Gesetzen. So dick und stabil die Grundmauern auch sein mögen, wenn es darum geht, die Lebensthemen zu erfüllen, werden diese Grundmauern weggefegt wie Federn im Wind. Das soll nicht heißen, dass wir keine Verantwortung für unser Wohlbefinden, Auskommen und unsere Familie zu tragen haben. Vielmehr möchte ich damit sagen, dass ein überstarkes, krampfhaftes Festhalten an Sicherheit und Ordnung bedeutet, sich vom Leben auszuschließen und eventuell in einer Sackgasse zu landen.
Das individuelle und kollektive Bewusstsein wird immer wieder durch Schicksalsschläge gereinigt und in den darauf folgenden Jahren Stück für Stück auf ein neues Niveau der Entwicklungsspirale gehoben. Kriege, Seuchen und Naturkatastrophen haben in dieser Hinsicht für die Menschheit schon oft eine entscheidende Rolle gespielt.
Nehmen wir nur die letzten 100 Jahre der deutschen Geschichte. Anfang des letzten Jahrhunderts orientierte sich die Kindererziehung an der kleinen Fibel eines Herrn Schreber, nach dem auch die Schrebergärten benannt sind. Dieses Büchlein hatte einen wahren Siegeszug durch ganz Europa erlebt, aber gerade die Deutschen waren die stürmischsten Verfechter des darin propagierten Erziehungsstils.
Nach dieser Fibel war es die vorrangige Aufgabe der Erziehungsberechtigten, sobald die Kinder einen eigenen Willen erkennen ließen, diesen zu brechen und sie in Disziplin und Gehorsam zu zwingen. Dadurch wurde ein obrigkeitshöriger neuer Menschentyp herangezogen. Das hatte zur Folge, dass
gerade die Deutschen sich für das Phänomen eines Diktators wie Hitler dermaßen öffneten. Auch hier spielten das Sicherheitsdenken und die Abgabe von Verantwortung an einen Führer im Außen eine große Rolle.
Erst nach dem Untergang des Dritten Reiches und in der Generation nach Adenauer begannen die Menschen neue Werte und Ziele zu manifestieren. Die Jahre des westdeutschen Wiederaufbaus und Wirtschaftswunders unter Adenauer und Erhard waren eine stockkonservative Zeit mit strengen Strukturen. Man hatte sich strikt nach alten, überkommenen und wieder aufgenommenen Verhaltenskodexen zu richten.
Doch unter der von außen übergestülpten Ruhe brodelte es. Die Jugend begann sich aufzulehnen. Neue Musik tönte aus dem Äther, mit dem Rock'n 'Roll und Kultbands wie den Beatles wurde eine völlig neue Lebensart proklamiert. Die Jugend rebellierte gegen das Establishment. 1968 kam es zum
Ausbruch der Revolte, in der sich das soziale, wirtschaftliche und politische Unbehagen der Studenten entlud. Die Politiker versuchten mit allem, was ihnen an Machtmitteln zur Verfügung stand, das Neue, Angstmachende zu unterdrücken. auf den Weg durch die Instanzen, um politische Veränderungen herbeizuführen. Zusätzlich entstand die Alternative Bewegung, ein Sammelbecken für alle, die sofort etwas tun wollten.
Die APO bestand hauptsächlich aus Studenten, die Alternativbewegung war eher ein bunt zusammengewürfelter Haufen aus Studenten, Hippies, Feministinnen, Atomkraftgegnern,
Haschischrauchern, Musikern, Anarchisten und Künstlern -und nicht zu vergessen, den Esoterikern und Spiritualisten.
Es gab auch politisch Verwirrte wie die RAF, die der Gewalt frönten. In den Jahren nach der Studentenrevolte herrschte unter den Politikern große Skepsis gegenüber jeglichen »Auswüchsen«
der Alternativbewegung. Die Zeit war geprägt von Missverständnissen, Angst und gewalttätigen Übergriffen. Aber es wuchsen auch Einsicht, Verständnis und Anerkennung dafür, dass diese Strömungen die Gesellschaft mit Ideen und Taten bereicherten und voranbrachten. Als Hafen der Andersdenkenden gründeten die so genannten Weltverbesserer eine neue Partei, Die Grünen.
Wir müssen also stets neue Wege wagen, wenn wir die Evolution weiter vorantreiben wollen. Politiker und Gelehrte müssen in die Pflicht genommen werden, immer wieder auf die Umsetzung von neuen Werten zu achten und Experimente für neue gesellschaftliche Lebensformen zu unterstützen. »Helle« Köpfe, die an solchen Unterfangen arbeiten, sollten einen respektvollen Ehrenplatz bekommen.
Satyam S. Kathrein