Nette Menschen gibt es überall. Ich kenne sehr viele Menschen, die nett sind. Nette Menschen sind toll. Es geht einem das Herz auf, wenn man ihnen begegnet. Jeder mag nette Menschen um sich rum haben. Nur Menschen, denen es sehr schlecht geht, die mögen das nicht. Die wollen nicht daran erinnert werden, dass man auch glücklich seine Jahre fristen kann. Sei’s drum, ich mag nette Menschen.
Wofür ich mich wiederum nicht so begeistern kann, sind Menschen, die es nett meinen. Sie erlauben mir jetzt an dieser Stelle ein Zitat, das ich für eines der besten der letzten 10 Jahre halte: „Nett gemeint ist die kleine Schwester von Scheiße.“ Kommt nur richtig gut, wenn man das letzte Wort ausschreibt. Ja, und auch die gibt es überall. Menschen, die nett sein wollen. Weil nette Menschen toll sind. Weil viele Menschen finden, dass nette Menschen toll sind. Nur, wer nett sein will, der verrät es im gleichem Atemzug ja schon: Offenkundig ist er es nicht. Sonst müsste er es ja nicht sein wollen. Logisch, oder?
SO VIELE NETTE (?) GRATULATIONEN...
Kommende Woche, hipp hipp hurra, erscheint nun mein erstes Buch. Viele werden folgen. In Anbetracht der langjährigen Menschheitsgeschichte ist dies nun aber kein Ereignis, bei dem Sie nun vor Ehrfurcht in die Tischkante beißen müssten. Täglich schreiben Menschen Bücher, täglich erscheinen neue Bücher, täglich werden Bücher gelesen, alte wie neue, und die Welt dreht sich weiter und weiter und weiter. Auch für die, die weder schreiben noch lesen.
In meiner Welt aber, da ist das schon ein Meilenstein. Rückblickend werde ich mal sagen: … Ach, lassen wir das jetzt. Wie bin ich nur von Nettigkeiten auf so viel Pathos gekommen? Egal. Jedenfalls hat die Tatsache, dass ein richtiger Verlag (einer ohne Druckkostenzuschuss und so) mein Buch veröffentlicht, zu vielen Gratulationen geführt. Das ist schön. Viele nette Menschen haben mir sehr nett gratuliert. Dazu kamen zahlreiche Vorbestellungen. Das finde ich auch sehr nett. Diese Menschen haben scheinbar viel Vertrauen in mich und in das, wofür ich stehe. Sie kaufen ungesehen mein Buch. Finde ich nett, ganz subjektiv gesehen.
Und dann gibt es auch die Menschen, die nett sein wollten im Zuge dessen. „Hey, wenn dein Buch raus ist, schickst du mir eins, ja?“ Würde ich für diesen Satz Tantiemen kriegen, ich bräuchte das Buch gar nicht mehr veröffentlichen. Was ist das nun? Ist das eine Bestellung? Heißt das: „Schick mir das Buch und die Rechnung zu, ich freu mich drauf!“? Oder heißt das vielmehr: „Ich will dein Buch, aber zahlen will ich dafür nix!“? Oder heißt das: „Mich interessiert dein Buch gar nicht. Aber ich will was Nettes sagen.“? Oftmals hatte ich Lösung 2 im Verdacht, sehr oft Nummer 3. Von 1 ging ich praktisch nie aus, denn die, die wollten, haben es schlicht und ergreifend in meinem Shop vorbestellt.
Da ich aber den Menschen ja erst mal nichts Unnettes unterstellen will, habe ich mir eine Liste derjenigen angelegt, die irgendwo mal geschrieben haben (z.B. in Facebook-Kommentaren), dass sie gern mein Buch hätten, sobald es da ist. Diese Menschen habe ich jetzt alle mal angeschrieben, samt Kontoverbindung, Preis und Paypal-Option. Damit Gruppe 2 definitiv sich nicht noch einmal meldet. Zumindest mir ist der Wert meiner Arbeit und meines Wissens klar. Bisher wenige Rückmeldungen, darunter auch eine, kurz und knapp: „Ich will dein Buch nicht mehr.“ Was absolut in Ordnung ist. Das ist eine Sache, die ich wirklich nicht persönlich nehme. Ich kann immer noch sehr gut schlafen. Nur: Was hätten all diese Menschen gemacht, wenn ich ihnen einfach das Buch samt Rechnung geschickt hätte? Letztlich wäre ein guter Teil von ihnen vielleicht sogar sauer gewesen, weil doch klar sein hätte müssen, dass das keine ernsthafte Bestellung war.
WAS WOLLEN WIR WIRKLICH, WENN WIR NETT SIND?
Ich könnte das alles noch viel länger ausführen. Sie haben aber meine Botschaft wohl schon vernommen. Es geht hier weder um Buchverkaufszahlen noch um Menschen, die ihre Meinung eben mal ändern. Das kommt vor. Doch warum lassen wir uns immer wieder gern mal dazu verleiten, Dinge „aus Höflichkeit“, „aus Nettigkeit“ heraus zu sagen? „Weil ich dem anderen eine Freude machen will“, kommt gern als Argument. Noch besser ist: „Weil ich den anderen nicht verletzten will.“ Hier sind wir beim beliebten Thema Selbstbetrug. Weil es bei diesen gewollten Nettigkeiten niemals darum geht, was mit dem anderen ist. Sondern um das Bild, das wir von uns selbst kreieren wollen. Wir möchten, dass der andere denkt, wir seien nett. Wir wollen, dass der andere lächelt, damit er uns sympathischer findet. Dabei gibt es eine Sache, die ist liebenswerter als alles, alles andere: Wahrhaftigkeit. Authentizität.
Meine Schwester ist ein sehr geradliniger Mensch. Sie kann, so sagt sie, mit meinen Sachen nichts anfangen. Umso mehr überraschte sie mich vor ein paar Wochen damit, dass sie ein Buch bei mir bestellte. „Du, wenn dein Buch dann mal auf dem Markt ist, dann krieg ich schon eins!“, meinte sie beim Essen zu mir. „Du? Du willst mein Buch?“, erwiderte ich fassungslos. „Ja freilich!“, gab sie lachend zurück. Und weil sie ist, wie sie ist, fügte sie schelmisch grinsend hinzu: „Ich hab ja auch nicht gesagt, dass ich es lesen werde. Das ist wohl eher unwahrscheinlich. Aber wenn meine Schwester schon ein Buch rausbringt, dann will ich es wenigstens im Regal stehen haben.“ Und dann lachte sie laut und herzlich über sich selber. Und ich lachte mit. Ich lache auch jetzt wieder beim Tippen. Wieso sollte ich ihr böse sein? Sie hat mir schon immer gesagt, dass sie das komisch findet, was ich so treibe.
Gleichzeitig akzeptiert sie, dass ich mache, was ich mache. Und wie ich es mache. „Für mich wär’s nix. Aber wenn’s anderen hilft, ja, dann ist das doch ok“, sagt sie. Das ist für mich gelebte, echte Toleranz. Weil sie es genau so und nicht anders meint. Manchmal habe ich das Gefühl, dass ich mir von ihrer Offenheit im einen oder anderen Moment noch eine Scheibe abschneiden kann.
HAST DU DAS NÖTIG?
Jedenfalls finde ich, dass niemand, keiner von uns es nötig hat, nett sein zu wollen. Entweder, wir sind, wie wir sind, nett genug oder wir sind es nicht. Darum sollten wir uns aber nicht ändern wollen. Denn Nettigkeit liegt, wie eben alles andere auch, letztlich im Auge des Betrachters. Je echter wir sind, umso leichter finden wir die Menschen im Leben, die wirklich zu uns passen.
Übrigens: Meine Schwester hat per Email vor drei Tagen dieses gesprochene Wort nochmal schriftlich bekräftigt und „richtig“ bestellt bei mir. Ich habe gestaunt und mich gefreut. Und werde jedes Mal grinsen, wenn ich mein Buch quasi ungeöffnet bei ihr mit einer zarten Staubschicht im Regal stehen sehe. Den Gedanken finde ich jedenfalls nett.